Wer sich in Daten-Ökosystemen engagiert und bereit ist, Daten zu teilen und auszutauschen, macht bessere Geschäfte. Auf diesen einfachen Nenner lassen sich die Ergebnisse einer aktuellen Capgemini-Studie bringen. Für ihre Untersuchung "Data sharing masters: How smart organizations use date ecosystems to gain an unbeatable competitive edge“ haben die Analysten des Capgemini Research Institute eine Modellrechnung aufgemacht. Demzufolge könnte ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von zehn Milliarden Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg finanzielle Zugewinne in Höhe 940 Millionen Dollar erzielen, wenn es stärker auf Daten-Ökosysteme setzt. Neben Kosteneinsparungen ließen sich dadurch neue Einnahmequellen erschließen sowie die eigene Produktivität steigern, so das Credo der Analysten.
Capgemini hat rund 750 Führungskräfte – Direktorenebene und höher – aus Unternehmen in den USA, Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum befragt, die bereits aktiv Datenaustausch betreiben und weltweit einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar erwirtschaften.
Mit Daten zu besseren Geschäften
Die Erkenntnis, dass eine bessere Datennutzung zu besseren Geschäften führen kann, ist nicht neu. Einige Unternehmen haben in den vergangenen Jahren durchaus respektable Monetarisierungseffekte mit Daten erzielt: Beispielsweise haben sie die Kundenzufriedenheit erhöht (15 Prozent), die Produktivität gesteigert (14 Prozent) oder die Kosten gesenkt (elf Prozent). "Daten sind die zentralen Ausgangspunkte von Innovation und Eintrittskarten in die Netzwerkökonomie", sagt Sebastian Olbrich, Bereichsleiter Insight Driven Business Innovation bei Capgemini Invent. "Organisationen, die externe Daten erwerben beziehungsweise ihre Datenbasis durch Kooperation erweitern, erzielen bereits heute messbare Wettbewerbsvorteile."
Angesichts der erzielten Erfolge kommen die Verantwortlichen in den Betrieben zunehmend auf den Geschmack. Ihr Interesse an Daten-Ökosystemen und der damit verbundenen Monetarisierung von Daten wächst. Fast die Hälfte der weltweit befragten Organisationen (48 Prozent) – in Deutschland sind es fast zwei Drittel (64 Prozent) – möchten sich an neuen Ökosystemen oder Initiativen beteiligen.
Mehr Geld für Daten-Ökosysteme
Dafür wollen die Unternehmen auch Geld in die Hand nehmen. Drei Viertel der Betriebe planen mehr als zehn Millionen Dollar in Daten-Ökosysteme zu investieren. Jedes vierte Unternehmen will dafür in den nächsten zwei bis drei Jahren sogar mehr als 50 Millionen Dollar in die Hand nehmen. Im Durchschnitt werde die Investitionssumme Capgemini zufolge bei 40 Millionen Dollar liegen.
Jedoch variieren die Investitionen stark zwischen den einzelnen Branchen und Ländern: 55 Prozent der Telekommunikationsunternehmen werden mehr als 50 Millionen Dollar investieren, im Bankensektor sind es 43 Prozent. Das Gesundheitswesen und die Öffentliche Hand hingegen liegen in dieser Investitionsliga mit 18 beziehungsweise sieben Prozent deutlich dahinter. In den USA und Großbritannien werden die Investitionen am höchsten ausfallen: Dort wird mehr als jedes dritte Unternehmen in den nächsten drei Jahren mehr als 50 Millionen Dollar für Daten-Ökosysteme aufwenden, besagen die Studienergebnisse.
Wie erfolgreich diese Initiativen sein werden, hängt nach Einschätzung der Capgemini-Analysten jedoch stark davon ab, welche Art von Daten-Ökosystemen die Unternehmen ausbilden. Wer sich an besonders kollaborativen, komplexen Daten-Ökosystemen beteiligt, könne bessere finanzielle Zugewinne erzielen, sagen die Studienautoren.
Die Beteiligung an komplexeren Daten-Ökosystemen scheint jedoch schwierig zu sein. Obwohl der finanzielle Mehrwert unverkennbar sei, hätte erst jeder siebte Betrieb besonders kollaborative Ökosystem-Modelle und komplexe Arten des Datenaustauschs eingeführt. 61 Prozent der Unternehmen arbeiteten dagegen weiterhin in traditionellen Ökosystemen mit geringem Potenzial. Hier gebe es vergleichsweise wenig Zusammenarbeit, und es seien nur einfache Arten der gemeinsamen Datennutzung möglich, konstatieren die Capgemini-Analysten.
