Bundesrechnungshof warnt

Deutscher Rentenversicherung droht IT-Desaster

15.12.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Veraltete Systeme, fehlendes Personal und vor allem das Zaudern der Verantwortlichen könnten in der Datenstelle der Rentenversicherungsträger eine IT-Katastrophe verursachen.
IT-Probleme geht man besser zügig an, statt sie zu ignorieren.
IT-Probleme geht man besser zügig an, statt sie zu ignorieren.
Foto: wernimages - shutterstock.com

Der Deutschen Rentenversicherung droht ein IT-Desaster, warnt der Bundesrechnungshof in seinen Bemerkungen 2023. Die gemeinsame Datenstelle der Rentenversicherungsträger (DSRV) sei seit Jahren dringend modernisierungsbedürftig, kritisieren die Rechnungsprüfer. Mittlerweile sei nicht nur die Funktionsfähigkeit der DSRV gefährdet, sondern generell die Arbeit der Rentenversicherung.

Bei der DSRV handelt es sich um die gemeinsame Datenstelle aller Rentenversicherungs- (RV-)Träger in Deutschland. Hier laufen Daten von mehr als 50 Millionen gesetzlich Versicherten und rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern zusammen. Darüber hinaus wird hier den Datenaustausch zwischen den einzelnen RV-Trägern wie auch mit anderen Stellen zu Beispiel der Justiz- und Finanzverwaltung sowie mit den Arbeitgebern geregelt. Insgesamt dürfte die DSRV damit hierzulande die größte Drehscheibe für Sozialdaten sein.

Verwaltet wird die Datenstelle von der Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Die Aufsicht hat das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Beiden wirft der Bundesrechnungshof vor, in Sachen IT-Modernisierung zu lange untätig geblieben zu sein.

IT-Probleme seit Jahren bekannt

Bereits seit 2012 sei den Verantwortlichen bewusst, dass die Systeme der DSRV dringend modernisiert werden müssten. Die Kernprobleme: alte Technik, zu wenig Personal und IT-Verfahren, die nur lückenhaft dokumentiert sind. Zwar startete erst 2019 ein Modernisierungsprojekt mit dem Ziel, die IT-Verfahren der DSRV bis Ende 2023 auf eine neue, technisch moderne Plattform umzustellen.

Doch daraus dürfte auch auf absehbare Zeit hin erst einmal nichts werden. Da die Verantwortlichen zu lange zögerten, lasse sich der Zeitplan nicht halten, konstatiert der Rechnungshof. Der DSRV fehle schlichtweg das Personal, um das Projekt wie vorgesehen umzusetzen. Die bestehenden IT-Verfahren nachträglich zu dokumentieren, sei zudem weitaus aufwendiger als gedacht. Beides trage wesentlich dazu bei, dass ein kurzfristiger technischer Umstieg nicht möglich sei, lautet das Fazit der Prüfer. Die DRV Bund habe daher entschieden, die DSRV mit der alten Technik für mindestens fünf bis zehn Jahre weiter zu betreiben.

In den vergangenen Jahren haben die Rechnungsprüfer etliche IT-Desaster in der deutschen Verwaltung angeprangert:

Währenddessen tickt in der deutschen Rentenversicherung eine IT-Zeitbombe. Die DRV Bund selbst warnte bereits vor den Folgen, wenn bald die letzten Wissensträgerinnen und -träger altersbedingt die DSRV verlassen. Durch Wissensmonopole einzelner Beschäftigter und Dokumentationslücken seien wichtige technische Zusammenhänge unklar, hieß es. Dies gefährde nicht nur den weiteren Betrieb der alten Technik, sondern erschwere auch die erforderliche Modernisierung. IT-Verfahren könnten nicht modernisiert werden, wenn das maßgebende Wissen durch Personalabgänge verloren gehe. Es gehe mittlerweile um einen "Wettlauf gegen die Zeit".

Kostenrisiko nicht kalkulierbar

Diesen Wettlauf zu gewinnen, dürfte nicht einfach werden. Da das interne Wissen der DSRV inzwischen nicht mehr ausreiche, müsse die Behörde für den Betrieb der alten Technik auf externe Dienstleister zurückgreifen. Allgemeiner Fachkräftemangel und geringes Interesse am Erlernen alter Technologien erschwerten nach Einschätzung der DRV Bund, ausreichend eigenes Personal zu gewinnen. Es sei daher zu erwarten, dass auch künftig teures externes Expertenwissen in Anspruch genommen werden müsse.

