Gerade erst hat der Bitkom in seinem Bericht zur konjunkturellen Lage und digitalen Agenda unter anderem festgestellt: 64 Prozent der Unternehmen in Deutschland gehen davon aus, dass sich durch die Digitalisierung ihr Geschäftsmodell verändern wird. Der Hauptgeschäftsführer des Bitkom, Bernhard Rohleder, sieht da im Gespräch mit CW-Redakteur Jan-Bernd Meyer die Pflicht nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei der Politik - trotz anstehender Bundestagswahl im Herbst 2017.
Industrien und Arbeitsplätze werden massiv verändert
CW: Durch die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse werden alle Industrien und deren Arbeitsplätze massiv verändert. Wie sehen Sie, wie sieht der Bitkom diese Entwicklung?
Rohleder: Wir gehen davon aus, dass sich ganze Wirtschaftsbereiche komplett ändern werden. Dass sich Ausbildungs- und Jobprofile sowie Studienprofile komplett ändern. Es gibt heute Berufe, deren Tätigkeiten vollständig digitalisierbar, weil algorithmisierbar sind. Sie werden in den kommenden zehn, 20 Jahren weitgehend verschwinden. Es gab in Deutschland einmal 3.000 Schriftsetzer. Die sind heute entweder in Hartz IV oder sie haben einen neuen Job. Das wird viele andere Berufe auch betreffen. Und zwar nicht nur die sogenannten Blue-Collar-Jobs in der Werkhalle. Das wird auch die White-Collar-Jobs in den Büros berühren.
CW: Das ist ja die Gretchen-Frage: Werden - wie in der Vergangenheit immer - genügend neue Tätigkeitsfelder entstehen, die im Saldo die Verluste an Arbeitsplätzen ausgleichen?
Rohleder: Wir erleben ja nicht die erste Digitalisierungswelle. Frühere Digitalisierungswellen hatten immer auch Arbeitsplatzeffekte. Technologien machten und machen bestimmte Arbeitsplätze obsolet, andere Tätigkeiten werden durch Technologien neu geschaffen. Bislang waren die Effekte stets positiv. Insofern stellt sich für uns im Moment nicht die Frage, ob hier Beschäftigungsvolumen in Summe entfällt. Wir sehen vielmehr die Chance, dass wir durch technologische Unterstützung zu mehr Qualität und mehr Effizienz in der Produktion und letztlich auch zu einer besseren Versorgung mit Verwaltungs-, Bildungs- oder auch Gesundheitsdiensten kommen. Denken Sie etwa an pflegerische Bereiche oder an die Medizin, wo wir Probleme wegen fehlender Spezialisten haben. Da haben wir zunehmend Engpässe im Arbeitsmarkt, die wir durch neue Technologien ausgleichen können.
- Digitalisierung und ihre Auswirkungen
Die Berater von Ernst&Young üben sich in Dramatik: ob die digitale Arbeitswelt Chance sei oder „Jobkiller“, stellen sie ihrer Befragung von mehr als 1.000 deutschen Arbeitnehmern voran. Teilgenommen haben sowohl Abteilungs- und Teamleiter als auch Sachbearbeiter. - Definition
Nur knapp jeder Vierte (23 Prozent) weiß mit dem Begriff Industrie 4.0 etwas anzufangen. - Bedeutung
Diese 23 Prozent verbinden mit Industrie 4.0 vor allem Digitalisierung/Informatisierung sowie Vernetzung von Maschinen und Anlagen und intelligente, selbstlernende Systeme beziehungsweise computergesteuerte Produktion und Prozesse. - Attraktiverer Job
Die Frage, ob die Digitalisierung den Arbeitsplatz attraktiver macht, hängt vom Alter ab. - Mehr Stress - oder weniger
Die Einschätzung der Auswirkungen von Digitalisierung weichen deutlich voneinander ab. Manche Befragte verspüren mehr Stress, andere dagegen weniger. - Information
Die Befragten fühlen sich innerhalb der Unternehmen nicht gut über die anstehenden Veränderungen informiert. - Qualifizierung
Nicht alle Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Digitalisierung bereit.
Wir befassen uns mit dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen
CW: Anfang des Jahres hat das World Economic Forum in Davos über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Wenn führende Politiker und Unternehmenslenker aus der ganzen Welt sich über solche Dinge Gedanken machen, wird man aufmerksam. Wie sieht der Bitkom das?
Rohleder: Wir im Bitkom setzen uns erstmals mit dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen auseinander. Das ist ein Instrument, mit dem man auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren kann. Am besten aber ist es natürlich, wenn man ein solches Instrument gar nicht erst einsetzen muss. Wir beschäftigen uns deshalb auch mit der Veränderung von Ausbildungsprofilen. Wir sind der festen Überzeugung, dass junge Menschen, die in Berufe der dualen Ausbildung gehen und die sich damit auf ein 50 Jahre dauerndes Berufsleben in diesen Qualifikationsprofilen vorbereiten, dass man ihnen jetzt Entscheidungshilfen an die Hand geben muss, die sie noch nicht haben. Wird es in zehn Jahren noch Zahntechniker geben? Vielleicht ja, vielleicht nein. Vielleicht werden sie komplett ersetzt durch 3D-Drucker. Aber es wird andere Qualifikationen beim Fachpersonal in Zahnarztpraxen geben müssen. Darauf müssen wir junge Menschen vorbereiten. Mit solchen Fragen setzen wir uns auseinander. Wir werden dazu eigene Studien und eigene Forschungen machen, um diese Lücke in der Berufsberatung zu schließen und so jungen Menschen bei ihrer Berufsentscheidung zu helfen.