Vor ein paar Monaten ist der Investor Silver Lake bei der Software AG mit 344 Millionen Euro eingestiegen. Haben sich seitdem schon strategische Weichenstellungen im Unternehmen geändert?
Dr. Stefan Sigg: Silver Lake verfolgt ganz klar den Plan, die Software AG noch stärker als bisher auf eine Wachstumsschiene zu führen. Wir wollten natürlich auch schon vorher wachsen, aber jetzt gibt es nochmal einen kräftigen Schub.
Wie kann ein Investor wie Silver Lake dabei helfen?
Sigg: Da spielen verschiedene Themen eine Rolle, etwa die Erfahrung von Silver Lake mit Unternehmen, die eine ähnliche Transformation durchlaufen haben, wie wir das mit unserem Helix-Programm tun. Das betrifft insbesondere die Umstellung des klassischen Lizenzgeschäfts in ein Subskriptions- und Cloud-Business, wo alles nur pro rata gebucht werden kann. Es gibt also schon auf der finanztechnischen Seite Best Practices, die wir nutzen können.
Natürlich spielt auch das Netzwerk an Firmen, an denen Silver Lake beteiligt ist, eine Rolle. Und die Tatsache, dass eine Persönlichkeit wie der ehemalige Red-Hat-CEO Jim Whitehurst vom nächsten Jahr an Mitglied in unserem Aufsichtsrat sein und dort eine beratende Funktion einnehmen wird, ist ebenfalls ein Gewinn. Das Portfolio von Red Hat weist ja durchaus Ähnlichkeiten mit unserem auf, außerdem versteht Whitehurst das Geschäft, das Go-to-Market, und er kennt die wichtigen strategischen Fragestellungen.
Wo stehen Sie denn momentan beim Übergang vom klassischen Softwarelizenzgeschäft in die Welt der Subscriptions?
Sigg: Es gibt zum einen die Umstellung bestehender Verträge in ein Subskriptionsmodell, das läuft ganz gut. Viel wichtiger ist aber das Neugeschäft, das komplett auf Mietverträgen basiert. Wir fangen da ja gar nicht mehr an mit klassischen Up-front-Lizenzen. Es gilt, mit Subskriptionen zu wachsen und die Marktanteile auszuweiten.
Unternehmen wollen ihr Linzenchaos beherrschen
Langjährige Bestandskunden dürften kaum Interesse haben, in ein Abo-Modell zu wechseln oder?
Sigg: Das habe ich zuerst auch gedacht. Tatsächlich haben aber viele Unternehmen keine Lust, einen komplizierten Mix an unterschiedlichen Lizenzmodellen zu managen. Die meisten haben ihren Frieden damit gemacht, dass die Softwarelieferanten jetzt alle auf Subskriptionsmodelle umstellen. Sie wollen auf einheitliche und übersichtliche Verfahren standardisieren.
Lassen Sie uns über die strategische Ausrichtung der Software AG reden. Sie haben Ihr Business auf fünf Säulen aufgebaut: das Integrationsportfolio mit den webMethods-Lösungen, die IoT-Plattform Cumulocity, die Geschäftsprozess-Optimierung mit der Aris-Produktfamilie, die IT-Transformationslösungen rund um strategisches Portfolio Management mit Alfabet sowie last, but not least, die alte Adabas-Natural-Welt. Ist das die Zukunft oder kaufen Sie sich mit den Silver-Lake-Dollars auch in andere Wachstumsmärkte abseits dieser Geschäftsfelder ein?
Sigg: Diese Geschäftsfelder bleiben, wobei ich Adabas/Natural als einen Sonderbereich definieren würde. Er ist wichtig und hochprofitabel, aber kein Wachstumsgeschäft mehr. Integration, Prozesse und IoT sind dagegen echte Wachstumsfelder. Diese Themen werden weiter im Mittelpunkt stehen. Wir gehen sicher nicht morgen in das Applikationsgeschäft rein oder bieten eine BI-Lösung an.
