Personalisierte Therapien gelten als erfolgversprechende Ansätze im Kampf gegen viele Krebserkrankungen. Doch bislang ist dies meist nur eine theoretische Option, denn bei Krebspatienten fallen bis zu 100 Terabyte an individuellen, meist sehr heterogenen Daten an. Dazu zählen etwa Blut- und Tumorwerte, persönliche Indikatoren, Sequenzier- und Therapiedaten und vieles mehr. Informationen, die bislang aus Mangel an geeigneten Verarbeitungsmechanismen in ihrer Fülle kaum effizient genutzt werden können.
Um dies zu ändern, setzt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg nun auf die Rechenleistung des Quantencomputings. Hierzu will das DKFZ den ersten deutschen Quantencomputer in Ehningen nutzen. Dort betreibt die Fraunhofer Gesellschaft seit Juni 2021 mit dem "Quantum System One" von IBM Europas leistungsstärksten Quantencomputer (wir berichteten). Diesen soll das DKFZ als Fraunhofer-Kooperationspartner künftig ebenfalls verwenden können.
Quantencomputing in der Krebsforschung
Mit Hilfe der Quantentechnologie will man die Forschung auf dem Gebiet der Krebstherapie vorantreiben. "Wir wollen ergründen, wie wir mit einem Quantencomputer solche heterogenen Daten systematisch aufbereiten und nutzen können, um damit neue, gezieltere Wege zu finden für Patienten, bei denen Immuntherapien weniger wirksam sind. Die übergeordnete Frage lautet letztlich: Wie kann welcher Patient von welcher Therapie profitieren?", erklärt Dr. Niels Halama, Abteilungsleiter Translationale Immuntherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Oberarzt am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen. Dabei gilt es zudem zu klären, welche Fragestellungen sich überhaupt dafür eigen, um von Quantenrechnern gelöst zu werden?
Die mathematischen Grundlagen hat das DKFZ-Team bereits erarbeitet und erste Erfahrungen an anderen Systemen und Simulatoren gesammelt. Allerdings ist es laut Halama ein riesiger Unterschied, ob man an einem Simulator mit perfekten Qubits arbeitet oder an einem richtigen Quantencomputer wie dem IBM Q System One in Ehningen. Erst dort sieht man, wie stabil er bei einer gewissen Komplexität läuft, wo Fallstricke sind, was möglich ist. In Ehningen wollen die Forscher ihre Ideen nun anwendungsnah weiterentwickeln und konkretisieren. So geht es darum, herauszufinden, welche Algorithmen sich zur Informationsverarbeitung eignen, wie sie angepasst oder gegebenenfalls neu entwickelt werden können. Ebenso gilt es, herauszufinden, wie die Fehlerkorrekturen zu optimieren sind.
Zukunftsmodell QaaS?
Einen hohen Stellenwert bei der Arbeit mit dem Quantencomputer haben für Halama folgende drei Punkte: Datenschutz, Schnelligkeit und Flexibilität. Noch wird mit Testdaten gearbeitet, doch wenn künftig echte Patientendaten zum Einsatz kommen, "ist es ein großer Pluspunkt, dass der Ehninger Quantencomputer unter deutschen Datenschutzrecht läuft und die Daten lokal vor Ort bleiben", erklärt Mediziner Halama. Die Schnelligkeit von Berechnungen, die Quantencomputing in Zukunft herkömmlichem Computing überlegen machen könnte, ist ein weiteres wichtiges Kriterium, denn bei Krebspatienten zählt schlicht jeder Tag und schnelle Entscheidungen sind gefragt. Da Quantenprozessoren Daten parallel statt hintereinander verarbeiten können (siehe auch: "Programmierer müssen umlernen"), haben sie das Potenzial, auch große Datenmengen in einem Bruchteil der Zeit zu analysieren, die normale Computer brauchen.
Interessant ist laut dem Mediziner zudem das flexible, monatliche Ticketmodell, das das Fraunhofer-Kompetenznetzwerk Quantencomputing seinen Partnern anbietet. So könne man das System flexibel nutzen, ohne fixe Kosten über einen längeren Zeitraum zu haben. Letztlich bleibt also abzuwarten, ob wir in wenigen Jahren von Quantencomputing as a Service (QaaS) sprechen.