Zurzeit stecken viele Unternehmer in folgendem Dilemma: Sie wissen, dass sie eigentlich all ihren Mitarbeitern eine satte Lohnerhöhung gewähren müssten, um deren inflationsbedingten Kaufkraftverlust auszugleichen, doch betriebswirtschaftlich können sie sich das nicht leisten. Zum Beispiel, weil die Erträge ihres Unternehmens bereits im Keller sind oder weil sie befürchten, dass es demnächst dazu kommt und sie deshalb die Fixkosten ihres Betriebs nicht erhöhen möchten.
Mitarbeiter spüren ihren Kaufkraftverlust täglich
Mitarbeiter spüren jedoch seit Monaten bereits die Preissteigerungen beim Einkauf, und ihre Gas- und Stromrechnungen dokumentieren sie. Deshalb werden sie häufiger bei ihren Arbeitgebern vorstellig mit der Bitte beziehungsweise Forderung nach einer Gehaltserhöhung. Und nicht selten untermauern sie diese schon mit dem Angebot eines anderen Arbeitgebers.
Denn weil sie Tag für Tag spüren, wie ihre Kaufkraft schrumpft, schauen sie sich auch häufiger nach Job-Alternativen um - teils, weil sie real einen Arbeitgeberwechsel erwägen, meist jedoch zunächst um auszuloten, wieviel ihre Arbeitskraft anderen Arbeitgebern wert ist, um gegenüber ihrem aktuellen eine bessere Verhandlungsposition zu haben. Oft erhalten sie dann, weil gute Fachkräfte in fast allen Berufen und Branchen eine Mangelware sind, sehr schnell ein zumindest finanziell attraktives Stellenangebot, und mit ihm werden sie dann bei ihrem Arbeitgeber vorstellig, sofern sie ihm nicht sogleich eine Kündigung schicken.
Kurzfristige Absagen an der Tagesordnung
Ein recht junges Phänomen ist zudem: Wenn der Arbeitgeber Bewerbern eine Stellenzusage erteilt, sagen diese oft ab. Denn wenn sie bei ihrem bisherigen Arbeitgeber mit der Kündigung vorstellig werden, sagt dieser: "Bleib' da, du kriegst ab nächstem Monat 500 Euro mehr Gehalt." Denn er weiß:
Es wird schwer und vermutlich sogar noch teurer für ihn, einen adäquaten Ersatz zu finden, als dem Mitarbeiter ein höheres Gehalt zu gewähren.
Er kann gestiegene Personalkosten aktuell recht problemlos an seine Kunden weitergeben.
Wenn es um die Frage geht, wie Arbeitgeber auf eine höhere Gehaltsforderung von Mitarbeitern reagieren sollten, gilt es deshalb zwischen folgenden Unternehmen zu unterscheiden:
Unternehmen, die höhere Personalkosten relativ problemlos an ihre Kunden weitergeben können und
Unternehmen, die dies nicht oder nur sehr schwer können - etwa viele Zulieferer von Großunternehmen oder auch Behörden, die an das öffentliche Tarifsystem gebunden sind.
Keinesfalls sollten Unternehmer auf einen entsprechenden Vorstoß eines Mitarbeiters mit einer Aussage reagieren wie "Sie wollen mich erpressen?" - gerade in der aktuellen Situation nicht, in der viele Arbeitnehmer extrem verunsichert sind und oft mitbekommen: Mein Arbeitgeber erhöht auch seine Preise, weil seine Kosten gestiegen sind.
Verständnis für Mitarbeiteranliegen zeigen
Dass Arbeitnehmer in dieser Situation das Gefühl haben "Auch ich muss eine Preisanpassung vornehmen", dafür sollten Unternehmer zumindest Verständnis zeigen. Ansonsten ist ein Konflikt, der zu einem Bruch der Beziehung führt, programmiert. Inwieweit sie dann auch die gewünschte Gehalts- beziehungsweise Preisanpassung vollziehen, ist eine andere Sache.
