Ein Blick in den aktuellen Cloud Monitor von KPMG zeigt: Cloud Computing ist aus der deutschen Unternehmenslandschaft nicht mehr wegzudenken. 84 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, im letzten Jahr Cloud-Dienste genutzt zu haben. Und auch wenn die Private Cloud mit 67 Prozent noch immer die Nase vorn hat, ist ein steigendes Interesse an der Public Cloud erkennbar. Es zeichnet sich also keinesfalls ein Entweder-Oder am Cloud-Markt ab, im Gegenteil: Der Trend geht recht eindeutig zu hybriden Nutzungsszenarien zwischen On-Premises und öffentlicher Cloud.
Weniger eindeutig hingegen ist die Lage bei den einzelnen Unternehmen im Detail, wie die Expertenrunde beim COMPUTERWOCHE-Roundtable zum Thema "Hybrid Cloud" feststellt. "Es gibt riesige Unterschiede hinsichtlich der Reifegrade und Herangehensweisen bei der Cloud-Migration und -Strategie", beschreibt Angelo Feiertag, Associate Partner von Kyndryl, die Situation. Es gebe selbst innerhalb gleicher Branchen derart unterschiedliche Entwicklungsstadien, dass es fast unmöglich sei, den Status Quo präzise zu beschreiben.
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Anforderungskataloge sind hochindividuell
So verschieden wie die Ausgangssituationen der einzelnen Unternehmen sind auch die individuellen Gründe, auf hybride Szenarien zu setzen. Interessant ist dabei, dass der Weg von "private" zu "public" keineswegs eine Einbahnstraße ist. Denn es gibt durchaus eine signifikante Menge an Unternehmen, die erfolgreich betriebene Cloud-Native-Services aus Compliance-Gründen nun auch in der Private Cloud betreiben wollen. Andere versprechen sich mehr Skalierbarkeit für eigene Applikationen, indem sie diese in Lift & Shift-Manier vom berüchtigten "Blech im Keller" in die Public Cloud bewegen. Wiederum andere betreiben Multi-Clouds, also gleich mehrere Public Clouds parallel, um dem berüchtigten Vendor-Lock-In zu entgehen.
Das hat eine zunehmende Individualisierung des Cloud-Marktes zur Folge. "Viele Kunden haben zwar zumeist ähnliche Herausforderungen, aber oft einen ganz unterschiedlichen Industriefokus", erklärt dazu der Kyndryl-Berater Feiertag. Durch eine nicht durchdachte Nutzung von Standardlösungen könne man diesen Anforderungen nicht begegnen. Stattdessen empfiehlt er, in die Beratungsleistung zu gehen und Roadmaps anzulegen, mit denen die individuell richtigen Schritte zum richtigen Zeitpunkt angegangen werden können. Zudem hebt er die große Bedeutung strategischer Partnerschaften und Allianzen hervor, um Kunden ganzheitlich betreuen zu können.
- Scott Boyd, Cloudflare
"Unabhängig von der Art der Cloud ist die zentrale Frage, wie wir eine einheitliche und konsistente Sicherheitsschicht unter den darüberliegenden Plattformen aufbauen können. Das bringt sehr viel Flexibilität, wenn Applikationen problemlos umgezogen werden können, ohne dass Unternehmen sich um die individuellen Sicherheitsvorkehrungen des neuen Providers sorgen müssen." - Orli Shahidi, Getronics Germany
“Wir müssen uns für globale und multinationale Expertise öffnen. Es gibt viele wundervolle, talentierte Menschen mit großartigem Know-how weltweit, aber in Deutschland wird dies manchmal nicht anerkannt oder die Sprachbarriere stellt eine Herausforderung dar. Außerdem haben wir viele unfassbar versierte Frauen, für die die IT-Branche allerdings nach wie vor nicht besonders attraktiv ist. Hier benötigen wir angesichts des Fachkräftemangels ein grundsätzliches Umdenken.” - Kerim Satirli, HashiCorp
“Die riesige Komplexität von Hybrid- oder Multi-Cloud stellt massive Anforderungen an die Softwarearchitektur. Um die Transportabilität von Applikationen auch im Multi-Cloud-Umfeld sicherstellen zu können, braucht es eine Lingua Franca. Doch ein solches System zu bauen und zu pflegen ist alles andere als einfach.” - Erwin Breneis, Juniper Networks
“Um Transportabilität zu gewährleisten, brauchen Unternehmen einheitliche Security Policies, welche sowohl für die Private als auch für die Public Cloud Anwendung finden. Dies erreicht man durch Einsatz einheitlicher Services, ob innerhalb oder außerhalb der Cloud. Der Hybrid-Ansatz vereint die Vorteile einer Private Cloud – mehr Kontrolle über die Services – mit denen einer Public Cloud – Skalierbarkeit der Services– und sollte am Ende das gleiche „Ease of Use“ Erlebnis bieten.“ - Angelo Feiertag, Kyndryl
