Streitpunkt Arbeitnehmerüberlassung

Der Markt für IT-Freelancer

19.06.2019
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Die Nachfrage nach IT-Freiberuflern ist weiterhin hoch. Allerdings beunruhigen rechtliche Unsicherheiten sowie konjunkturelle Sorgen die Personalvermittler.
  • Die Arbeitnehmerüberlassung stellt Unternehmen, Personaldienstleister und IT-Freiberufler vor Probleme.
  • Spezialisierte Freiberufler werden besser bezahlt als Anbieter von Standard-Dienstleistungen.
  • Unternehmen sollten das Thema Compliance sehr ernst nehmen.

Aus der einstigen Nische hat sich der Normalfall entwickelt: IT-Freiberufler sind in vielen Projekten präsent, und nach Angaben der Einsatzunternehmen kommen inzwischen 54 Prozent der IT-Experten von außen - so eine Umfrage der COMPUTERWOCHE zum Status quo der Branche. Der Grund für den Erfolg des Modells liegt sicher nicht nur an der Nachfrage nach speziellen Kompetenzen, sondern auch an der Zufriedenheit aller Beteiligten. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der gemischten Teams aus internen und externen Mitarbeitern: Stattliche 99,2 Prozent der Unternehmen sind zufrieden mit Mixed Teams, Befragte aus der IT und Fachbereichen stimmen sogar zu 100 Prozent zu. Auch mehr als zwei Drittel der Freiberufler sind "grundsätzlich immer" oder zumindest "sehr häufig" mit dem Einsatz in gemischten Arbeitsgruppen zufrieden.

IT-Freelancer mit spezialisierten Kompetenzen oder ausgeprägten Erfahrungen sind weiterhin gut ausgelastet.
IT-Freelancer mit spezialisierten Kompetenzen oder ausgeprägten Erfahrungen sind weiterhin gut ausgelastet.
Foto: Tashatuvango - shutterstock.com

Win-win? Grundsätzlich ja, wenn es nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen geben würde, die das Arbeitsumfeld in einem diffusen Licht erscheinen lassen. Fehlende Einheitlichkeit bei Vorgehensweisen und Normen sowie rechtliche Unklarheiten könnten auf Dauer als Wachstums- und Innovationshemmer für die Wirtschaft wirken, befürchtet nicht nur Experis-Geschäftsführerin Sonja Pierer. Schließlich gehe es hier sowohl um Scheinselbständigkeit als auch um das 2017 reformierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mit neuen und zusätzlichen Herausforderungen etwa zur verdeckten Arbeitnehmerüberlassung.

Sonja Pierer, Experis: "Je höher die Qualifikation eines externen Spezialisten, umso geringer ist der Kostenunterschied zwischen einem Freiberufler und einem ANÜ-Projektmitarbeiter."
Sonja Pierer, Experis: "Je höher die Qualifikation eines externen Spezialisten, umso geringer ist der Kostenunterschied zwischen einem Freiberufler und einem ANÜ-Projektmitarbeiter."
Foto: Experis

Auch Carlos Frischmuth von Hays verweist bei den größten Herausforderungen auf die arbeitsmarktpolitischen Regulierungen, die zu einer "hohen Sensibilität beim Einsatz von Fremdpersonal mit Dienstverträgen" geführt hätten. Mit Folgen, so der Manager Director IT Contracting: "Abläufe verzögern sich durch längere Prüfzeiten, es wächst die Bürokratie." Und GULP- Geschäftsführer Ertan Demirel spricht von einer deutlichen Verunsicherung am Markt: "Wir erkennen den Trend, dass viele Entscheider auf der Unternehmensseite angesichts der rechtlichen Unsicherheit eine Vermeidungsstrategie verfolgen."

Frank Eckes, Geschäftsführer der Allgeier Experts Go GmbH, sieht die rechtlichen Rahmenbedingungen ebenfalls als potenzielle Bremse für die weitere Entwicklung: "Ich halte die Veränderungen für schlecht durchdacht und im Fall der IT-Experten für ein nicht adäquates und im Übrigen auch nicht notwendiges Mittel, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen." Die Unsicherheit schlage sich Eckes zufolge auch auf den Markt nieder, "derzeit stagnieren die Projektanfragen für Freelancer-Unterstützung auf hohem Niveau". Für den Allgeier-Manager ist klar: "Die Nachfrage bestimmt den Preis. Fallen die gesetzlichen Schranken, werden sowohl die Anzahl an Projektanfragen als auch die Preise wieder steigen." Denn trotz der Verunsicherungen durch den Gesetzgeber sei die Notwendigkeit, Freelancer-Know-how zu nutzen, weiterhin vorhanden.