Die Höhe der Mehrkosten für den Weiterbetreib der alten Technik und die dafür notwendigen externen Services können die Verantwortlichen bei der DRV Bund offenbar nicht beziffern. Diese Situation hält der Bundesrechnungshof für bedenklich. "Das Kostenrisiko ist somit nicht kalkulierbar."

Die Deutsche Rentenversicherung Bund hofft mit dem Multiprojekt DSRV.move die Probleme in den Griff zu bekommen.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund hofft mit dem Multiprojekt DSRV.move die Probleme in den Griff zu bekommen.
Foto: Deutsche Rentenversicherung Bund / Armin Okula

Bei der Deutschen Rentenversicherung räumt man ein, dass die DSRV umfassend erneuert werden müsse, und dass man sich bei der Projektplanung verschätzt habe. Anfänglich sei man von einem deutlich weniger komplexen Modernisierungsprozess ausgegangen, hieß es. Das ursprüngliche Projekt sei daher im Jahr 2022 gestoppt und als Multiprojekt DSRV.move neu aufgestellt worden. Dabei sollen die IT-Verfahren nicht einfach auf eine neue technische Plattform gehievt werden. Vielmehr soll vorher auch deren innere Struktur und Logik optimiert werden.

Die Modernisierung müsse dynamischer gestaltet werden, hieß es von Seiten der DRV Bund. Demzufolge sollen während des laufenden Betriebs zunächst wichtige Schlüsselverfahren migriert werden. Ein anderes Unterprojekt werde sich den fehlenden Dokumentationen der Altsysteme befassen. Es sei davon auszugehen, dass dieser Prozess noch einige Jahre dauern werde, warnt die Behörde. Zudem mache der parallele Betrieb beider Plattformen den Einsatz einer hohen Anzahl an Mitarbeitenden sowie eine längerfristige Zeitplanung notwendig.

Rechnungsprüfer fordern bessere Projekt- und Kostenplanung

Den Rechnungsprüfern schwant indes nichts Gutes. Sie verweisen auf die weiterhin schwierigen Rahmenbedingungen und vergleichen den Umstieg auf eine neue technische Plattform mit einer Neuentwicklung der IT-Verfahren. "Damit bestehen die bisherigen Projektrisiken nicht nur fort. Durch den weitaus größeren Zeit- und Personalbedarf des Multiprojekts ist nicht auszuschließen, dass sie sich sogar noch verschärfen."

Der Bundesrechnungshof fordert daher, das neue Multiprojekt mit höchster Priorität zu behandeln und ein erneutes Scheitern zu verhindern. Dafür sei dringend eine fundierte Projekt- und Kostenplanung erforderlich. Außerdem müsse das BAS eine funktionierende Aufsicht sicherstellen, um jederzeit über den Stand des Modernisierungsprozesses informiert zu sein und bei Bedarf rechtzeitig steuernd eingreifen zu können.

DRV Bund sieht keine besonderen Kostenrisiken

Die Verantwortlichen bei der DRV Bund sehen sich derweil in ihren Modernisierungsbemühungen auf einem guten Weg und sehen keine besonderen Kostenrisiken. Zum Bericht des BRH nimmt die Behörde wie folgt Stellung:

"Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) hat bereits frühzeitig mit der Modernisierung der Datenstelle der Rentenversicherung (DSRV) begonnen: Die elektronischen Verfahren wurden sukzessive umgestellt und erneuert und der fortschreitenden Digitalisierung angepasst. Das eigene, interne Modernisierungsvorhaben musste allerdings zurückpriorisiert werden, da vor allem gesetzliche Aufträge mit entsprechendem zeitlich knappen Umsetzungsvorgaben zu bearbeiten waren.

Anders als der BRH, sieht die DSRV gegenwärtig kein besonderes Kostenrisiko bei einem verlängerten Weiterbetrieb des bisherigen Großrechners. Darüber hinaus ist für den Betrieb der Anlage im Vergleich zu anderen Server-Infrastrukturen verhältnismäßig wenig Personal zur Betreuung notwendig. Die verwendete Technik verfügt über hoch performante Spezifikationen aktueller Bauart und stellt sich als sehr leistungsfähig dar. Hinsichtlich der Katastrophenvorsorge wurden alle notwendigen Infrastrukturkomponenten beschafft. Die branchenüblichen Sicherheitsstandards werden allesamt eingehalten."