“Es ist wichtig, Allianzen und Partnerschaften ganzheitlich zu betrachten und zu überlegen, wann es sinnvoll ist, welche Lösungen einzusetzen, um die Benefits der Cloud zu realisieren und einen Lock-In Effekt zu vermeiden. Es geht darum, den richtigen Workload in der richtigen Plattform zu platzieren. Viele Kunden haben zwar zumeist ähnliche Herausforderungen, aber oft einen ganz unterschiedlichen Fokus – hier braucht es eine Roadmap, um die spezifischen Schwerpunkte schneller angehen zu können. Eine nicht durchdachte Nutzung von Standardlösungen sind in solchen Fällen nicht mehr ausreichend. Stattdessen müssen wir in die Beratungsleistung gehen und den besten Ansatz individuell ermitteln.” - Peter Goldbrunner, Nutanix
"Jedes Unternehmen und jeder Workload ist einzigartig. Es geht darum, keine neuen Silos aufzubauen, die mit der eigenen Private Cloud nichts zu tun haben, sondern eigene Strukturen so weit zu modernisieren, dass diese auch public nutzbar werden. Dabei spielen die Komplexität und die Sicherheit eine große Rolle. Die Herausforderung besteht darin, Mobilität ohne Vendor Lock-In zu erreichen, um die Datenhoheit zu bewahren. Die Brückentechnologie zwischen dem eigenen RZ und der Public Cloud ist das Kunststück, um die Flexibilität zu gewährleisten und den Lock-In zu vermeiden." - Matthias Pfützner, Red Hat
“Es geht nicht immer nur um Komplexitätsreduzierung. Vielmehr sind es geschäftliche Anforderungen, die den Einsatz einer Hybrid Cloud befürworten oder auch nicht. Wir müssen individuelle Faktoren nach Kunden und Einsatzszenario bewerten - das ist die Herausforderung. Nur wenn der Use Case klar ist, können wir die Vorteile herausarbeiten.” - Samir Hamiani, Thinkport
“Viele Unternehmen streben nicht mehr uneingeschränkt eine vollständige Cloud-Migration an, da sie Bedenken bezüglich Vendor-Lock-In und Datenschutz haben. Der Trend bewegt sich hin zu Multi-Clouds, bei denen Unternehmen nicht mehr bereit sind, sich auf einen einzigen Provider festzulegen. Ein klassischer Fehler besteht allerdings darin, anzunehmen, dass die Cloud immer kostengünstiger ist. Das mag in vielen Fällen zutreffen, muss aber nicht immer so sein. Daher ist es wichtig zu prüfen, welche Anwendungen in die Cloud migriert werden müssen und welche in einer On-Premises-Umgebung betrieben werden sollten. Dabei sollte besonders darauf geachtet werden, welche Anwendungen von Skalierbarkeit und hoher Ausfallsicherheit profitieren würden.”
Orli Shahidi, Account Manager & Business Developer DACH von Getronics Germany, betont: "Viele Provider müssen lernen, keine Standardlösungen aus der Schublade anzubieten, sondern die richtigen Fragen individuell zu stellen." Shahidi unterstreicht die Bedeutung von gewissen Standards wie Datenhoheit und Flexibilität, ergänzt aber, dass es für Hybrid-Cloud-Ansätze kein klares Erfolgskonzept, sondern lediglich eine Richtung gibt. "Solange bestimmte Grundsätze gewahrt bleiben, ist alles möglich," fügt sie hinzu.
Flexibilität durch Portabilität gewährleisten
In diesem Kontext ist die Wahl der Provider nicht so sehr entscheidend wie vielmehr die Unabhängigkeit von diesen. Besonders die Multi-Cloud erlaubt Unternehmen hier großen Spielraum. "Insbesondere unter regulatorischen Gesichtspunkten sollten wir die spezifischen Angebote der Provider auch einmal kritisch hinterfragen," erklärt Matthias Pfützner, Solution Architect Cloud bei Red Hat. Flexibilität sei hierbei das wichtigste Stichwort: Dazu müssen die Anwendungsstacks transportabel gestaltet werden, um Applikationen ohne weiteres bei Bedarf in andere Cloud-Umgebungen umziehen zu können. Dazu seien auch Aspekte der Softwarearchitektur entscheidend.
Um diese Portabilität zu gewährleisten, sollten die Betriebsmodelle sowohl public als auch privat quasi identisch sein, erklärt Erwin Breneis, Sales and Solution Specialist von Juniper Networks. Services sollten auf gleiche oder zumindest ähnliche Weise funktionieren und angewandt werden. Mit Blick auf Compliance-Richtlinien ergänzt Breneis jedoch: "Es muss allen klar sein, dass nicht alle Workloads dazu geeignet sind, in einer Public Cloud betrieben zu werden."
Unternehmen müssen sich dazu jedoch zunächst im Klaren sein, welche Teile ihres Applikationsportfolios sie in der Public Cloud, welche On-Premises betreiben wollen. Im Optimalfall sollten die Systeme ineinandergreifen und nicht voneinander abgeschottet funktionieren. "Es geht darum, keine neuen Silos aufzubauen, die mit der eigenen Private Cloud nichts zu tun haben, sondern eigene Strukturen soweit zu modernisieren, dass diese auch public nutzbar werden," betont Peter Goldbrunner, Vice President & General Manager Central Europe von Nutanix.
