Change-Management-Maximen

Change-Projekte professionell planen und steuern

14.07.2014
Von 
Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des "Change Management Handbuch" und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence und der Technischen Universität Clausthal.
Strukturelle Veränderungen wirken sich häufig massiv auf die Unternehmenskultur aus. Oft erzeugen sie Widerstände, die auch geschäftlich negative Folgen haben können. Wie lassen sich solche Rückschläge vermeiden?

Vor allem große Unternehmen habenheute viel Erfahrung mit Veränderungsprojekten. Deshalb lässt sich eine gestiegene Professionalität beim Managen solcher Projekte konstatieren. Trotzdem erreichen viele Change-Projekte die definierten Ziele nur teilweise oder viel später als geplant.

Die häufigste Ursache: Beim Planen, Initiieren, Gestalten und Steuern der Change-Prozesse richten die Verantwortlichen ihr Augenmerk in erster Linie auf die Strukturen. Sie vernachlässigen die kulturellen Aspekte, die jede strukturelle Veränderung hat, und unterschätzen deren Relevanz für den betriebswirtschaftlichen Erfolg. Zudem übersehen die Verantwortlichen oft die engen Wirkungszusammenhänge zwischen den verschiedenen Dimensionen eines Change-Prozesses.

Diese Zusammenhänge lassen sich an einem fiktiven, aber realistischen Beispiel illustrieren: Bei einer Versicherungsgesellschaft sollen die Außendienstmitarbeiter künftig auch die Policierung vornehmen, damit der Kunde, so er sich für eine Versicherung entscheidet, sofort den Vertrag erhält. Hierfür muss die IT des Assekuranzunternehmens umgestaltet werden. Die Außendienstmitarbeiter erhalten mit ihren Laptops Zugang zum zentralen Rechner.

Vor allem aber ändern sich die Arbeitsprozesse in der Zentrale der Versicherungsgesellschaft - unter anderem, weil Aufgaben wie das Erfassen der Kundendaten und das Bearbeiten der Anträge entfallen. Für die bisher zuständigen Sachbearbeiter müssen also neue Aufgaben gefunden werden, sofern sie das Unternehmen nicht verlassen sollen. Zum Beispiel können sie künftig als Kundenbetreuer im Call-Center arbeiten. Doch ein solcher Jobwechsel setzt bei den Sachbearbeitern, die bisher keinen Kundenkontakt hatten, einen mentalen Turnaround voraus. Entsprechend groß sind ihre Ängste und, sofern darauf nicht angemessen reagiert wird, ihre Widerstände.

Auf der strukturellen Ebene steuern die Unterehmen ihre Veränderungsprozesse in der Regel routiniert. Das trifft weniger zu, wenn es um kulturelle Fragen geht. Deren Bedeutung wird oft unterschätzt - von den Verantwortlichen wird sie zuweilen sogar als "Psycho-Kram" abgetan. Das führt in der Praxis oft dazu, dass sich latente Ängste zu massiven Widerständen gegen das Neue verfestigen, die ihrerseits zu Reibungsverlusten sowie Terminverzögerungen und Nacharbeiten führen.

Kulturelle Aspekte von vornherein einplanen

Deshalb sollten die kulturellen Aspekte eines Change-Projekts schon in dessen Planungsphase angemessen berücksichtigt werden. Zudem ist es sinnvoll, in das Projektdesign bereits Maßnahmen zu integrieren, mit denen sich der kulturelle Wandel meistern lässt. Diese Maßnahmen können unterschiedlicher Art sein - abhängig von der Phase, in der sich der Veränderungsprozess befindet. In der Startphase zum Beispiel sollte stark für die anstehenden Veränderungen geworben werden. Ein taugliches Instrument sind hier Großveranstaltungen, in denen Vorstand oder Geschäftsleitung die Mitarbeiter über die geplanten Veränderungen informieren. Je weiter der Prozess fortschreitet, umso mehr Bedeutung gewinnen Maßnahmen, die eher individuellen Coaching-Charakter haben.

Beim emotionalen Verarbeiten der Veränderungen, die mit struktur- und kulturverändernden Projekten einhergehen, lassen sich sieben Phasen unterscheiden. Sie reichen von der Vorahnung ("Es wird etwas geschehen") bis zur Konsolidierung neuer Denk- und Verhaltensmuster.

Phase 1: Die Vorahnung

In dieser Phase spüren die Betroffenen, dass sich eine Veränderung anbahnt, obwohl es noch keine offizielle Verlautbarung gibt. Unruhe macht sich breit, Gerüchte kursieren. In dieser Phase ist es wichtig, mit den Mitarbeitern im Gespräch zu bleiben und Spielregeln für den Umgang mit der Situation zu vereinbaren.

