"Als Repräsentant der Politik halte ich es für wichtig zu bekennen, dass wir als Staat mit der Digitalisierung überfordert sind." Mit diesen offenen Worten überraschte der niedersächsische CDU-Politiker Stefan Muhle die CIOs beim 4. VOICE Entscheiderforum in Berlin. Muhle sprach von einer Überforderung der Politik in Sachen Komplexität, Know-how und vor allem Tempo. "Es ist ganz klar, die Politik braucht die gesamte Gesellschaft und die Unternehmen, um in der Digitalisierung deutlich voranzukommen. Allein werden wir es nicht schaffen."
Der Niedersachse war auf der Jahrestagung des CIO-Anwenderverbands VOICE nicht der Einzige, der sich in Demut übte. So beklagte der schleswig-holsteinische Minister Jan-Philipp Albrecht, der für Bündnis 90/Die Grünen als Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Amt und Würden ist, dass "uns die gesetzlichen Rahmenbedingungen durchaus noch ausbremsen, wenn es darum geht, Verwaltungsdienstleistungen bis 2022 digital zur Verfügung zu stellen".
Auch Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bürgermeister von Hamburg, war als Sprecher geladen. Er mahnte eine bessere Führung in die digitale Zukunft an. "Eine Welt im Umbruch braucht auch einen Umbruch in der Führung", sagte von Dohnanyi und erhielt dafür die Zustimmung der CIOs. Das SPD-Urgestein rief die Unternehmen dazu auf, jüngere Entscheidungsträger in Vorstände und Aufsichtsräte zu berufen. "Die meisten Aufsichtsräte mit grauen Haaren verstehen die heutige digitale Welt überhaupt nicht mehr."
Bedingungen für CIOs sind nicht "rosig"
Konkreter als die Politiker wurde Hans-Joachim Popp, Vorsitzender des VOICE-Präsidiums, in seiner Grundsatzrede. "Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben, aber dazu müssen wir auch die Arbeitsbedingungen unserer über 400 Mitgliedsunternehmen mit ihren insgesamt 2500 Firmen deutlich verbessern." Diese Bedingungen beschrieb Popp als "nicht rosig". Für IT-Security, Datenschutz und Internetsicherheit gebe es zu wenig Mittel. Auch die Softwarequalität und die Lizenzpolitik der Hersteller bereiteten den IT-Chefs sorgen.
Popp kündigte an, dass der CIO-Verband VOICE e.V. künftig noch entschiedener auftreten werde . "Wir müssen aktiv mitgestalten. In diesen disruptiven Zeiten brauchen wir auch disruptive Ideen, um die Marktbedingungen, das Verhältnis zwischen Anwendern und Anbietern und die Gesetzeslage zu verbessern." Der Verbandspräsident appellierte an die CIOs, mit ihren Kaufentscheidungen den Wettbewerb zu fördern und Softwarequalität generell stärker zu honorieren.
"Nur wenn wir auch alternative Produkte kaufen und intensiv einsetzen, werden sie entsprechend reifen und neuen Anbietern eine Chance bieten, auf dem Markt zu bestehen." Der VOICE-Vorsitzende forderte die Softwareindustrie direkt auf, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. "Hohe Softwarequalität führt zu kürzeren Implementierungszeiten und geringerem Wartungsaufwand. Das entlastet die Anwender und ermöglicht ihnen, schneller zu digitalisieren."
Um hier voranzukommen, werde sich der VOICE künftig auch stärker international orientieren. "Mein Gefühl ist, dass wir das nur in Europa regeln können. Deshalb wird sich der VOICE in Richtung EU positionieren und aktiv die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Anwenderverbänden suchen."