"Chef, ich hab' eine Idee!" Wir alle wünschen uns Kreativität auf allen Unternehmensebenen. Was macht die gute Führungskraft, wenn der Mitarbeiter mit einer neuen Business-Idee um die Ecke kommt? Er antwortet: "Super. Und rechnet sich das? Mach doch mal einen Business Case!"
Der "alte Hut" Business Case scheint mehr en vogue denn je. Es ist der Wunsch nach Komplexitätsreduktion in einer immer komplexeren Umwelt. Denn: Wir agieren tatsächlich in einer extremen VUCA-World, geprägt von Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Wesentliches Merkmal dieses Umfeldes ist, dass alles immer interdisziplinär gedacht und damit komplexer gemacht wird. End-to-End-Prozesse werden echte Bandwürmer und das alte Mantra von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen hat kaum noch Relevanz.
Der Business Case ist ein alter Hut
Das Problem: Die meisten Führungskräfte sind in einer ganz anderen Welt sozialisiert. Hier ging es (und geht es nach wie vor in den Köpfen) mehrheitlich darum, Probleme mit bekannten Tools und Methoden zu "managen". Heute aber fußen Chancen und neue Geschäftspotenziale auf Ideen, die mit gänzlich neuen, nicht immer bekannten oder gar erprobten Methoden erschlossen, wenn nicht sogar erspürt werden wollen. Es gibt keine Blaupausen.
Ein Werkzeug um Investitionen, welche ja die Zukunft eines Unternehmens absichern sollen, zu bewerten, war und ist der Business Case. Er stellt an sich eine gute Methode dar, jedoch eben nur unter den richtigen Vorzeichen - und diese haben sich in der VUCA-Welt komplett verändert.
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Standardanalysen im Business-Case sind Geschichte
In dieser ist die Antwort auf VUCA die Umkehrung des Akronyms: Vision, Understanding, Clarity, Always. Diese stabile, vorhersehbare und damit deterministische Umwelt, ist aber nicht einfach wieder herstellbar. Folglich ist auch für einen Business Case eine vollumfängliche Kostentransparenz gar nicht darstellbar bzw. so komplex, dass gar nicht erst versucht wird, sie herzustellen. Eine realistische Gewinnbetrachtung ist folglich illusorisch. Eine häufige Reaktion darauf ist: Positive Hebel werden über- und negative Hebel unterbewertet - wenn sie überhaupt dargestellt werden bzw. werden können.
Es werden hier nicht alle Cases über einen Kamm geschoren, aber basierend auf meiner Erfahrung trifft das Ausgeführte auf mindestens 75 Prozent aller Cases zu.
Und ein solcher Dialog ist in vielen Unternehmen gelebte Realität:
Führungskraft: "Hast du den Case gerechnet"
Mitarbeiter: "Ja, habe ich"
Führungskraft: "Wann hat er sich amortisiert?"
Mitarbeiter: "In zwei bis drei Jahren"
Führungskraft: Gut, gehen wir`s an (Subtext: Meine Entscheidung ist unangreifbar, es gibt ja einen gerechneten Case!)
Von Risiken, Szenarienbetrachtungen und einer realistischen Amortisierungsdauer (etwa inkl. der Aufwände, die für die Case an sich aufgewendet wurden) sind die meisten Business Cases deshalb aus meiner Erfahrung meilenweit entfernt. Zudem wird jede Rechnung unter zwei Jahren zwar als nicht seriös abgelehnt, alles darüber ist für das Management aber auch viel zu lang gedacht. Jeder Case muss daher zwangsweise in zwei bis drei Jahren aufgehen, die Aussagekraft wird zur Farce.
Der Business Case in einer unvorhersehbaren Welt
Ein Business Case kann auch heute ein gutes Instrument zur Investitionsentscheidung sein. Aber die Vorzeichen müssen klar, ehrlich und umfassend sein. Unsere Welt ist mittlerweile nicht mehr vorhersehbar, sondern zu komplex, als dass man einen Business Case in ein Standard-Template packen kann.
Wenn das Dokument nur zur eigenen (politischen) Absicherung dienen soll, ist er das Papier nicht wert, auf dem er steht und ggegebenfalls sogar geschäftsschädigend, je nach Thema. Es ist für Unternehmen daher wichtig, neue Performance-Regeln und Kriterien zu definieren, denen jeder Business Case per default unterliegt, um die richtigen Schlussfolgerungen für den jeweiligen Case zu ziehen. (bw)