Die neue Mobilfunkgeneration 5G verspricht nicht nur höhere Bandbreiten für Privatnutzer, sondern eröffnet der Industrie dank Eigenschaften wie geringer Latenzzeit und sicherer Hochverfügbarkeit neue Lösungen für die Industrie 4.0 und die Vernetzung von Maschinen in der Produktion. So verfügt 5G über viele Netzcharakteristika, die in einer modernen Fertigung mit immer flexibler und komplexer werdenden Produktionsabläufen essenziell sind und bietet sich somit als Alternative zu Ethernet- oder WLAN-Verbindungen an.
"Mit 5G ändert sich die Welt", erklärt Bosch-Forscher Dr. Andreas Müller in der ZVEI-Publikation AMPERE. "Erstmals wird eine Kommunikationsinfrastruktur zur Verfügung stehen, die auch anspruchsvollste Anwendungen im Internet der Dinge (IoT) unterstützen kann."
Der ZVEI-Fachverband Automation beschäftigt sich nach eigenen Angaben bereits seit zwei Jahren in einer speziellen Taskforce mit 5G. Dabei sei der Anfang 2018 daraus hervorgegangenen 5G Alliance for Connected Industries and Automation (5G-ACIA) schnell klar geworden, dass man die Ausgestaltung des Standards nicht allein TK-Anbietern und -Ausrüstern überlassen dürfe, weil sonst Konsumgüter und Verbraucher im Vordergrund stehen würden. Um hier stärker Einfluss zu nehmen, erstellte die Allianz einen Anforderungskatalog für die industrielle Kommunikation. Er soll in die Arbeit des Standardisierungsgremiums 3GPP einfließen, das für Dezember 2019 die nächsten 5G-Spezifikation ("Release 16") plant.
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5G erlaubt neue Betreibermodelle
Eine andere ZVEI-Arbeitsgruppe beschäftigt sich rund um 5G mit dem Thema Spektrum und Betreibermodelle. Der Grund dafür ist, dass es in 5G-Netzen möglich ist, die Funkübertragung im hochsicherheitskritischen Produktionsumfeld durch die Funktion Network Slicing von der allgemein nutzbaren Mobilfunkinfrastruktur zu trennen. Manchen Fabrikbetreibern reicht diese Separierung allerdings nicht aus. Namhafte Firmen wie ABB, Audi, BASF, Bosch, Sennheiser, Siemens, Daimler und VW planen Berichten zufolge, nicht den klassischen Weg über die öffentlichen Netze der Mobilfunkbetreiber zu gehen, sondern wollen eigene lokale 5G-Netze aufbauen.
Dass diese Option überhaupt existiert, ist in Deutschland einer Regelung der Bundesnetzagentur (BNetzA) zu verdanken. Die für die Vergabe der 5G-Frequenzen verantwortliche Behörde hat einen Teil des Frequenzspektrums explizit für regionale und lokale Anwendungen reserviert. Das Band zwischen 3,7 und 3,8 Gigahertz soll nicht Bestandteil der bundesweiten Ausschreibung werden, sondern direkt an sich bewerbende Institutionen vergeben werden. Für den Frequenzbereich bei 26 Gigahertz (Millimeter Wave) wird ebenfalls ein Antragsverfahren erarbeitet. Allerdings haben alle drei großen deutschen Carrier gegen das Vergabeverfahren der BnetzA Klagen eingereicht. Deshalb könnte sich an den Modalitäten durchaus noch etwas ändern.
Der ZVEI vertritt ebenfalls die Auffassung, dass der Betrieb der neuen mobilen Fabriknetze in der Hand der Unternehmen liegen sollte. "In der Fabrik der Zukunft wachsen Kommunikations- und Automatisierungstechnik zusammen", erläutert Müller in der Verbands-Publikation. Wichtige Teile der Anlagensteuerung könnten künftig kleine dezentrale Server in der Fabrikhalle übernehmen. Der Bosch-Manager verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit, mit der potenziell hohen Rechenleistung in diesen Edge Clouds große Datenmengen via AI quasi in Echtzeit zu analysieren und zu verarbeiten. Dabei handle es sich um wettbewerbsrelevante Daten, die absolut unter Verschluss gehalten werden müssten, so Müller. Außerdem sei die Haftungsfrage bei einem externen Betreiber fast nicht lösbar, falls es durch Netzprobleme zu Schäden oder Produktionsausfälle komme.
Ganz unstrittig ist diese Meinung im Verband allerdings nicht, weshalb zu den Mitgliedern der 5G-ACIA seit Gründung auch die hiesigen Mobilfunkanbieter Telekom und Vodafone sowie Netzausrüster wie Nokia, Huawei oder Ericsson gehören.
