Volvo und Polestar

Das Auto als rollendes Smartphone

12.01.2022
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Volvo setzt in seinen kommenden E-SUVs und dem Polestar 3 auf Smartphone-Technologie. Von Snapdragon kommt die Digital Cockpit Technology und von Google das Betriebssystem Android Automotive.
Betriebssystem und Software für ein Auto selbst entwickeln oder auf Kooperationen setzen? Volvo und Polestar (im Bild der kommende Polestar 3) setzen auf eine Kooperation mit Google und Qualcomm.
Betriebssystem und Software für ein Auto selbst entwickeln oder auf Kooperationen setzen? Volvo und Polestar (im Bild der kommende Polestar 3) setzen auf eine Kooperation mit Google und Qualcomm.
Foto: Polestar

Software und Betriebssystem werden im Zeitalter der Software Defined Vehicle immer mehr zu strategischen Ausstattungsmerkmalen, die künftig sogar das Markenimage eines Herstellers prägen könnten. Dabei haben die Fahrzeughersteller zwei Optionen: Entweder sie entwickeln Software und Betriebssystem selbst, oder sie setzen auf Kooperationen, denn immer mehr große IT-Player wie Google, Microsoft, Intel, IBM etc. drängen ebenfalls in dieses Marktsystem.

Eigenentwicklung oder Kooperation?

Für den ersteren Weg haben sich etwa Tesla, BMW mit dem OS7 und OS8 oder Mercedes entschieden. So wollen die Stuttgarter etwa bis 2024 das eigene Mercedes-Benz Operating System - kurz MB.OS - entwickeln. Andere wie VW - hier will man im Rahmen der Volkswagen Automotive Cloud gemeinsam mit Partnern wie Microsoft ein digitales Ökosystem für die vernetzte Mobilität der Zukunft entwickeln -, Stellantis mit AWS oder Volvo setzen dagegen auf Kooperationen.

Volvo setzt auf Qualcomm und Google

So könnte künftig ein Dashboard auf Basis der Snapdragon-Cockpit-Plattform mit Android Automotive Operating System in Fahrzeugen der Volvo Gruppe aussehen.
So könnte künftig ein Dashboard auf Basis der Snapdragon-Cockpit-Plattform mit Android Automotive Operating System in Fahrzeugen der Volvo Gruppe aussehen.
Foto: Volvo Cars

So übt Volvo etwa den Schulterschluss mit Qualcomm und Google. Qualcomm Technologies, die Volvo Car Group und Google haben dazu eine langfristige Roadmap entwickelt. Im Zuge der Zusammenarbeit sollen die Infotainment-Systeme im Polestar 3 SUV und im kommenden vollelektrischen SUV von Volvo Cars mit der Snapdragon-Cockpit-Plattform der nächsten Generation und Android Automotive als Betriebssystem ausgestattet werden.

Auf diese Weise sollen fortschrittliche Wireless-Technologien wie WiFi 6 oder 5G im Auto Einzug halten und erweiterte WiFi- und Bluetooth-Funktionen geboten werden. Zudem soll den Nutzern mit dem Android Automotive Operating System (AAOS) ein neues und verbessertes Benutzererlebnis geboten werden. Dazu werden etwa Features wie eine sprachgesteuerte Hilfe durch den Google Assistant, eine Navigation mit Google Maps sowie ein breites Ökosystem von Automobilanwendungen und -diensten auf Google Play gehören. Künftige Verbesserungen oder Updates werden - wie es heißt - als Over-the-Air-Updates (OTA) ausgerollt.

Android als Auto-OS

Im Gegensatz zu Android Auto oder Apples CarPlay, die direkt auf dem Smartphone laufen, ist Android Automotive OS eine angepasste Version von Android, die vorinstalliert als Haupt-Infotainment-Betriebssystem im Auto läuft. Für iPhone-Nutzer dürfte dies wohl zwangsläufig bedeuten, dass sie im Auto Android benutzen müssen, da es wohl kaum eine CarPlay-Schnittstelle geben dürfte, wie sie gerade heute bei vielen Infotainment-Systemen der Premiumhersteller erhältlich ist - wenn auch häufig nur gegen Aufpreis.

Zudem soll sich das neue System dank der 3rd Generation Snapdragon Cockpit Platforms deutlich schneller und flüssiger bedienen lassen als heutige Infotainment-Systeme, die verwöhnte Highend-Smartphone-Nutzer mit ihrer trägen Reaktion durchaus teilweise zur Verzweiflung treiben können. Glaubt man den Zahlen von Qualcomm, dann wartet die Snapdragon-Plattform mit einer 2,5mal schnelleren Gesamtsystemgeschwindigkeit, 5 bis 10mal schnelleremGrafik-Rendering und einer 2,5mal schnelleren digitalen Audiosignalverarbeitung auf.

Upgrade-Pfad für die Zukunft?

Dabei basiert die Generation-3-Plattform, die im Polestar 3 zum Einsatz kommen soll, laut Qualcomm auf einem Snapdragon 820 SoC. Zur Erinnerung: Das war im Jahr 2016 einer derARM-Flaggschiff-Smartphone-Chips, der in Smartphones wie dem Samsung Galaxy S7 und dem Google Pixel 1 verbaut wurde. Auch wenn die Plattform derzeit nicht die aktuellsten Chips verwendet, könnte Volvos Entscheidung dennoch ein cleverer Schachzug sein: Durch den Verbau der fast gleichen Hard- und Softwareplattform wie in Smartphones könnte der Autobauer von der jährlichen Smartphone-Weiterentwicklung profitieren. Damit hätte Volvo Zugriff auf einen einfachen, konsistenten ARM- und Android-Upgrade-Pfad, während etwa die Mitbewerber mit eigenem Betriebssystem die Weiterentwicklung in Eigenregie betreiben müssten, was teuer und zeitaufwändig ist. Nicht umsonst stellt Mercedes für die Entwicklung des MB.OS derzeit am Standort Sindelfingen 1.000 neue Softwareentwickler ein und sucht weltweit 2.000 weitere Entwickler.