Es gibt aber attraktive Chancen in Grenzbereichen, die man - mit ein bisschen gutem Willen - einem dieser Geschäftsfelder zuordnen könnte. Low Code zum Beispiel…
Sigg: Sicher, die gibt es. Mit der Übernahme von StreamSets haben wir auch gerade erst genau so einen Grenzbereich besetzt. Da geht es um Datenintegration, die Produkte gehören also schon zu unserem Integrationsportfolio. Der Hintergrund ist, dass das Thema Integration ganzheitlicher wird. Früher hatte man hier siloartige Angebote: Transaktionsintegration, Messaging-Integration, Datenintegration, API-Management etc. Diese Unterscheidung wird mehr und mehr aufgehoben.
Stefan Sigg ist seit April 2017 Mitglied des Vorstandes der Software AG. Er verantwortet das gesamte Produktportfolio, einschließlich Global Support, Cloud Operations sowie Forschung & Entwicklung. |
StreamSets bringt Software AG im Process-Mining-Markt voran
Was ist das Besondere an StreamSets?
Sigg: Die haben etwas ganz Cleveres gemacht und eine Art Steuerungsgerät in der Cloud entwickelt - sie nennen es Control Hub. Es geht darum, die Daten-Pipelines in und zwischen Unternehmen intelligent aufzusetzen und zu managen. Dabei bleiben die Processing-Engines vor Ort, dort also, wo die Daten sind. Das ist wichtig für kurze Latenzzeiten und mehr Sicherheit, On-Premises-Daten durch eine Cloud-Engine zu schleusen führt zu Problemen.
Geht es hier um Edge Computing? Sollte StreamSets nicht in Ihrem Geschäftsbereich IoT angesiedelt sein?
Sigg: Möglich wäre das, aber es ist eher eine Investition in Process Mining. Um Prozesse daraufhin zu analysieren, wo es hakt, muss man ja erstmal Daten bereitstellen. Das kann man projektartig machen, so wie Celonis, oder man nimmt dafür ein generisches professionelles Tool her. Gerade wenn die Daten nicht aus dem ERP-System kommen, wenn man also nicht den Order-to-Cash-, sondern beispielsweise den Produktionsprozess optimieren will, dann braucht man solche Tools. Die fehlenden Datenstrukturen und andere Faktoren machen es kompliziert. Deswegen ist StreamSets als DataOps-Plattform für das Process Mining wichtig: Es bietet einen generischen Datenbereitstellungs-Mechanismus für das sich anschließende Process-Mining mit der Aris-Suite.
Natürlich haben auch wir für Aris - ähnlich wie Celonis - eine dedizierte Datenbereitstellung, wenn die Daten etwa aus einem SAP-System kommen. Geht es aber um Daten aus verschiedenen anderen Quellen, oft unstrukturiert, können wir jetzt StreamSets für die generische Bereitstellung nutzen.
Celonis will ja auch mit seinem Execution Management System punkten. Es geht um das Versprechen, Geschäftsprozess-Störungen nicht nur zu erkennen, sondern auch gleich zu beheben.
Sigg: Das ist der heilige Gral, danach haben wir schon vor Jahren gesucht, als ich noch bei SAP war. In der Praxis mussten wir immer wieder feststellen, dass die Prozessdetails oft zu kompliziert waren, als dass man sie einfach auf Knopfdruck hätte optimieren können. Sehr oft stehen einem da die internen Abläufe und Regelwerke der Unternehmen im Weg. Irgendwann kommt man dann an den Punkt, an dem man Experten beim Kunden einbeziehen muss - schon aus Berechtigungs- und Security-Gründen. Ich will nicht sagen, dass das für jedes Execution-Szenario zutrifft, aber ein Closed Loop mit Analyse plus Execution im operativen System ist in der Praxis nicht einfach - auch wenn das eine interessante Vision ist und bleibt.
Man muss in den definierten Märkten mitspielen
Zurück zu ihren Geschäftseinheiten: Offenbar zeigen Sie nach außen eine klare Säulenstruktur, aber nach innen gerichtet werden die Technologien nicht so stark getrennt, teilweise sogar integriert.
Sigg: Wir sind überzeugt davon, dass man auf den Märkten eine bestimmte Rolle spielen muss, die definiert ist und für die es Kategorien gibt. Wir sind nun Mal im Bereich Process Mining dem Wettbewerb ausgesetzt, ebenso bei Integration und IoT. Es wäre schlecht zu sagen: Wir haben eine große, übergeordnete Story, deshalb müssen wir in den Einzelmärkten nicht mitspielen.