5G als WLAN-Ersatz in der Smart Factory
Zusammen mit dem Stockholmer Mobilfunkausrüster errichtet VW-Tochter Audi derzeit in der Nähe von Ingolstadt ein Testfeld mit einer 5G-Funkzelle. Dabei soll geprüft werden, welche Chancen die 5G-Technologie für industrielle Anwendungsfälle in der Smart Factory bietet. Konkret untersucht das Team die kabellose Interaktion zwischen einem Industrieroboter und einer Klebeapplikation - ein automatisierter Prozess, der in einer Automobilproduktion an der Tagesordnung ist. Aktuell nutzt Audi in seinen Produktionsstätten WLAN als primäre Drahtlos-Technologie und bindet seine Industrieroboter vorwiegend über Ethernet an. Wie Henning Löser, Senior Manager Audi Production Lab, gegenüber "Technology Review" erklärte, besteht aber der Wunsch, die Roboter kabellos anzubinden, um die Produktion agiler und flexibler zu machen. WLAN habe aber Schwierigkeiten dabei, wenn sich Roboter schnell bewegen müssen oder Daten in Echtzeit zu streamen sind.
Eine andere 5G-Initiative auf internationaler Ebene stellt das vom Elektronikunternehmen Weidmüller und 16 weiteren Projektpartnern, darunter Telefonica, Huawei und Nokia, vorangetriebene Forschungsprojekt 5GTango dar. Unter anderem testen die Projektpartner in dem Piloten "Smart Manufacturing" den Einsatz der neuen Mobilfunktechnologie in einem industriellen Anwendungsszenario. So wird in einem speziell aufgebauten IIoT-Testbed untersucht, wie man Maschinen via 5G drahtlos vernetzen kann. Das Testbed bestehent aus zwei Kunststoff-Spritzgießmaschinen, drei Schaltschränken und einer Plattform, in der die Prozess- und Maschinendaten erfasst und bereitgestellt werden.
Ziel ist zum einen, die standardmäßig via Ethernet angebundenen Maschinen flexibler in der Produktion einzusetzen. Zum anderen wollen die Ingenieure mit Hilfe der neuen Mobilfunktechnologie Informationen über die Betriebszustände in Echtzeit direkt an einen Server übertragen, ohne auf die Daten aus der Maschinensteuerung angewiesen zu sein. Auch hier spielt die Funktion Network Slicing, mit der das Mobilfunknetz in virtuelle Abschnitte mit speziellen Eigenschaften unterteilt werden kann, eine wichtige Rolle: Mit ihr lassen sich besonders zeitkritische Datenströme dynamisch priorisieren.
Die schnelle Übertragung von Daten könnte aber auch zu Kommunikationszwecken, etwa bei der Wartung genutzt werden. So setzt Weidmüller seit Anfang 2017 AR-Brillen (Augmented Reality) ein, um bei Problemen in der Fabrik via HD-Video-Streaming einen Experten zu Rate zu ziehen. In einem zweiten Use Case namens Immersive Media entwickelt 5GTango einen anpassbaren und immersiven End-to-End-Streaming-Service, mit dem Video-Streams von mehreren Quellen zu hochauflösendem 360-Grad-AR/VR-Inhalt verschmelzen.
Gartner: Zwei Drittel der Unternehmen wollen bis 2020 5G-Netze einsetzen
Die beschriebenen Ambitionen der Firmen decken sich mit den Ergebnissen einer Umfrage von Gartner, wonach 66 Prozent der befragten Organisationen bis 2020 5G einsetzen wollen. Voraussichtlich verwendet werden soll die Technik für IoT-Kommunikation und Video, wobei die Effizienz im Vordergrund steht, heißt es im typischen Gartner-Sprech. "Was die Einführung von 5G betrifft, haben Endanwenderorganisationen klare Anforderungen und Erwartungen an die damit möglichen Use-Cases", erklärt Sylvain Fabre, Senior Research Director bei Gartner.
Das große Problem ist laut Gartner jedoch, dass die 5G-Netze der Mobilfunkanbieter bis dahin entweder nicht verfügbar oder für die Bedürfnisse von Unternehmen nicht geeignet seien. So gehen die Analysten davon aus, dass sich die Carrier zunächst auf Breitbanddienste für Verbraucher konzentrieren werden, um ihre Investitionen wieder hereinzuholen. Dadurch könnten sich Investitionen in für 5G-Projekte relevantere und wertvollere Features wie Edge Computing und Core Net Slicing verzögern.
"Kurz- bis mittelfristig können sich Unternehmen, die 5G für Anwendungsfälle wie IoT-Kommunikation, Video, Steuerung und Automatisierung, drahtlosen Festnetzzugang und leistungsstarke Analysen am IoT-Edge nutzen wollen, nicht vollständig auf die öffentliche 5G-Infrastruktur verlassen", fügt Fabre hinzu. Daher werden private Netzwerke für Unternehmen die Option sein, wenn sie frühzeitig von den 5G-Funktionen profitieren wollen. Diese Netzwerke können Fabre zufolge nicht nur von Carriern, sondern auch direkt von Infrastrukturanbietern angeboten werden - und zwar nicht nur von den traditionellen großen Anbietern von Infrastruktur, sondern auch von Anbietern mit Cloud- und Software-Hintergrund".