Regulatorische Hürden für den Datenaustausch
Das liegt auch an den scharfen Regeln zum Datenschutz. "Wir beobachten einen starken regulatorischen Druck in der EU, um reibungslosere Systeme zum Datenaustausch im Finanzdienstleistungssektor zu etablieren", erklärt Christina Poirson, Group Chief Data Officer bei Société Générale, und verweist auf die eigenen Data-Governance-Strukturen. "Wir tun unser Bestes, um sensible Daten der Kunden zu schützen." Das helfe, Daten mit Ökosystem-Partnern auszutauschen und so größere Mehrwerte zu erschließen. "Daten sind für uns viel mehr als nur ein Asset, und wir sind bestrebt, das Potenzial von Daten durch Datenaustausch zu maximieren", beteuert Poirson.
Auf politischer Ebene ist man derweil bemüht, Hürden für eine funktionierende Datenökonomie aus dem Weg zu räumen. Im Februar 2020 hat die Europäische Kommission eine Initiative für einen europäischen Binnenmarkt für Daten auf den Weg gebracht. Damit sollen Daten branchen- und länderübergreifend leichter ausgetauscht werden können, hieß es. Es sollen klare Regeln für den Zugang und die Verwendung von Daten geschaffen werden. Ziel sei ein einheitlicher europäischer Datenraum. Der Wert der Datenwirtschaft soll sich in den EU-27-Staaten bis 2025 auf 829 Milliarden Euro summieren. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 belief sich das Volumen EU-Schätzungen zufolge auf etwa 300 Milliarden Euro.
Daten nutzen – Daten schützen
Bis ein Regelwerk für Daten-Ökosysteme in Europa steht, dürften jedoch noch einige Jahre ins Land gehen. Aktuell diskutiert und konsultiert die EU-Kommission über einen "Data Act" und einen "Data Governance Act". Inhaltlich ist noch vieles offen. Gretchenfrage dürfte sein, wie die teils widersprüchlichen Ziele unter einen Hut gebracht werden können – eine einfache Datennutzung bei gleichbleibend hohem Datenschutzniveau.
Anfang des Jahres zog die Bundesregierung nach und beschloss Ende Januar eine eigene Datenstrategie. Mehr als 240 Maßnahmen sollen Deutschland zum Vorreiter für das innovative Nutzen und Teilen von Daten in Europa machen, hieß es. Es gehe um eine innovative und verantwortungsvolle Datenbereitstellung und Datennutzung – in der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Verwaltung. Es sollen Rahmenbedingungen dafür gesetzt werden, dass mehr Daten verantwortungsvoll und nachhaltig genutzt und geteilt werden können, zugleich jedoch missbräuchliche Datennutzung verhindert wird. Dazu will die Bundesregierung mehr Rechtssicherheit schaffen, innovative Datenräume anstoßen und neue Kooperationsformen ermöglichen, zum Beispiel durch Datentreuhänder.
Mitte des Jahres zog die Regierung eine erste Bilanz. Fünf Prozent der Maßnahmen seien bereits umgesetzt, hieß es. Darunter das GWB-Digitalisierungsgesetz für ein digitales Wettbewerbsrecht sowie das umstrittene Gesetz zur Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie. Weitere 70 Prozent der Vorhaben liefen derzeit, ein Viertel sei in Planung, hieß es.
"Eine ambitionierte Datenstrategie ist überfällig"
Die IT-Branche begrüßt die Daten-Initiativen, drängt aber auch zur Eile. "Eine ambitionierte Datenstrategie ist überfällig", sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Jetzt gehe es darum, aus dem Diskussions- in den Umsetzungsmodus zu wechseln. Bestehende Rechtsunsicherheiten, die den Einsatz neuer Technologien hemmen, müssten endlich aufgelöst werden. "Wir brauchen einen kohärenten Regulierungsansatz, der die bisher vorhandenen, oft unkoordinierten Maßnahmen verzahnt."
Die weitverbreiteten Unsicherheiten bei der Nutzung von Daten müssten dringend abgebaut werden, forderte Berg. Es brauche einen klugen Fahrplan, wie sich künftig mehr Innovationen aus geteilten Daten entwickeln ließen. Dafür müsse sich die EU von dem zu engen Verständnis der Datensparsamkeit lösen und Datenzugänge verbessern. "Ziel muss es sein, gemeinsame Regeln für eine Datennutzung und Datensorgfalt zu schaffen und diese mit Leben zu füllen."
Laut einer Bitkom-Umfrage aus dem vergangenen Jahr sind in Deutschland bei mehr als jedem zweiten Unternehmen (56 Prozent) neue innovative Projekte aufgrund der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gescheitert – entweder wegen direkter Vorgaben oder wegen Unklarheiten in der Auslegung. Vier von zehn (41 Prozent) Betrieben gaben an, dass sie deswegen keine Datenpools aufbauen konnten, um etwa Daten mit Geschäftspartnern teilen zu können. Jedes fünfte betroffene Unternehmen (20 Prozent) verzichtete DSGVO-bedingt auf den Einsatz neuer Datenanalysen.