Aber wir wissen natürlich, dass es diese Verzahnung der Bereiche Integrationsdaten, Gerätedaten und Prozesse gibt. Für uns ist das am Ende eher ein Vorteil: Der eine Kunde fängt bei IoT an und will dann auch Systeme integrieren, der andere beginnt mit Process Mining und stellt fest: ich habe hier Produktionsprozesse, die sind eigentlich noch viel wichtiger als Order to Cash, hier möchte ich Process Mining machen.
Sie bieten also eine Art Baukasten für Herausforderungen der Digitalisierung?
Sigg: So kann man es sagen. Am Ende geht es ja immer darum, Daten mithilfe von Software zu verarbeiten, um ein neues oder verbessertes Geschäftsmodell zu erreichen. Die Betriebe fragen sich: 'Wie erreichen wir Fortschritte in unserem Business, ohne Zeit, Geld und Ressourcen für den Bau von etwas zu verschwenden, das es eh schon gibt.'
Das ist unser Angebot: Wir haben ein Geräte-Management, das muss der Kunde nicht mehr bauen. Wir haben auch das Thema Pipelining in die Cloud gelöst, und wir wissen, wie man IoT-Daten mit einem Service-Management von ServiceNow integriert. Wir können auch Produktionsprozesse mit Process Mining optimieren. Unsere Botschaft an den Kunden ist: Das ist alles schon vorhanden, Du kannst den differenzierenden Teil von Deinem Business-Modell daran anbauen. Wir haben dafür die Microservices, APIs etc. Und wir sind offen.
Jeder spricht ja heute von Plattformen, aber irgendwie ist dieses horizontale Bild für uns das falsche. Deshalb habe ich den Begriff Digital Backbone eingeführt, das Rückgrat, das von ganz unten, dem Daten-Entstehungsort, bis nach ganz oben, der Lösung, reicht.
Alle haben einen Angebots-Overlap mit den Hyperscalern
Viele von den Themen, die Sie hier ansprechen - etwa API-Management, Integration, Process Mining - bieten die Cloud-Hyperscaler und die großen Softwarehäuser wie SAP, Microsoft oder Oracle mit ihren Produkt-Suiten auch an - teils integriert, teils als zahlungspflichtige Zusatzprodukte. Müssen Sie bei der Software AG damit rechnen, dass der Kuchen für Sie tendenziell kleiner wird?
Sigg: Nein. Wenn wir über die Hyperscaler reden, dann gibt es faktisch keine Softwarefirma mehr, die nicht einen Angebots-Overlap mit ihnen hat. Der Punkt ist aber: Die Hyperscaler sind an der Zusammenarbeit mit uns Softwarefirmen interessiert. Sie wollen, dass wir ihnen Load auf ihre Cloud-Plattformen bringen. Insbesondere mit AWS und Microsoft haben wir eine sehr gute Partnerschaft, weil wir massiv Kunden in deren Cloud bringen. Wir werden auch Google Cloud und einige chinesische Anbieter als Hyperscaler einbeziehen, sobald die Nachfrage bei unseren Kunden das entsprechende Niveau erreicht hat. Unser Stack ist Cloud-agnostisch, läuft auf Kubernetes-Clustern und wir können ihn überall deployen.
Aber wie sieht das aus der Kundenperspektive aus? Warum sollte jemand zur Software AG gehen, wenn er ähnliche Angebote bei Microsoft oder AWS findet, wo er sowieso schon Cloud-Kunde ist?
Sigg: Zum einen sind unsere Produkte gut - schauen Sie sich nur die Bewertungen von Gartner und Forrester an. Zum anderen verfolgen wir einen neutralen Ansatz. Eine Integration in Oracle ist für uns genauso wertvoll wie die in Salesforce oder SAP. Außerdem sind wir für unsere Kunden als Partner auf Augenhöhe, das spielt jenseits der Produkte auch eine Rolle. Und wir bringen eine gewisse Cloud-Souveränität mit, so dass wir ganz einfach auch mal einen Cloud-Anbieter wechseln können, wenn der Kunde das wünscht. Wenn man alles nur von einem Cloud-Stack nutzt, buddelt man sich ein. Viele Unternehmen wollen das nicht.
Sie beschreiben die Software AG als Multi-Cloud-Integrator, dieser Aspekt taucht in Ihrer Werbung kaum auf.
