"Das Gute am Hype um die Blockchain ist, dass wir bestehende Paradigmen infrage stellen", überlegt Olaf Stöwer. Damit spricht der Head of Operations des Dresdner Software-Entwicklers Faizod der ganzen Runde aus dem Herzen. Sieben Experten haben sich in der Computerwoche-Redaktion versammelt, um den Mythos Blockchain zu zergliedern. Beim genauen Blick auf die Einzelteile bleibt eine klare Botschaft: Ja, die Blockchain wird kommen. Aber womöglich ganz anders, als viele denken.
Wie Raimund Gross, Innovation Manager Blockchain bei SAP, beobachtet, wird das Thema derzeit falsch verstanden. Gross unterscheidet drei Bereiche: Zum einen die Marketing-Perspektive - "Blockchain bringt Überschriften, Blockchain bringt Klicks". Zum zweiten die Technologie, und da ist vieles "inzwischen fast ein alter Hut". Zum dritten das Konzeptuelle, und erst hier wird es für den Innovation Manager spannend. "Wir bewegen uns weg von zentralisierten Systemen hin zum Dezentralen", sagt er, "das erfordert neues Denken und Handeln in Netzwerken. Das fällt vielen schwer."
- Diskussion um die Blockchain
Experten vom Professor bis zum Praktiker haben sich Anfang Februar in der Computerwoche-Redaktion versammelt, um den Mythos Blockchain zu zergliedern. - Olaf Stöwer, Faizod
„Das Gute am Hype um die Blockchain ist, dass wir bestehende Paradigmen infrage stellen“, sagt Olaf Stöwer, Head of Operations der Dresdner Firma Faizod. - Raimund Gross, SAP
Raimund Gross, Innovation Manager Blockchain bei SAP: „Wir bewegen uns weg von zentralisierten Systemen hin zum Dezentralen. Das erfordert neues Denken und Handeln in Netzwerken. Das fällt vielen schwer.“ - Andrea Martin, IBM
Andrea Martin, Chief Technology Officer bei IBM: „Interesse bekommen wir nur über Use Cases.“ - Robert Bosch, Bearingpoint
Dr. Robert Bosch, Partner bei Bearingpoint: "Viele Marktteilnehmer zäumen das Pferd von hinten auf, nach dem Motto: ,Wir haben eine neue Technologie. Was können wir jetzt damit machen?'" - Dr. Rainhard Z. Bengez, Capgemini
Professor Rainhard Z. Bengez, Senior Manager bei Capgemini Consulting: "Wir versuchen, Misstrauen zu kommerzialisieren." - Burkhard Blechschmidt, Cognizant
Burkhard Blechschmidt, Head of CIO Advisory bei Cognizant: "Es handelt sich um eine geniale Kombination von teils lange bekannten Technologien und mathematischen Modellen“. - Franz Nees, Hochschule Karlsruhe
Professor Franz Nees, Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft: "Geht es um neue Wertschöpfungsmodelle – oder ,nur' um mehr Effizienz?"
Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen ist auch für Andrea Martin der große Pluspunkt. Die Chief Technology Officer der IBM sagt, dass ihr Unternehmen 2015 mit der Technologie an die Öffentlichkeit gegangen ist und 2016 eine Business Unit dafür geschaffen hat. Dadurch hat Martin einerseits mit der pragmatischen Ebene zu tun und weiß: "Interesse bekommen wir nur über Use Cases." Andererseits ist ihr bewusst, dass die Blockchain eine tieferliegende Ebene hat, die auch gesellschaftliche Fragen berührt.
Die Blockchain verspricht eine "Wahrheit auf Knopfdruck"
Diese tiefere Ebene umreißt Professor Rainhard Z. Bengez, Senior Manager bei Capgemini Consulting, mit einem Satz: "Wir versuchen, Misstrauen zu kommerzialisieren." Die Blockchain verspreche eine "Wahrheit auf Knopfdruck". Genau das hat Faizod-Manager Stöwer schon in der Praxis durchgespielt. Einer seiner Kunden, ein Kunststoffhersteller, steht vor dem branchentypischen Problem, zertifizierte Mitarbeiter finden zu müssen. Das Zertifikat ist dabei das eine, das andere die reale Erfahrung des Mitarbeiters. Die Blockchain dokumentiert so etwas.
Eine weitere Seite der Vertrauensfrage bringt Burkhard Blechschmidt, Head of CIO Advisory bei Cognizant, ins Gespräch. Für ihn ermöglicht die Blockchain eine Sharing Economy. Neue Geschäftsmodelle entstehen nicht nur B2B und B2C, sondern auch innerhalb heterogener Konsumenten-Netze. Blechschmidt erwartet global Wertzuwächse, sofern die Menschen erkennen, wie sie Mikrotransaktionen gewinnbringend nutzen können. Beispiel Energie: Durch Nutzung von Solarzellen werden aus bisherigen Konsumenten sogenannte "Prosumer", die gleichzeitig als dezentrale Anbieter agieren.
Für Blechschmidt handelt es sich "um eine geniale Kombination von teils lange bekannten Technologien und mathematischen Modellen". Er will die Blockchain aber gar nicht auf Menschen reduziert sehen. Schließlich bezieht sie smarte Maschinen ein und agiert somit als Katalysator für das Internet of Things (IoT).