Phase 2: Der Schock

Mit der Bekanntgabe des Veränderungsvorhabens wird das Unausweichliche sichtbar. Hoffnungen und Befürchtungen sind auf einen Schlag präsent. Manche Betroffene fühlen sich wie gelähmt. Kaum jemand kann sich auf Zukunftsvisionen einlassen. Zuhören und Verständnis sind nun gefragt.

Phase 3: Die Abwehr

Nach dem ersten Schreck folgt die Abwehr - zum Beispiel indem die Betroffenen die Notwendigkeit der Veränderung bestreiten. Hieraus kann sich kurzfristig sogar ein Produktivitätsanstieg ergeben. Die Mitarbeiter strengen sich mehr an, um den Chefs zu beweisen, dass die Veränderungen überflüssig sind. Zugleich kommt Ärger auf. Jeder meint zu wissen, was in der Situation richtig ist. Die Schuld für die Misere wird anderen zugeschrieben; die Notwendigkeit, sich selbst zu ändern, wird nicht akzeptiert. Das gilt vor allem dann, wenn die Veränderung auch eine neue Selbstdefinition erfordert. Hier ist oft eine regelrechte Desillusionierung nötig, die klarstellt: Der Wandel ist unausweichlich.

Phase 4: Die rationale Akzeptanz

Nach der erfolglosen Abwehr wird den Betroffenen allmählich klar: Es muss sich tatsächlich etwas ändern. Eine tiefer greifende emotionale Auseinandersetzung mit dem erforderlichen Wandel erfolgt aber noch nicht. Ansätze zur Problemlösung sind vornehmlich vom Wunsch nach einem raschen Ende der unangenehmen Situation getragen. Es wird jetzt gern an unbedeutenden Stellen etwas verändert, was kaum zum erwarteten Erfolg führen kann, aber nichtsdestoweniger Frustration erzeugt. Hier hilft es, die persönliche Auseinandersetzung mit der Veränderung zu fördern.

Phase 5: Die emotionale Akzeptanz

Irgendwann wird allen klar: Es gibt keinen Weg zurück. Dann ist der emotionale Tiefpunkt erreicht; das "Tal der Tränen" wird durchschritten. An dieser Stelle ist das Handlungsrepertoire ausgeschöpft. Zumindest haben die Betroffenen das Gefühl, alles versucht zu haben. Und sie verabschieden sich mit tiefer Trauer von Althergebrachtem. Mit dem Durchschreiten dieses Korridors erreicht die Systemleistung ihre verlustreichste, sprich: unproduktivste, Zone. Trotzdem muss der Trauer Raum gewährt werden (etwa in Workshops und Einzelgesprächen), denn sie ist quasi eine Schwellenemotion bei jeder Neuorientierung. Erst wenn diese Trauerarbeit geleistet ist, kann sich die Energie auf das Neue richten.

Phase 6: Die Öffnung

Nun ist der Weg frei für eine grundlegende Neuausrichtung der Selbst-, Team- und Unternehmensdefinition. Die Neugier auf einen erweiterten Erfahrungshorizont erwacht. Man klammert sich nicht mehr an Vergangenes. Sicher kommt es dann und wann noch zu Rückschlägen. Diese werden aber als Rückmeldung mit hohem Informationswert und Zugewinn an Erfahrung betrachtet. Lernprozesse stabilisieren sich dadurch und führen Schritt für Schritt zu einem Produktivitätsniveau, das über dem Ausgangs-Level liegt. Hilfreich sind nun Geduld und Ermutigung der Lernenden.

Phase 7: Die Integration

Durch kontinuierliche Lernerfolge wird das Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsspek-trum erweitert. Neue (Handlungs-)Perspektiven tun sich auf und stärken das Selbstvertrauen der Mitarbeiter, was sich in einer steigenden Systemleistung widerspiegelt. Zudem werden die Muster des erfolgreichen Umgangs mit Veränderungen in Form einer Strategie generalisiert. Das heißt: Die Veränderungskompetenz der Organisation hat sich erhöht; künftige Change-Prozesse wird sie schneller und effektiver meistern. So lassen sich die Früchte der gemeinsamen Anstrengung einfahren.

Diese sieben Phasen sind in jedem Change-Projekt mehr oder minder ausgeprägt zu beobachten. Also können und sollten sie bereits beim Planen vom Change-Projekten berücksichtigt werden. Die Verantwortlichen in der Organisation sind durchaus in der Lage, sich vorab zu überlegen, wie sie auf die "emotionalen Zustände" der Mitarbeiter reagieren können. Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Organisation den Veränderungsprozess wie geplant durchläuft und die damit verbundenen (betriebswirtschaftlichen) Ziele am Ende auch erreicht. (qua)