Bis zu 34 Milliarden Euro könnten allein 2018 eingespart werden, wenn das deutsche Gesundheitswesen digitalisiert arbeiten würde. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse, die die Management-Beratung McKinsey gemeinsam mit dem Bundesverband Managed Care (BMC) e.V. erstellt hat. Die Summe entspreche rund zwölf Prozent des Gesamtaufwands im Gesundheitswesen, der in diesem Jahr bei etwa 290 Milliarden Euro liegen werde.
"Deutschland diskutiert, unsere Nachbarn sind schon weiter", heißt es ein wenig hämisch in der Studie; in Österreich etwa begleite die elektronische Gesundheitskarte die Bürger längst von Arzt zu Arzt und auch ins Krankenhaus. In Ländern wie Schweden, Dänemark, Estland und auch Italien verschickten Ärzte elektronische Rezepte an Patienten oder direkt an die Apotheke, die dann die Medikamente ausliefere. Der britische Gesundheitsdienst NHS arbeite mit Google an einem KI-Projekt, in dessen Rahmen Daten über Krankheitsverläufe und Behandlungsmethoden für die Massen nutzbar gemacht werden sollen.
McKinsey hat für seine Berechnungen das Potenzial von 26 digitalen Gesundheitstechnologien analysiert und für das deutsche Gesundheitssystem quantifiziert. Mehr als 500 Forschungsdokumente wurden ausgewertet, außerdem gingen Erfahrungen aus früheren Projekten und Interviews mit Verantwortlichen der Gesundheitsbranche in die Erhebung ein. Würden alle 26 Technologien erfolgreich ausgerollt, käme es zu den besagten Einsparungen von 34 Milliarden Euro, heißt es.
Ärzte und Krankenhäuser haben viel Aufholpotenzial
Der größte Hebel liege bei den Leistungserbringern, den Ärzten und Krankenhäusern also (70 Prozent), der kleinere bei den Krankenkassen und sonstigen "Akteuren des Systems". Wenn also Ärzte behaupteten, digitale Technologien würden ihnen nur zusätzliche Arbeit verursachen, sei das schlicht falsch. Einen relativ kleinen Hebel bietet den Untersuchungen zufolge das oft diskutierte digital unterstützte Selbstmanagement der Patienten. Viel mehr würde die breite Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und des elektronischen Rezepts bringen.
McKinsey ordnet die 26 digitalen Gesundheitstechnologien in sechs Lösungsgruppen ein:
Umstellung auf papierlose Daten (Nutzenpotenzial: 9 Mrd. Euro)
Online-Interaktion (8,9 Mrd. Euro)
Ergebnistransparenz/Entscheidungsunterstützung (5,6 Mrd. Euro)
Arbeitsabläufe/Automatisierung (6,1 Mrd. Euro)
Patienten-Selbstbehandlung (3,8 Mrd. Euro)
Patienten-Self-Service (0,5 Mrd. Euro)
Das Nutzenpotenzial setze sich gleichermaßen aus Effizienzsteigerungen und Nachfragereduzierungen zusammen. Eine geringere Nachfrage ergebe sich etwa, wenn Doppeluntersuchungen vermieden und durch bessere Behandlungen Folgeschäden minimiert werden könnten. Am meisten profitieren könnten von der Digitalisierung die stationäre Krankenhausversorgung (15,8 Mrd. Euro), gefolgt von der ambulanten Haus- und Facharztversorgung (6,2 Mrd. beziehungsweise 8,9 Mrd. Euro).
Geht man in die Details der sechs genannten Kategorien (hier geht's zur Studie), so findet sich dort unter anderem die elektronische Patientenakte wieder, die das zentrale Erfassen, Vorhalten und Einsehen aller Patienteninformationen vorsieht und von jedem Arzt, Krankenhaus oder Pflegeheim genutzt werden kann. Sie bietet den größten Nutzen aller digitalen Einzeltechnologien. Nennenswerte Effekte werden zudem mit Teleberatung, der Fernüberwachung chronisch kranker Patienten sowie der mobilen Vernetzung des Pflegepersonals erzielt.
Endlich die Gesundheitskarte einführen ...
McKinsey und BMC raten den Akteuren im Gesundheitswesen dringend, die elektronische Gesundheitsakte und das E-Rezept endlich einzuführen. Sie müsse offene Schnittstellen zwischen der Online- und Offlineversorgung vorsehen und es gelte Sorge zu tragen, dass die anfallenden persönlichen Daten in der Verfügungsmacht der Patienten bleiben. Geschäftsmodelle, die allein auf dem Zugriff auf Gesundheitsdaten beruhen, seien auszuschließen.
Außerdem sollten die Regulierer den Krankenkassen mehr Spielraum geben, Ökosysteme aus Online- und Offlineanbietern aufzubauen, die echten Nutzen für Patienten schaffen. Die Zukunft gehöre hybriden Versorgungsmodellen. Auch sollten die Kassen die Entwicklung der elektronischen Gesundheitsakte sowie des E-Rezepts aktiv unterstützen.
Von den Ärzten und Krankenhäusern fordern die Studienautoren, sich zu öffnen und ihre Ängste zu überwinden. Diese Gruppe habe am meisten zu gewinnen, denn die Digitalisierung eröffne ihnen große Chancen.