Die BPW Bergische Achsen KG ist einer der viel gerühmten Hidden Champions. Das mittelständische Unternehmen mit Hauptsitz in Wiehl entwickelt und produziert seit 1898 komplette Fahrwerksysteme für Lkw-Anhänger und -Auflieger. Trailerachsen und -Fahrwerksysteme made by BPW sind weltweit millionenfach im Einsatz. Die inhabergeführte Unternehmensgruppe beschäftigt aktuell rund 7.000 Mitarbeitende in über 50 Ländern und erzielte 2022 einen konsolidierten Umsatz von 1,731 Milliarden Euro.
BPW ist eine alte Bekannte beim Wettbewerb "CIO des Jahres". Mit dem IT-Projekt "Internet of Transport" konnte sich die IT 2018 über eine Auszeichnung freuen. Stand damals die Digitalisierung der Logistikprozesse der Kunden im Fokus, so liegt der Schwerpunkt des diesjährigen Projekts auf der Digitalisierung der internen Prozesse.
IT als Business Enabler
Digitalisierung ist für CIO Roman Rapoport und sein IT-Team, die sich als Business Enabler verstehen, kein Fremdwort. So wurde 2019 das BPW Digitalisierungsprogramm ins Leben gerufen, das Digitalisierungsthemen miteinander intelligent vernetzt.
Dabei haben IT und Business eine gemeinsame Verantwortung für die Digitalisierung. Das führt dazu, dass die IT auch die Sprache der Fachbereiche spricht und nicht isoliert handelt. Umgekehrt wird die IT nicht als lästiger Kostenfaktor gesehen - vielmehr ist die IT-Strategie ein fester Bestandteil der Unternehmensstrategie und trägt zu Erreichung der Business-Ziele bei
Herausforderung im Kerngeschäft
Dieses Business stand vor einer enormen Herausforderung: Das Kerngeschäft, die Herstellung von kompletten Fahrwerksystemen für Nutzfahrzeuge, mit Unterstützung von Daten-Transparenz und -Intelligenz weiter zu optimieren. Schließlich wuchs die Variantenvielfalt stetig - schon bei Standard-Fahrwerken gibt es über Einhunderttausend.
Dezentrale Systemlandschaft
Erschwerend kam hinzu, dass eine dezentrale Systemlandschaft eine standortübergreifende Prozesssteuerung unmöglich machte. Unter dem Strich musste also eine einheitliche Datenplattform her, die alle relevanten Informationen an einer Stelle speichert. Die Grundidee für das Projekt "BPW Data" war geboren - eine Plattform in der Azure Cloud, um weltweit Standorte und Prozesse zu vernetzen.
Der Startschuss für das Projekt fiel im Jahr 2020. Herzstück war dabei eine digitale Achsdokumentation, die als zentrale Informationsquelle für alle produktionsrelevanten Prozesse dient. Zudem sollten über die konsolidierten Daten die weltweiten Werke effizienter werden.
Daten mit Faktor 10 anreichern
Gleichzeitig wollten Rapoport und sein Team in Zusammenarbeit mit den Fachbereichen die Achsdokumentation um zusätzliche Daten anreichern. Wurden 2019 in einer Standard-Achsdokumentation maximal 260 Attribute gespeichert, sind es heute über 3.000, Tendenz weiterhin steigend.
Mit Unterstützung von Microsoft und einem externen Dienstleister entwickelte die IT eine drei Layer-Architektur für die neue Achsdokumentation. Damit sollte BPW in die Lage versetzt werden, unterschiedliche Datentypen abzuspeichern, zu transformieren und miteinander zu kombinieren - ohne dass die Rohdaten verändert werden.
Game-Changer Achsdokumentation
Diese flexible Architektur hat noch einen weiteren Vorteil: Ohne großen Aufwand ist es möglich, Daten aus der Produktion, Logistik, Vertrieb und Controlling miteinander ins Verhältnis zu setzen. So lassen sich beispielsweise Prozesse monitoren und Effizienzen steigern.