Sigg: Wir sind es aber. Unbedingt. Es gibt mittlerweile auch Analysten, die sagen, ich lasse in bestimmten Bewertungskategorien gar keine Anbieter mehr zu, die nicht Multi-Cloud-fähig sind. Auf der letzten Forrester-Wave IoT von Forrester finden Sie zum Beispiel AWS und Microsoft gar nicht mehr, weil nur noch Hersteller berücksichtigt wurden, die auf beliebigen Clouds laufen können. Das ist ein Abbild dessen, was die Analysten von ihren Kunden als Anfragen bekommen.
Unternehmen müssen auch ihre APIs und Digital Twins managen
Lassen Sie uns über den Geschäftsbereich IT-Transformation sprechen, in dem Sie Ihre Alfabet-Produkte für das Enterprise-Architektur-Management untergebracht haben. Wie passt das ins Gesamtbild?
Sigg: Wir wollen Unternehmen nicht nur beim Betrieb von IT-Systemen unterstützen, sondern auch beim Bau eigener Software. Da investieren viele Kunden massiv, und Themen wie Enterprise Architecture und IT-Portfolio-Management kommen zum Tragen. Das IT-Portfolio setzt sich ja nicht mehr nur aus SAP-Systemen, Oracle-Datenbanken oder anderen Produkten zusammen. Auch APIs oder Digital Twins sind Assets, die man irgendwann mal professionell sortieren und managen muss.
Trügt der Eindruck, dass die Software AG auf ziemlich vielen Hochzeiten tanzt? Allein mit Process Mining rollt ja gerade eine Celonis weltweit den Markt auf. Wie wollen Sie auf Dauer all diese Bälle in der Luft halten?
Sigg: Wir fokussieren uns schon auf das, was wir besonders gut können. Wir entwickeln keine Custom-Lösungen, sondern den Baukasten dafür. Es hat ja auch viele Vorteile, breit aufgestellt zu sein. Der IoT-Markt zum Beispiel wurde deutlich überschätzt, er hat bis heute immer noch bei weitem nicht die Reife, die ihm einst attestiert worden ist. Unternehmen, die hier investiert haben, haben ihren Return oft noch nicht bekommen, und dafür gibt es viele Gründe. Für uns ist das aber kein Problem. Ich sage immer: Wir sind 'long' investiert in IoT, der Markt kommt zu uns, nicht umgekehrt. In dem Bereich des IoT-Marktes, in dem wir uns bewegen, sind wir sehr gut aufgestellt.
Process Mining ist ein anderes Thema. Ich muss anerkennen, dass Celonis es groß gemacht hat. Mit dem Aris-Portfolio, das wir seinerzeit mit der IDS Scheer AG übernommen haben, ist lange Zeit nicht erkannt worden, dass es neben dem reinen Process Modeling, womit Aris ja in der SAP-Implementierungsphase groß geworden ist, auch die analytische Seite gibt und diese an Bedeutung gewinnt.
Inzwischen haben wir das Aris-Produkt neu entwickelt. Was Process-Mining-spezifisch ist, haben wir Cloud-Native auf Kubernetes-Basis gebaut. Das ist unser neues Produkt, das wir in der Cloud anbieten. Es ist noch klein, vom Wachstum entwickelt es sich aber sehr gut, und es treibt den Rest des Aris-Geschäfts massiv an. Auch neue Ansätze im Bereich Nachhaltigkeit sorgen für Nachfrage. Wir stellen dazu kostenlos für unsere Kunden ein Beschleuniger Paket zur Operationalisierung ihrer ESG-Ziele (ESG = Environmental Social Governance) zur Verfügung.
Sie sprachen von Ihrem Baukasten-Geschäftsmodell. Ist es abhängig davon, dass Sie mit Systemintegratoren wie Accenture, Capgemini oder Deloitte zusammenarbeiten? Irgendwer muss ja Ihre Produkte in die Unternehmen hineintragen…
Sigg: Diese Zusammenarbeit gibt es schon, aber es könnte noch mehr sein. Wir sind gerade daran, das Thema Wachstum über Partnergeschäft auszubauen. Damit haben wir schon vor dem Einstieg von Silver Lake begonnen, aber jetzt intensivieren wir da noch einmal. Momentan gehen wir noch stark über unser eigenes Go-to-Market auf die Kunden zu. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir selbst eine ganze Reihe von Professional-Services-Mitarbeitern haben.