Smart Factory - jetzt aber schnell

Deutschland braucht den Industrie-4.0-Stecker

23.05.2016
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Franz E. Gruber, Jahrgang 1963, ist Gründer und Chef des Smart-Factory-Spezialisten FORCAM in Ravensburg. Der studierte Wirtschaftsingenieur war in den 1990er Jahren die rechte Hand von Dietmar Hopp bei SAP, bevor er im Jahr 2001 mit FORCAM als Pionier für Fabriksoftware startete, lange vor dem Begriff "Industrie 4.0".
Um bei Industrie 4.0 schneller zu werden, benötigt Deutschland einen Standard für die Anbindung von Maschinen ans Internet. Die Amerikaner sind mit "MTConnect" bereits vorgeprescht.
Industrie 4.0 in Deutschland: Benötigt wird ein Standard-Stecker, mit dem unterschiedliche Maschinen einheitlich an das Internet angeschlossen werden können.
Industrie 4.0 in Deutschland: Benötigt wird ein Standard-Stecker, mit dem unterschiedliche Maschinen einheitlich an das Internet angeschlossen werden können.
Foto: Shutterstock.com - Gorvik

Deutschland - Wir können alles, außer schnell. Auf diese zugespitzte Formel lässt sich die Situation im internationalen Wettlauf um Industrie 4.0 und die Smart Factory bringen. Die vernetzte Produktion war das zentrale Thema bei der diesjährigen Hannover Messe. Doch im Mutterland der Normen und DIN-Vorschriften gibt es bis heute - fünf Jahre nach Einführung des Begriffs Industrie 4.0 - keinen eigenen Schnittstellen-Standard zum einfachen und einheitlichen Anschluss heterogener Maschinenparks an das Internet.

Ein solcher "Industrie-4.0-Stecker" aber wird dringend benötigt. Denn Realität in den allermeisten Fertigungsunternehmen sind heterogene Anlagen, also Maschinen unterschiedlicher Hersteller und Baujahre. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Staufen gibt eine Mehrheit der Industriefirmen an, das Haupthindernis für die vernetzte Produktion sei die Tatsache, dass es noch keine Standards gibt.

Natürlich hat sich in fünf Jahren viel bewegt im Land der digitalen Denker und Lenker. Die deutsche Industrie-4.0-Plattform wird mittlerweile von den Bundesministerien Wirtschaft und Forschung geleitet (www.plattform-i40.de). Die Industrieverbände Bitkom, VDMA und ZVEI haben im Rahmen der 4.0-Plattform eine Referenzarchitektur RAMI 4.0 vorgelegt. Und mit dem US-Pendant Industrial Internet Consortium soll kooperiert werden. Auch ist ein Netzwerk von Testlaboren, das Labs Network Industrie 4.0 im Aufbau (www.lni40.de).

Neu: Standardization Council Industrie 4.0

Jüngster Beschluss der 4.0-Initiative zur Hannover Messe: Die deutschen Industrieverbände und Normungsorganisationen haben ein Standardization Council Industrie 4.0 gegründet (www.sci40.com). Erarbeitet und koordiniert werden sollen Normen und Standards, um im Zeitalter der Digitalisierung die Grenzen zwischen Elektrotechnik, Maschinenbau und IT zu überwinden.

Das alles ist löblich. Und gründlich. Zu hoffen bleibt aber, dass die geplanten Fortschritte nicht bekannten Mustern aus einer Zeit 2.0 folgen statt einem Industriezeitalter 4.0. So ist das deutsche Referenzmodell RAMI 4.0 akademisch sauber - aber auch abstrakt. Digital versierte Manager erzählen mir, dass sie damit in der Praxis bisher wenig anfangen können.

Umso verdienstvoller ist die Gründung des Standardization Council Industrie 4.0. Allerdings ist bezüglich Standards und Normen auch schon teure Zeit verstrichen. So wurde der Vorschlag für eine einheitliche Industrie-4.0-Schnittstelle von hiesigen Verbänden vor geraumer Zeit schon erarbeitet. Der Standard durfte jedoch aufgrund des deutschen Verbandsrechts lange Zeit nicht kommuniziert werden. Das wurde auf einer Podiumsdiskussion im Hasso-Plattner-Institut im März 2015 deutlich.

Mit MTConnect haben die USA Fakten geschaffen

Zeit ist ein erfolgrkritischer Faktor in der digitalen Ära. Noch haben die US-Amerikaner auch beim industriellen Internet die Nase vorn. Die USA haben dabei keinen technologischen Vorsprung, sondern einen Vorsprung durch Tatkraft: Schon vor zehn Jahren initiierte der US-Industrieverband AMT (Association For Manufacturing Technology) den Open-Source-Standard MTConnect als einheitlichen "Internet-Stecker" für Maschinen. Er findet international breite Akzeptanz.

MTConnect ermöglicht den Anschluss unterschiedlichster Maschinen an Internet-Cloud-Anwendungen in kürzester Zeit. Die Erfahrung meines Unternehmens: Via MTConnect ist es möglich, Maschinen schon nach 30 Minuten in Cloud-Lösungen zu integrieren.

MTConnect arbeitet auf XML- und http-Basis und ist gut für alle IT-Projekte, in denen als Echtzeit eine Taktung im Millisekundenbereich ausreicht - also den meisten Anwendungen. MTConnect ermöglicht zum Beispiel auf einfache Weise eine zustandsorientierte Instandhaltung mit Echtzeit-Messung von Temperatur, Vibration, Luftfeuchtigkeit, Stromverbrauch etc..

Der deutsche Manager Dr. Gilbert Meyer-Gauen, IT-Verantwortlicher beim Konzern National Oilwell Varco (NOV) in den USA: "Mit MTConnect ist es sehr einfach, Daten von einer CNC-Maschine zu bekommen. Innerhalb von einer Minute erhalten wir heute Echtzeit-Daten. Das ist Gold für jeden Programmierer."

In der Theorie top, in der Praxis zu langsam

Eine einheitliche Schnittstelle für die Maschinenanbindung wie MTConnect ist zwar nicht das einzige, was eine moderne Industrie-4.0-Landschaft benötigt. Hinzu kommen müssen weitere Faktoren wie schnelles Internet, ausreichende Kapazitäten für Internetprotokolle (jede vernetzte Maschine und jedes vernetzte Teil benötigt eine eigene IP-Adresse) oder In-Memory-IT-Architekturen für schnellste Rechenleistungen.

Alle deutschen Vernetzungsinitiativen in Politik, Verbänden, Kammern und Forschung sind sehr begrüßenswert und haben dafür gesorgt, dass Industrie 4.0 in Deutschland in der Breite in allen Branchen angekommen ist. Aber das Beispiel MTConnect zeigt: Deutschland ist in der Theorie top, aber in der Praxis zu langsam. Der deutsche Unternehmer will einfache, praxistaugliche und bezahlbare Lösungen. Zum Beispiel einen einfachen und universellen RAMI-4.0-Adapter. Und zwar jetzt.

Daher benötigen wir zu aller Gründlichkeit eine höhere Geschwindigkeit. Das neue Standardization Council Industrie 4.0 darf keine Zeit verstreichen lassen. Der internationale 4.0-Wettlauf der führenden Industrienationen um die produktivsten Standorte verzeiht keinen Verzug. Wir müssen bei der vernetzten Fertigungssteuerung in Echtzeit jetzt schnell lernen, unser Wissen und Können auch in Echtzeit in die Fabrikhallen zu tragen.