Mit der neuen Achsdokumentation hielten zudem vollautomatische Kennzahlen-Boards in den Produktionshallen der weltweiten Standorte Einzug. Die Fachbereiche haben mit der Azure-Cloud-Umgebung die Möglichkeit, Daten selbst zu analysieren, ohne dabei auf IT-Kapazitäten zurückgreifen zu müssen.
Mit der Datenplattform wurde zudem das Fundament geschaffen, um den Einsatz der KI für verschiedene Anwendungsfälle zu ermöglichen.
Doing
Das Projekt selbst wurde agil und in enger Zusammenarbeit mit den Fachbereichen umgesetzt. Für jeden fachlichen Use Case wurde ein Team aufgestellt und ein Use Case Owner definiert. Diese arbeiten in Sprints und folgen dem SCRUM-Modell. Die Koordination übernehmen ein Global Product Owner und ein Technical Lead.
Der Projekterfolg
Im Zuge des Projekts konnten nicht nur die Produktionsstandorte über die digitale Achsdokumentation vernetzt werden. Auch die Prozesseffizienz wurde in mehreren Bereichen um bis zu 90 Prozent gesteigert.
Wo früher Daten dezentral mit einem hohen manuellen und fehleranfälligen Aufwand gesammelt und über komplexe Daten-Merges (teilweise Excel) plausibilisiert werden mussten, genügt heute ein Mausklick. Mit einem Klick stehen den Fachbereichen wichtige Informationen zur Verfügung.
Kultureller Wandel
Letztlich hat "BPW Data" nicht nur die Prozesse, sondern auch das Mindset im Unternehmen verändert. Ein Denken in Daten und Prozessen hat Einzug gehalten, so dass heute zu Recht von einer datengetriebenen Unternehmenskultur gesprochen werden kann.
Harter Weg zum Ziel
Was sich heute als lupenreine Success Story liest, startete für CIO Rapoport und sein IT-Team als herausfordernder Weg. Sie mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, denn anfangs stand der Eindruck im Raum, "die IT will ein neues Projekt, dessen Wirtschaftlichkeit rot ist".
Um die Bedenken in Sachen Business Case auszuräumen, wurde das Anfangsinvestment stark reduziert - mit Fokus auf einen fachlichen MVP und zu Ungunsten einer skalierbaren Systemarchitektur. Eine Entscheidung, die im agilen Projektverlauf korrigiert wurde, denn später musste die Azure-Landschaft an die gewachsenen Anforderungen angepasst werden.
Die Mühen haben sich jedoch gelohnt: Mit "BPW Data" bekam das Unternehmen mehr als nur eine Datenmanagement-Plattform. Es wurde ein Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Daten in der Cloud für das Kerngeschäft Nutzen generieren.
Das sagt die Jury vom "CIO des Jahres 2023"
Mit diesem Projekt ergatterten Rapoport und sein Team einen der wenigen Finalistenplätze im Wettbewerb "CIO des Jahres 2023" in der Kategorie Mittelstand. Juror Jens Schulze, CIO am Universitätsklinikum Frankfurt, lobt: "Ein fabelhaftes Projekt, welches den Mehrwert der Cloud für das Unternehmen aufzeigt und Inspiration für weitere Cloud-Szenarien bietet."
Marion Weissenberger-Eibl, Professorin am Karlsruher Institut für Technologie, hebt hervor: "Die IT sieht sich als Business Enabler, der stets Werte-orientiert arbeitet." Bei dem Familienunternehmen liege der Fokus auf nachhaltigen IT-Entscheidungen. Jurorin Christina Raab, Accenture und Bitkom, ergänzt: "Das beschriebene Cloud-Projekt hat sich nachweislich direkt auf das Unternehmen ausgewirkt, mit Effizienzsteigerungen von bis zu 90 Prozent. Auch bemerkenswert ist die spezielle Strategie zur Einbeziehung von Frauen, die 23 Prozent der IT-Beschäftigten ausmachen." (kf)
- CIO des Jahres 2023
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