COMPUTERWOCHE-Roundtable Künstliche Intelligenz

Der Innovationsdruck liegt auf den Fachbereichen

11.04.2018
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Bei Machine Learning und Künstlicher Intelligenz (KI) lohnt sich ein Gespräch mit dem Marketing-Chef manchmal mehr als mit dem IT-Entscheider. Und: Auch Algorithmen machen Fehler. Ergebnisse einer Experten-Diskussion.

Die "BILD-Zeitung" zittert unter Berufung auf Tesla-Chef Elon Musk vor "dem größten Risiko für die Zivilisation", das Nachrichten-Magazin "Spiegel" mahnt, Gott brauche keinen Lehrmeister - Künstliche Intelligenz (KI) sorgt im Blätterwald für Schlagzeilen. Eher sachlich sehen es dagegen die Experten verschiedener IT-Anbieter, die sich Mitte Dezember in der Redaktion der COMPUTERWOCHE trafen. Aus ihrer lebhaften Diskussion ergaben sich folgende Schlüsse:

Wie weit deutsche Unternehmen schon in Sachen KI und Machine Learning sind diskutierten anlässlich eines COMPUTERWOCHE-Roundtable (v.li.n.re.) Oliver Bracht (Eoda), Katharina Lamsa (Siemens), Ronny Kroehne (IBM), Klaus-Dieter Schulze (NTT Data), Max Zimmermann (Lufthansa Industry Solutions), Franziska Kaufmann (IDG Research), Robert Gögele (Avanade), Stefan Gössel (Reply), Martin Bayer (COMPUTERWOCHE) und Franz Kögl (Intrafind).
Wie weit deutsche Unternehmen schon in Sachen KI und Machine Learning sind diskutierten anlässlich eines COMPUTERWOCHE-Roundtable (v.li.n.re.) Oliver Bracht (Eoda), Katharina Lamsa (Siemens), Ronny Kroehne (IBM), Klaus-Dieter Schulze (NTT Data), Max Zimmermann (Lufthansa Industry Solutions), Franziska Kaufmann (IDG Research), Robert Gögele (Avanade), Stefan Gössel (Reply), Martin Bayer (COMPUTERWOCHE) und Franz Kögl (Intrafind).

1. Die Akzeptanz von KI/Machine Learning (ML) hängt nicht von der Firmengröße ab: Manche Unternehmen stehen mit diesen Themen noch ganz am Anfang, andere wissen bereits genau, was sie mit KI und ML erreichen können und haben vielleicht sogar schon erste Praxiserfahrungen gesammelt. Erfahrung der Experten am Tisch: Branche und Firmengröße geben nicht unbedingt den Ausschlag, was die Adaption von KI- beziehungsweise ML-Techniken anbelangt. Grundsätzlich blicken die Diskussionsteilnehmer optimistisch in die Zukunft: "In den vergangenen zwölf Monaten hat sich viel getan", bestätigen alle Diskussionsteilnehmer unisono.

2. Viele Unternehmen wissen nicht, wo sie mit KI/Machine Learning starten sollen: Bevor ein Unternehmen entsprechende Initiativen startet, müssen erst einmal die Definitionen geklärt sein, lautet der Rat der Experten. Noch immer würden manche Entscheider Begrifflichkeiten rund um KI und Data Science, Machine Learning und Robotic Process Automation durcheinander werfen und verwechseln. Auf die Begriffsfindung folgt die Frage, welches Problem konkret ansteht. Auch hier fordern die Diskussionsteilnehmer, genau hinzusehen: Ein Use Case ist nicht automatisch auch ein Business Case.

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An dieser Stelle werden die Chancen von KI und Machine Learning oft nicht ausgeschöpft, beobachten die Teilnehmer an der Diskussionsrunde. Die neuen Technologien hätten das Potenzial, neue Geschäftsmodelle und neuen Zusatznutzen für die Kunden zu ermöglichen. Doch stattdessen versteiften sich viele Anwenderunternehmen auf herkömmliche Ziele, wie die Effizienz in einzelnen Prozessen noch ein wenig zu verbessern oder Kosten einzusparen, indem Mitarbeiter abgebaut würden.

3. Unternehmen entdecken das Process-Mining: Die Intelligenz steckt in den Prozessen. Diese Erkenntnis setzt sich langsam, aber sicher durch. Anwender brauchen also im ersten Schritt eine gründliche Bestandsaufnahme und Analyse ihrer Geschäftsabläufe. Es geht dabei um Fragen wie: Welche Prozesse laufen wo und wie im Unternehmen ab und in welcher Varianz? Im zweiten Schritt geht es um die konkreten Stellhebel, an denen KI und Machine Learning ansetzen können.

4. Auch Algorithmen haben Grenzen: Man schiebt die Daten in einen Algorithmus, und schon beantworten sie Fragen, die vorher keiner gestellt hat - mit dieser Vorstellung können Unternehmen nur scheitern, warnen die Experten. Anders formuliert: Der Erkenntnisgewinn ist immer nur so gut wie der Zuschnitt des Samples. Und: Auch Algorithmen machen Fehler. Teil dieser Problematik ist die Frage nach der Güte der Informationen, mit denen die Systeme gefüttert werden. Davon hängt maßgeblich die Qualität der Ergebnisse ab: In manchen Fällen mögen 90 Prozent reichen. Doch in anderen Bereichen brauchen die Unternehmen 100-prozentige Sicherheit was den Output aus KI und ML betrifft.