- Ethereum
Eine weitere Kryptowährung, die auf dem Blockchain-Prinzip basiert. Bietet eine Plattform für programmierbare Smart Contracts. Die "Ether" werden von Fans als legitime Nachfolger der Bitcoins angesehen (siehe auch obiges Bild). - Cryptlet
Von Microsoft für die Azure-Cloud entwickelter Service, mit dessen Hilfe Anwender externe Daten in eine Blockchain einpflegen können, ohne ihre Sicherheit und Integrität zu zerstören. Cryptlets können als indvidualisierte Middleware auch von Azure-Anwendern selbst entwickelt werden - in jeder beliebigen Programmiersprache - und sollen die Brücke von der Blockchain hin zu neuen Business-Services in der Cloud schlagen. - Kryptowährung
Digitales Geld, ohne Münzen und Scheine. Mithilfe von Kryptografie wird ein verteiltes, sicheres und dezentralisiertes Zahlungssystem aufgebaut. Benötigt keine Banken, sondern Rechenpower und technische Hilfsmittel wie die Blockchain. - Blockchain
Eine Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, die eine stetig wachsende Liste von Transaktionsdatensätzen vorhält. Die Datenbank wird chronologisch linear erweitert, vergleichbar einer Kette, der am unteren Ende ständig neue Elemente hinzugefügt werden (daher auch der Begriff "Blockchain" = "Blockkette"). Ist ein Block vollständig, wird der nächste erzeugt. Jeder Block enthält eine Prüfsumme des vorhergehenden Blocks. <br /><br /> Entwickelt wurde das technische Modell der Blockchain im Rahmen der Kryptowährung Bitcoin - als webbasiertes, dezentralisiertes, öffentliches Buchhaltungssystem aller Bitcoin-Transaktionen, die jemals getätigt wurden. - Bitcoin Core
Die Open-Source-Software validiert die gesamte Blockchain und wurde Anfang 2009 von einem gewissen <a href="http://www.computerwoche.de/a/neue-hinweise-auf-moeglichen-urheber-von-digitalwaehrung-bitcoin,3220391" target="_blank">"Satoshi Nakamoto"</a> unter dem Namen "Bitcoin" veröffentlicht. Bitcoin Core war in C++ zuächst vor allem für Windows-Systeme programmiert worden. Wenig später folgte die Portierung auf GNU/Linux. Weil die Entwickler sich zerstritten, existieren mittlerweile einige Derivate der Bitcoin-Software, unter anderem Bitcoin XT, Bitcoin Unlimited oder Bitcoin Classic. - BigchainDB
Die "skalierbale Blockchain-Datenbank" kann bis zu einer Millionen Schreibvorgänge pro Sekunde verwalten, Petabytes an Daten speichern und wartet trotzdem mit einer Latenzzeit von unter einer Sekunde auf - das alles dezentralisiert verwaltet und bei höchster Datenintegrität. Technische Grundlage ist die Blockchain-Technologie. - Distributed Ledger
Finanz-Fachbegriff für "verteilte Kontoführung". Bitcoin ist ein komplett neuer technischer Ansatz, um Informationen über bestimmte Zuordnungen zu verteilen. Es gibt hier kein klassisches Konto mehr, das zentral bei einer Bank geführt wird, sondern die "Kontoführung" basiert auf einem Netzwerk von kommunizierenden Systemen. - Smart Contract
Ein Computerprotokoll, das Verträge abbilden oder überprüfen oder die Verhandlung eines Vertrags technisch unterstützten kann. Könnte künftig den schriftlichen Vertragsabschluss ersetzen. - R3CEV
Das Startup R3 CEV baut die blockchainbasierte "Global Fabric for Finance". Mit rund 50 Finanzpartnern soll die größte Blockchain der Welt entwickelt werden - ein erster Testlauf mit elf Großbanken, darunter Barclays, Credit Suisse, HSBC, UBS und UniCredit wurde bereits erfolgreich absolviert. R3CEV ist eine strategische Partnerschaft mit Microsoft eingegangen, um Blockchain-Infrastruktur und -Technologie in der Azure Cloud entwickeln zu können. - Ripple
Ein Open-Source-Protokoll für ein Zahlungsnetzwerk - derzeit noch in der Entwicklung. P2P-Zahlverfahren und Devisenmarkt in einem, basiert auf der Kryptowährung "XRP". Ripple-Nutzer sind jedoch nicht auf diese eine Währung festgelegt, sondern können jede beliebige Währung verwenden - also beispielsweise auch Euro, Dollar oder Yen.
"Bitcoin wird sich erledigen, die Blockchain bleibt!"
Darüber wird noch wenig gesprochen. Aktuell pendelt die Datenbank-Debatte aus Sicht von Professor Franz Nees, Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft, zwischen zwei Polen: geht es um neue Wertschöpfungsmodelle - oder "nur" um mehr Effizienz? Nees beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit Banken-IT. Ende 2013, erinnert er sich, sind die ersten Studierenden auf ihn zugekommen und wollten wissen, was es mit der Blockchain auf sich hat, damals im Zusammenhang mit Bitcoin. These des Wirtschaftsinformatikers: "Bitcoin wird sich erledigen, die Blockchain bleibt!"
Und natürlich bleibt sie gerade auch wegen "wenig Spannendem" wie eben Effizienzsteigerungen, bestätigt IBM-CTO Martin. Im jetzigen Arbeitsalltag komme Blockchain leider über einen Proof-of-Concept-Status meist noch nicht hinaus, beobachtet sie. Unternehmen sind durchaus bereit, viele Überlegungen drehten sich aber derzeit noch um Fragen der Skalierbarkeit.
Und das sind ganz typische Fragen, bestätigt Robert Bosch, Partner bei Bearingpoint. Aus seiner Sicht zäumen viele Marktteilnehmer das Pferd von hinten auf, nach dem Motto: "Wir haben eine neue Technologie. Was können wir jetzt damit machen?" Die Antwort will Martinnicht alleine den Anforderungen der Geschäftswelt überlassen. Denn dann "werden wir nie innovativ!"