Firmen sollten Mitarbeitern, die sie nicht verlieren möchten, zudem das Gefühl vermitteln, dass sie sich ernsthaft darum bemühen, ihren Wunsch nach einer Gehaltserhöhung "soweit möglich" zu erfüllen. Denn hinter der Forderung nach mehr Gehalt steckt zwar oft auch der Wunsch nach mehr Anerkennung, doch aktuell haben nicht wenige Arbeitnehmer, die nicht zu den Top-Verdienern zählen, entweder bereits finanzielle Probleme oder sie sehen diese auf sich zukommen, wenn die Lebenshaltungskosten weiter steigen.
Tragfähigen Kompromiss finden
Doch wie soll ein Arbeitgeber nun konkret reagieren, wenn ein wichtiger Mitarbeiter bei ihm beispielsweise mit der Bitte nach 500 Euro mehr Gehalt im Monat vorstellig wird, die er nicht bezahlen kann oder möchte? Dann sollte er zunächst einmal nicht panisch reagieren, selbst wenn ein Konkurrenzangebot vorliegt. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer das Gespräch mit ihm sucht, zeigt, dass er sich noch nicht entschieden hat und zumindest zwei Seelen in seiner Brust miteinander kämpfen.
Deshalb sollte er zunächst einmal dem Mitarbeiter das Gefühl vermitteln, das Anliegen zu verstehen und ernstzunehmen. Danach sollte er zum Beispiel sagen: "Ich würde Sie extrem ungern als Mitarbeiter verlieren, da wir nun schon seit fünf Jahren sehr gut zusammenarbeiten und ich Sie auch als Mensch schätze - was Sie hoffentlich wissen". Danach sollte er abwarten, was der Mitarbeiter sagt.
Jobwechsel birgt auch Risiken
Angenommen dieser erwidert: "Auch ich arbeite gerne für Ihr Unternehmen, doch ich muss auch schauen, wie ich meine Familie ernähre und das fällt mir zunehmend schwer." Eine solche Aussage signalisiert Gesprächsbereitschaft - und sei es nur, weil auch der Mitarbeiter weiß, dass mit jedem Arbeitgeberwechsel Risiken verbunden sind. Hinzu kommen nicht selten handfeste Nachteile wie längere Fahrzeiten oder ein nötiger Umzug, der ebenfalls Geld kostet. Deshalb lässt sich meist ein für beide Seiten noch tragfähiger Kompromiss finden.
Dieser kann wie folgt aussehen: Das Unternehmen gewährt dem Mitarbeiter, sofern der erforderliche finanzielle Spielraum besteht, statt der 500 Euro Gehalterhöhung 250 Euro im Monat - unter der Prämisse, dass er gewisse Zusatzaufgaben übernimmt. Dies als Bedingung zu formulieren, ist oft nötig, um das Gehaltsgefüge nicht zu sprengen oder bei der Entlohnung nicht - offensichtlich - willkürlich zu agieren.
Notfalls, um einen terminlichen Aufschub bitten
Angenommen nun das Unternehmen kann real kein höheres Gehalt bezahlen oder sein Inhaber befürchtet: Dann bekommen wir wegen der höheren Fixkosten massive Probleme. Dann kann er zum Mitarbeiter auch sagen: "Ich würde Ihnen gern mehr Geld bezahlen, das geht aber zurzeit nicht - auch weil noch unsicher ist, welche Unterstützung der Staat Betrieben wie uns gewährt. Können wir uns eventuell in ein, zwei Monaten nochmals zusammensetzen und darüber sprechen, wie es weitergeht?"
Dann besteht zumindest die Chance, dass der Arbeitnehmer, sofern er sich mit dem Unternehmen emotional verbunden fühlt, ihm diese Frist gewährt. Tut er dies nicht, dann hat sein Arbeitgeber die (mögliche) Trennung als den normalen Lauf der Dinge zu akzeptieren. Schließlich trennt auch er sich zuweilen von Mitarbeitern und Lieferanten, wenn er aus seiner Warte das Preis-Leistungsverhältnis nicht mehr stimmt. (hk)