Hintergrundberichte und Ratgeber zu den Themen Künstliche Intelligenz und Machine Learning hat die COMPUTERWOCHE für Sie in zwei kostenlosen Insider-PDFs zusammengefasst:

Darum geht's bei Artificial Intelligence

Machine Learning: Anbieter und Trends auf einen Blick

Wer Künstliche Intelligenz sinnvoll nutzen will, benötigt daher die Kombination aus Technologie einerseits und den Fähigkeiten, die den Menschen vorbehalten bleiben, andererseits. Dazu zählen Kontext-Wissen, Kreativität und emotionale Intelligenz.

5. KI führt zum Kampf der Entscheider: Die Diskussion um den Einsatz von KI und Machine Learning bringt unterschiedliche Entscheider aus den Firmenhierarchien ins Spiel: CEO, CIO, CDO (Digital Officer) oder CMO (Marketing) - viele wollen an dieser Stelle mitreden. Der positive Aspekt dabei: Hier zeigt sich, dass die Anwender KI nicht oder zumindest nicht nur als reines Technologie-Thema sehen, sondern als Business-Thema erkannt haben. In der Praxis lohnt sich ein Gespräch mit dem Marketing-Chef oft mehr als mit dem IT-Entscheider, wissen die Vertreter der Anbieterseite.

Zu den Themen Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie deutsche Manager mit den Themen KI und Machine Learning derzeit in ihren Unternehmen umgehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 36086 122) gerne weiter. Informationen zur KI/Machine-Learning-Studie finden Sie auch hier zum Download.

Die Runde weiß, woran es oftmals hakt: Es ist letztlich der CIO, der neue Technologien in die bestehenden Systeme integrieren muss - und die neuen Werkzeuge womöglich auch noch aus seinem Budget finanzieren soll. Andererseits bekommt der mutmaßlich kreativere neue Digital-Chef keinen Etat bereitgestellt. Das führt fast unweigerlich zu Konflikten.

6. KI und Machine Learning funktionieren nur nach einem interdisziplinären Team-Approach: Prozesse, Geschäftsmodelle, IT-Lösungen, Sicherheit - KI und Machine Learning bilden ein sehr weites Feld. Wer es beackern will, muss neben den Top-Entscheidern die Fachbereiche mit einspannen. Das Team kann dann etwa aus Data Scientists, Data Engineers, Programmierern, Mathematikern, Statistikern, Business Managern und verschiedensten Sachbearbeitern bestehen.

Keine einfache Situation, das ist den Diskussionsteilnehmern bewusst. Denn oft fehlt den unterschiedlichen Stakeholdern eine gemeinsame Sprache. Einer der Experten kommentiert: "Es gibt nicht viele, die die Ideen des Data Scientisten in Code gießen können." Sicher ist aus Sicht der Experten jedenfalls eines: Die IT muss sich in Richtung Design Thinking entwickeln.

Alle wichtigen Grundlagen zum Thema Machine Learning finden Sie hier:

Machine Learning: Darum geht's

Machine Learning: Das haben deutsche Unternehmen vor

Machine Learning: Anwendungen und Plattformen

Doch die Zeit arbeitet für das Thema KI: Nicht selten kommen die Impulse "von ganz unten", sprich von Berufseinsteigern frisch aus der Uni oder sogar von Praktikanten. Die jungen Leute zeigen einen selbstverständlichen Umgang mit neuen Technologien und spüren im Unternehmen manchmal Chancen auf, von denen die Geschäftsführung gar nicht wusste, dass es sie gibt.

Mehr zu den Themen Künstliche Intelligenz und Machine Learning finden Sie im COMPUTERWOCHE Online-Special:

Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence)

7. Deutschland hat eine gute Ausgangslage, braucht aber einen Kulturwandel: Mit seinen Hidden Champions, der über Jahrzehnte ausgebildeten und gepflegten Ingenieurskunst sowie Tugenden wie Sorgfalt und Genauigkeit genießt Deutschland Standortvorteile. Nun gilt es, die zu nutzen, und zwar mit dem Blick nach vorne. Doch hier, so beobachtet die Runde, fehlt es in den deutschen Unternehmen oft an der notwendigen Fantasie.

Fazit

Um das Potenzial von KI und Machine Learning auszuschöpfen, braucht Deutschland einen Kulturwandel. Nicht eben einfach in einem Land, in dem viele Entscheider immer noch Berührungsängste mit neuen Ideen haben. Ein Beispiel: Vor einer Migration in die Cloud scheuen nach wie vor viele Unternehmen zurück. Doch gerade im Umfeld von KI und ML werden Cloud-basierte Infrastrukturen eine Schlüsselrolle spielen. Dort lassen sich die notwendigen Compute-Ressourcen binnen kürzester Zeit und mit einem vergleichsweise geringen Aufwand buchen. Es macht an dieser Stelle nur noch wenig Sinn, selbst teure Infrastrukturen aufzubauen, lautet das Fazit der Diskussionsrunde. Deshalb bleiben die Experten pragmatisch: Irgendwann werden es die explodierenden Datenmengen entscheiden. Wenn die Unternehmen mit ihren eigenen Ressourcen an die Grenzen stoßen, bleibt nur noch der Weg in die Cloud.

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Die Runde fasst das so zusammen: "Unsere Unternehmen sind sehr gut in Produkten mit langlebigen Zyklen, wie Autos und Pumpen, Messgeräten und Anlagenbau. Nun sind die Entscheider gefordert, die traditionell wertigen Produkte mittels neuer Technologien für den Wettbewerb der Zukunft fit zu machen." Das künftige Motto lautet Servitization, also die Ausdehnung der bisherigen Angebotspalette weg von ausschließlich Sachgütern hin zu einer Kombination aus Sachgütern und Dienstleistungen. Ein gutes Beispiel liefert ein Hersteller von Aufzügen, der per intelligenter Daten-Analyse Störungen an den Geräten vorhersehen kann, und diesen Service zunächst der eigenen Klientel anbot und heute sogar an die Konkurrenz verkauft.