Wie steht es beim Digital Twin um die Produkthaftung?
Weitere Rechtsfragen ergeben sich mit Blick auf das Haftungsrecht. Die Chancen, die mit dem Digital Twin einhergehen, sind aus dem Blickwinkel des (Produkt)haftungsrechts vielschichtig. Legt man den typischen "Lebenszyklus" eines Produktes zu Grunde, so finden sich auf nahezu jeder Stufe Anwendungsfelder. Zunächst gilt dies für den Entwicklungsprozess. Dies betrifft die Frage der konkreten Konstruktion und Ausgestaltung eines Produkts, wobei sich dies - wie bereits vorstehend beschrieben - nicht nur auf den Bereich technischer Produkte beschränkt, sondern auch im Rahmen der Lebensmittelindustrie oder dem Gesundheitssektor anwenden lässt. Hier kann der Digital Twin bei der Erfüllung der herstellerseitigen Verpflichtung zur fehlerfreien beziehungsweise sicheren Konstruktion eines Produkts unterstützen.
Die im Rahmen des Entwicklungs- beziehungsweise Konstruktionsprozesses gewonnen Informationen und Daten bieten dem Hersteller bei einer sicheren und vor Manipulation geschützten Speicherung später die Möglichkeit, sich im Falle eines Haftungsprozesses adäquat zu verteidigen. Dies kann zum Beispiel im Hinblick auf die Produkthaftung relevant werden. Von den möglichen haftungsausschließenden Tatbeständen des Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG), ist insofern sicherlich § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG besonders relevant.
Danach ist eine Einstandspflicht des Herstellers aus Produkthaftung ausgeschlossen, wenn ein Produktfehler "nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte". Zukünftig dürfte eine herstellerseitige Verteidigungsstrategie bei Schadensfällen auf dem Argument basieren, dass die nötigen Untersuchungen und Studien unter Nutzung des Digitalen Zwillings keine dem Hersteller belastenden Anhaltspunkte aufgezeigt haben.
Da der Digital Twin nicht nur im Hinblick auf das Produkt selbst, sondern auch für die Produktion als solche - dies gilt etwa für die Produktionsstraße - angelegt werden kann, besteht die Möglichkeit, mit seiner Hilfe auch die der Konstruktion nachgelagerte Stufe der Herstellung im Vorfeld auf etwaige (Haftungs-)Risiken zu untersuchen.
Schreitet man gedanklich den Lebenszyklus eines Produkts weiter ab, wird das Instrument des Digitalen Zwillings dann auch bei Produkten, die sich bereits im Feld befinden relevant und eröffnet gänzlich neue Möglichkeiten. Zunächst einmal dahingehend, dass erforderliche Wartungen vorhergesehen und von Seiten des Herstellers geplant werden können. Die Planung bezieht sich dabei etwa auf die benötigten Wartungskapazitäten oder aber auch auf die termingenaue Produktion notwendiger Ersatzteile, ohne dabei allzu lange und teure Lagerkapazitäten zu benötigen.
Neben dieser sogenannten Predictive Maintenance ist der Digital Twin auch ein nützliches Instrument, um mögliche Mängel, die im Rahmen der Produktion oder Konstruktion noch nicht vorhersehbar waren, in der weiteren Anwendung frühzeitig zu identifizieren. So ist es denkbar, Informationen in den Digitalen Zwilling einzuspeisen oder bestimmte fiktive Anwendungsszenarien an ihm zu erproben, um Rückschlüsse über das Verhalten seines realen Abbildes prognostizieren zu können.
Neben der Pflicht zur ordnungsgemäßen Konstruktion, Instruktion und Produktion wird der Digital Twin im Zusammenhang mit der aus der Produzentenhaftung folgenden Pflicht zur Produktbeobachtung, eine immer stärkere Rolle einnehmen. Bereits heute simulieren Hersteller unter Einspeisung aktuell gewonnener Informationen das zukünftige Verhalten eigener Produkte im Feld.
Dies wird zukünftig neben der Produktbeobachtung unter Verwendung von Echtzeitdaten, die aus dem Produkt selbst gewonnen werden, auch immer häufiger parallel, mit Hilfe Digitaler Zwillinge, erfolgen. Hier ist zu erwarten, dass entsprechende Verpflichtungen zunehmend von der Rechtsprechung an den Hersteller herangetragen werden - auch da dem Hersteller zukünftig das Anlegen von Digital Twins aufgrund des geringer werdenden Aufwands zumutbarer werden wird.
Einer sehr genauen Prüfung im Einzelfall bedarf in diesem Zusammenhang die Frage, unter welchen (gegebenenfalls zusätzlichen) Regelungen der Datenaustausch zwischen Hersteller und Zulieferer erfolgen darf. Neben den gesetzlichen Anforderungen, die hier zu beachten sind (etwa die DSGVO oder das Geschäftsgeheimnisgesetz), wird es erforderlich werden, den Datenaustausch vertraglich abzusichern.
Auch wird mittels eines Digitalen Zwillings und der Anlage eines weiteren Digital Twins - etwa von solchem Zubehör, mit welchem der eigentliche Digital Twin regelmäßig in Berührung kommt - es für die Hersteller deutlich leichter werden, das Zusammenspiel ihrer Produkte mit anderen Produkten zu überwachen. Die seinerzeit im Rahmen der wegweisenden Honda-Entscheidung aufgestellten Anforderungen werden sicherlich durch den technischen Fortschritt von der Rechtsprechung nicht zurückgenommen - das Gegenteil ist zu erwarten.
Wie sieht die rechtliche Zukunft des Digitalen Zwillings aus?
Das Vorstehende zeigt, dass die Figur des Digital Twins zukünftig ganz erhebliche Auswirkungen auf die (Produkt)haftungsrechtliche Situation des Herstellers haben wird. Dies gerade auch vor dem Hintergrund, da Digital Twins den herstellerseitigen Aufwand, um letztlich ein "sicheres" Produkt auf den Markt zu bringen und dort auch entsprechend zu beobachten, immer geringer lassen werden.
Es lässt sich festhalten, dass der Digitale Zwilling eine Reihe von rechtlichen Themen aufwirft, die noch nicht abschließend geklärt sind. Insbesondere müssen Unternehmen ausreichende Sorgfalt darauf verwenden, durch den Digital Twin nicht ungewollt vertrauliche Informationen über ihre Produkte zu offenbaren. Daneben kann der Digitale Zwilling zu gesteigerten Anforderungen in der Produkthaftung führen, bietet jedoch auch Chancen im Rahmen der Abwehr von Ansprüchen aus Produkthaftung. (fm)