Mit iPhones telefoniert man nicht
Darüber hat sich auch Jacqueline Steffen Gewissheit verschafft. Sie ist Inhaberin von Steffen Coaching in Erlenbach und professionelle Telefontrainerin. Ihr Sohn eröffnete ihr kürzlich den Einblick in das Kommunikationsverhalten von morgen. Sie fragte den Filius, wen er anrufe, wenn er sein iPhone benutzt. "Eigentlich telefoniere ich nur noch mit euch, den Eltern", habe der 13-Jährige entgegnet. Für ihn ist das Gerät ein tragbarer, jederzeit verfügbarer Zugang zur digitalen Kommunikation - nur eben nicht für mündlich geführte Gespräche.
Dieser neue Standard, sagt die Studie von Dimension Data, hat längst auch die Älteren erreicht: "Auch die Gen X (geboren 1964 und jünger, Anm. d. Red.) verhält sich kaum anders als die Gen Y." Indizien dafür gibt es überall. In vielen Büros klingelt das Telefon immer seltener. In Großbritannien meldet es sich oft nur noch ein- oder zweimal am Tag. In den USA gehen manche Unternehmen schon dazu über, neue Schreibtische gar nicht mehr mit einem Telefonapparat auszustatten, wie das New-Economy-Magazin "Wired" meldet.
Ein Blick in die Berliner Coworking-Szene bestätigt den Trend. An den zahllosen Mietschreibtischen etwa im Betahaus oder bei Mobilesuite sitzen Web-Programmierer, IT-Tüftler und Startup-Unternehmer - und sie alle arbeiten meist still. Niemand telefoniert. Das Smartphone liegt zwar griffbereit neben dem Laptop, aber dort kommen allenfalls Textnachrichten an. Die Zahl der klassischen Sprachtelefonate pro Tag geht gegen null.
Klar, Gründer und Kleinunternehmer tun heute schon das, was andere erst morgen tun. Das gute alte Telefon ist noch längst nicht überall verstummt. In Traditionsbranchen wie dem Handwerk oder in Firmen, die viele Mitarbeiter im Blaumann beschäftigen, wird noch viel telefoniert. "Wer ein Problem mit einer Maschine oder an seinem Computer klären will, ruft im Zweifel den Service an", sagt Marcus Meloni, CEO der Avocis AG, die zahlreiche Call-Center betreibt. E-Mail sei hier nicht das Mittel der Wahl, für erklärungsbedürftige Sachverhalte ist der Kanal zu umständlich. Aber am generellen Trend ändert das nichts. Die Zahl der Telefongespräche erreichte im Jahr 2007 ihren Höhepunkt und sinkt seither, ermittelte eine Studie des Marktforschers Nielsen bei Mobilfunknutzern - und die Gespräche werden immer kürzer."Mein Zug ist aus dem Fahrplan geraten. Ich komme zehn Minuten später zum Meeting" - für Botschaften wie diese wählt der Büromensch immer noch am liebsten das Telefon.
Ansonsten aber gilt für Anrufe im Geschäftsleben dieselbe Regel, die für Besuche schon immer galt: Kontakt gerne, aber nur mit Anmeldung. "Wenn heute im Büro telefoniert wird, geht dem oft eine Verabredung voraus", stellt der St. Galler Kommunikationsexperte Eppler fest. Da werden erst einmal Mails des Typs "Können wir telefonieren?" oder "Wann hast du Zeit für einen Anruf?" durch den digitalen Äther gejagt. Man textet hin und her, einigt sich: Telko nächsten Donnerstag, 10.30 Uhr, eine Viertelstunde. Dieses Format ist verbreitet und wird weiter zunehmen, oft in Verbindung mit Telefonkonferenzen.
"Anrufen ist uncool"
Denn durch neue Services wie meetgreen.de, myTelco.de oder meeble.de wird es immer leichter, viele Personen zur Konferenz zusammenzuschalten. Aussterben werden dagegen die belanglosen Plaudereien aus unserem Beispiel.
Überraschende Anrufe sind in vielen Büros nicht erwünscht. Die Telekom etwa betreibt in Berlin einen Inkubator namens Hubraum, der mehrere IT-Startups des Konzerns beherbergt. "Anrufen ist uncool", lautet die Botschaft, die die Tochterfirma des größten Telefonunternehmens im Lande aussendet: Eine Telefonnummer von Hubraum findet sich auf der Homepage nicht.
Der Rückgang der Telefonate gefällt nicht allen, Call-Center oder Telefontrainer beispielsweise sind ernsthaft betroffen. Denn Verkäufe per Anruf sind in der neuen Kommunikationswelt ein No-Go. Privathaushalte anzurufen, um etwas zu verkaufen, verbietet inzwischen ohnehin das Gesetz. Im Geschäft sieht es auch ohne Regulierungseinflüsse kaum anders aus: "Sales-Anrufe in Büros, diese Praxis gerät immer mehr in die Ecke des Unseriösen", beobachtet Call-Center-Betreiber Meloni.
Deshalb spielt dieser Kontaktkanal in seinem Geschäft kaum noch eine Rolle: "Das wird aussterben." Fast alle Telefonagenten bei Avocis arbeiten nur noch "inbound", wie es in der Fachsprache heißt: Sie sind bereit, um Anrufe, etwa von Kunden, entgegenzunehmen.
Auch bei den Telefontrainern stehen die Zeichen auf Umbruch. Die Profession hatte ihre große Zeit, als das Telefon Kontaktkanal Nummer eins war - bequemer als Fax, schneller als der Brief. Da galt, was Ernst Z`Graggen, Telefontrainer und Inhaber des Dienstleisters Telefonpower.ch, so beschrieb: "Das Telefon ist die Visitenkarte des Unternehmens." Freundliche Stimme, positive Ansprache, den Anrufer nicht weiterleiten, sondern sein Problem sofort lösen - mit solchen Lehrsätzen machen Z`Graggen und Kollegen bis heute gute Geschäfte.
Aber der Wandel lässt sich nicht aufhalten. Bevor heute einer anruft, hat er sich längst im Netz schlaugemacht. Paket noch nicht angekommen? Mit welcher Taste gelingt der Neustart der Kamera? Antworten auf Fragen wie diese bekommt der digital vernetzte Verbraucher heute auf den zahlreichen Selbstbedienungsseiten. Amazon hat die Verbraucher längst umerzogen - sie rufen nicht mehr an, sondern versuchen erst einmal, die Antwort im Netz selbst zu finden. Der Anruf beim Bestell- oder Kundencenter wird weiter an Bedeutung verlieren und damit auch das Training für Telefonagenten.
Ganz aussterben wird das Telefongespräch dennoch nicht. Sobald es im Büro um komplexe Themen geht, ist der Griff zum Telefon auch in Zukunft der Weg der Wahl. "Kompliziertes am besten im Gespräch miteinander klären", empfiehlt Kommunikationsprofessor Eppler. Das vermeidet das digitale Pingpong, bei dem immer wieder hin- und hergemailt wird.