Studie weist leichten Rückgang der Stundensätze aus

Damit spielt Eckes auf eine überraschende Erkenntnis der aktuellen COMPUTERWOCHE-Studie an: Die Hoffnungen der IT-Freiberufler an die weiterhin positive Entwicklung des Stundensatzes haben sich 2018 zumindest laut der Umfrage nicht erfüllt. Statt wie erwartet zu einem deutlichen Anstieg ist es zu einem leichten Rückgang der Stundensätze auf 86,73 Euro gekommen. Der Dämpfer zeigt sich auch in den prognostizierten Umsätzen für 2019, wo sich die Erwartungen etwas eingetrübt haben. Zudem ist der Anteil der Freelancer mit einem Jahreseinkommen über 160.000 Euro leicht zurückgegangen. Experis-Geschäftsführerin Pierer führt die Entwicklung der Honorare zum Teil darauf zurück, dass die Zahl der IT-Freelancer in den vergangenen Jahren gestiegen ist. "Durch den größeren Pool an verfügbaren Experten kommt Bewegung in den Markt. Je nach Spezialisierung ist der Preisdruck in einzelnen Bereichen zu spüren." Insgesamt bewege sich der Markt aber weiter auf einem hohen Niveau.

Andere wollen die sinkenden Stundensätze nicht bestätigen, etwa Marcel Abel, Geschäftsführer der Modis Contracting Solutions GmbH: "Unsere eigene Statistik weist bei den Stundensätzen der Freiberufler vielmehr auf einen leicht steigenden Trend hin." Seiner Einschätzung nach werden die Herausforderungen der Kunden immer komplexer und Freiberufler dadurch immer gefragter. "Diese Umstände haben zu einer Steigerung der Stundensätze geführt." Keinen generellen Abwärtstrend sieht auch Hays-Manager Carlos Frischmuth: "Dass die Stundensätze nach unten gehen, deckt sich nicht mit unserer Erfahrung." Vielmehr sei über die letzten Jahre hinweg eine kontinuierliche und stabile Entwicklung nach oben erkennbar. "Dieser Anstieg ist moderat verlaufen, explodiert sind die Stundensätze nicht."

Experten für KI, Big Data und BI sind heiß begehrt

GULP-Geschäftsführer Demirel pflichtet ihnen bei: "Laut unserem Stundensatzkalkulator sind die geforderten Honorare der bei uns registrierten Freelancer im letzten Jahr weiterhin leicht gestiegen." Eine Erklärung für den langsameren Aufstieg könnte seiner Einschätzung nach sein, dass mehr IT-Experten den Schritt in die Selbständigkeit gewagt haben, nicht zuletzt wegen der guten Auftragslage in den vergangenen Jahren. Zudem sei der Bedarf an externen Experten ein Indikator für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, die gegen Jahresende einen leichten Abschwung verzeichnete. "Unsere Beobachtung ist", so Demirel, "dass gerade in den Trendbereichen wie KI, Big Data oder Business Intelligence externe Fachleute extrem gefragt sind. Freelancer fordern für diese Themen auf unserer Plattform Stundensätze von 100 Euro oder mehr."

Aktuelle Projektbudgets stehen auf dem Prüfstand

Nikolaus Reuter, CEO der Etengo (Deutschland) AG, erkennt ebenfalls keine fallenden Stundensätze: "Unsere Zahlen sprechen eine andere Sprache, die vergangenen drei Jahre haben sich die Honorare durchweg positiv entwickelt." Mit durchschnittlich 5,7 Prozent sei der Zuwachs von 2017 auf 2018 "saftig" ausgefallen. "Dies spiegelt die Marktsituation wider", bilanziert Reuter, "daher würde ich die Zahlen der Studie nicht auf die Goldwaage legen." Allerdings räumt der Etengo-Chef trotz der "robusten Nachfrage" ein, dass vereinzelt auch bereits laufende Projekte auf den (Budget-)Prüfstand gestellt werden. Dies habe vor allem zwei Gründe: "Zum einen gibt es strategische Kontrollen, ob man den eingeschlagenen Weg - gerade bei Innovations- und Digitalisierungsprojekten - so weitergehen möchte oder auf Basis der bisherigen Erkenntnisse etwas nachzujustieren ist. Zum andern erleben wir stellenweise eine Zurückhaltung aufgrund der unklaren gesamtkonjunkturellen Entwicklung."