Studie "Hybrid Cloud 2023": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Hybrid Cloud führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Fachabteilungen im BizDevOps-Ansatz einbinden
Um die Migration in hybriden Cloud-Setups also gezielt anzugehen, brauchen Unternehmen eine geeignete Strategie. Leider geht der Großteil der Unternehmen (60 Prozent) dabei noch wenig planvoll vor, wie die aktuelle Studie "Cloud-Migration" von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE herausfand. Die Experten des Roundtables bestätigen diese Erkenntnis im Wesentlichen.
"Wir machen die Erfahrung, dass es häufig die größeren Unternehmen sind, die sich erst im Nachgang Gedanken machen, wie die Migration genau umgesetzt werden kann", sagt dazu Scott Boyd, Senior Solutions Engineer von Cloudflare. Er hebt den Umfang und die Komplexität einer solchen Migration hervor, die vor allem dann entsteht, wenn viele Services in die Cloud umgezogen werden sollen - hier benötige es eine Herangehensweise, die skalierbar ist. Dazu empfiehlt er ein durchdachtes und einheitliches Grundkonzept, um sicherzustellen, dass man nicht jede einzelne Migration anders angehen muss.
Doch wie gehen Unternehmen die Migration organisatorisch im besten Fall an? Für die Expertenrunde spielen die Fachabteilungen eine zentrale Rolle und müssen zwingend mit einbezogen werden. In die Cloud umzuziehen sei kein Selbstzweck, sondern solle konkreten Geschäftsnutzen erzielen. "Die Fachabteilungen einzubinden ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass man nicht in die Leere entwickelt und Lösungen sich an echten Use Cases orientieren," empfiehlt dazu Samir Hamiani, Circle Lead Hybrid Cloud Solutions bei Thinkport. Er rät zudem, die Entwicklung regelmäßig zu tracken und kurze Kommunikationswege zu pflegen, um ein reibungsloses Zusammenwirken zu gewährleisten.
Kyndryl-Manager Feiertag bringt in diesem Zusammenhang den BizDevOps-Ansatz ins Spiel, also die Verbindung von Fachabteilungen, IT-Entwicklung und IT-Betrieb in selbstorganisierenden Teams. Damit ließe sich sicherstellen, dass den Interessen und Bedürfnissen aller Bereiche adäquate Aufmerksamkeit geschenkt wird. Feiertag betont jedoch, dass dazu langfristiges Change Management betrieben werden muss: "Nur weil man sagt: 'Ihr seid ab jetzt ein agiles Team', passiert da noch nichts von alleine." Er fordert, dass Fachabteilungen und IT auch organisatorisch künftig noch stärker zusammenwachsen.
Fachkräftemangel: Auch auf internationales Personal zurückgreifen
Dazu braucht es aber ausreichend Fachpersonal. Hier warnen die Experten jedoch vor den Auswirkungen des Fachkräftemangels. "Angesichts der großen Komplexität von Hybrid Cloud ist qualifiziertes Personal so wichtig wie nie zuvor", erklärt Kerim Satirli, Senior Developer Advocate von HashiCorp. Dies sei jedoch zunehmend schwer zu finden, da zahlreiche Unternehmen um Fachkräfte konkurrieren.
Vielleicht machen sich besonders deutsche Unternehmen die Situation jedoch auch unnötig schwer. Angesichts der Tatsache, dass sich der Fachkräftemangel in absehbarer Zeit eher verschlimmern wird, sind Unternehmen über jede qualifizierte Hilfe dankbar - sollte man zumindest meinen.
Getronics-Managerin Shahidi weist jedoch darauf hin, dass Unternehmen in Deutschland noch zu oft auf Muttersprachler bestehen. Das habe zur Folge, dass wertvolles Know-how von Experten anderer Länder und Kulturen nicht optimal genutzt wird. Zudem moniert sie, dass die IT-Branche nach wie vor für Frauen nicht besonders attraktiv gestaltet sei und zu wenig dafür getan werde, das zu ändern.
Auch Red-Hat-Experte Pfützner ist der Ansicht, dass sich der Bedarf an Fachkräften zukünftig nicht mehr ausschließlich mit deutschem Personal decken lassen wird. Zudem sieht er akuten Handlungsbedarf angesichts der Tatsache, dass in den kommenden Jahren Millionen von Fachkräften in Rente gehen. Es gebe gewisse Änderungsresistenzen, da Belegschaften in ihren letzten Jahren oft wenig Interesse an größeren Veränderungen haben würden.
"Das Problem beschränkt sich nicht nur auf die personelle Ebene, sondern führt zu einem erheblichen Know-how-Verlust", ergänzt Pfützner. Dieses Zukunftsszenario birgt weitreichende Herausforderungen, die es anzugehen gilt.
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