Aufmerksame Begleiter des Wettbewerbs "CIO des Jahres" werden sich erinnern: Die 2019 gestartete Mobilitätsplattform Jelbi war bereits Teil der Bewerbung, mit der es Friedrich-Wilhelm Menge als damaliger CIO der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 2019 auf Platz eins im Bereich Public Sector geschafft hatte. 2022 beweist sein Nachfolger und damaliger Mitstreiter als Chief Digital Officer, Henry Widera, dass das populäre Thema noch lange nicht ausgereizt ist.
Um sich für die Rolle der IT als Geschäftspartner und Innovator richtig zu positionieren, integrierte Widera 2020 als frischgebackener CIO den zuvor von ihm geleiteten CDO-Bereich, der die Entwicklung neuer Mobilitätsangebote verantwortete, erfolgreich in die IT. Mitte 2021 wurde dann der Gesamtbereich mit mehr als 400 Mitarbeitenden in eine agile Produktorganisation transformiert. Zugleich durfte sich der CIO über einen Personalaufbau um 60 Stellen freuen, um die Digitalisierung unternehmensweit voranzubringen. Der promovierte Ingenieur setzt auf Diversität; seit 2020 konnte er etwa den Frauenanteil im IT-Management auf 44 Prozent erhöhen und in der IT insgesamt um knapp zwölf Prozent steigern.
Mobil ohne eigenes Auto
Die Ergebnisse seiner Arbeit können sich sehen lassen, wie allein das Beispiel Jelbi zeigt: Im Sommer 2019 mit vier Anbietern gestartet, sind in Jelbi heute die Angebote von BVG, S-Bahn, VBB, Tier, Emmy, Miles, Nextbike, Voi, Taxi Berlin, Mobilee, Lime, Bird, Flinkster und Sixt Share integriert. Weitere Anbieter sollen folgen.
Die Mobilitätsplattform fasst dabei alles zusammen, von der Fahrtauskunft über den Vergleich der Angebote bis hin zur Buchung und Bezahlung direkt in der App. Die 70.000 Fahrzeuge der inzwischen 14 Mobilitätsanbieter lassen sich direkt mit der Jelbi-App ansteuern. Jelbi ersetzt nicht nur die verschiedenen Mobilitäts-Apps, sondern erschließt zudem neue Kundengruppen. Und vor allem: "Wer braucht bei dieser Auswahl noch ein eigenes Auto, wenn man für jeden Weg das passende Verkehrsmittel hat?", sagt Widera.
Die breite Aufstellung des Angebots machte sich schon in den kritischen Phasen der Coronapandemie bezahlt: Während die ÖPNV-Nutzung teilweise deutlich zurückging, konzentrierte sich die Mobilität der Jelbi-Nutzenden auf individuelle Sharing-Angebote wie (Elektro-)Fahrräder oder Roller. Obwohl die Fahrgäste weniger mit dem ÖPNV unterwegs waren, blieben sie Kunden der Jelbi-Plattform und waren somit für die BVG nicht verloren. Zuletzt zeigte sich sogar, dass der Verkauf von ÖPNV-Tickets in Jelbi nach den pandemiebedingten Lockdowns deutlich früher und schneller wieder zulegte als in klassischen ÖPNV-Ticket-Apps.
Von Anfang an cloud native
Die Beliebtheit der App belegen nicht nur mehr als 420.000 User, sondern auch eine App-Store-Bewertung von 4,7 von maximal 5 und der Net Promoter Score von +55. Laut BVG wächst die Anzahl an Transaktionen auf der Plattform jeden Monat im zweistelligen Bereich. "Dieses Wachstum war möglich, da wir die technisch hochkomplexe und aufwendige Entwicklung von Anfang an cloud native aufgesetzt und viele schlaflose Nächte in Kauf genommen haben", so Widera.
Die BVG habe viel Wert auf eine modulare Systemarchitektur gelegt: Front- und Backend sind über einen API-Layer entkoppelt, um Anpassungen nur einmal vornehmen zu müssen und eine einfache Anbindung an bestehende Services wie Abrechnung und Fahrgastinformation zu ermöglichen.
E-Scooter und Kreditkartenbetrüger
Bei einer derart komplexen Entwicklung ist es kein Wunder, dass sich zahlreiche Learnings ergaben. So habe sich etwa gezeigt, dass die proprietäre Schnittstelle von Jelbi für Mobilitätsanbieter einen zu großen Aufwand erfordert und somit vor allem kleinere Startups vor Herausforderungen stellt, berichtet Widera. Hier müsse man Hand anlegen, um das weitere Wachstum zu beschleunigen. Außerdem erfuhren die Berliner zeitweise schmerzhaft, dass E-Scooter vermehrt von Kreditkartenbetrügern gebucht wurden. Um derartige Vorfälle zeitnah erkennen und ausschließen zu können, musste Know-how im Fraud-Bereich aufgebaut und der Zahlungsverkehr angepasst werden.
Im nächsten Schritt arbeitet die BVG daran, Jelbi mit "Jelbi4Business" um ein neues B2B-Produkt zu ergänzen. Die Idee: Neben ÖPNV-Monatstickets als sogenannte Firmentickets können Unternehmen ihren Beschäftigten ein Mobilitätsbudget für die Jelbi-App zur Verfügung stellen. Das ÖPNV-Monatsticket ist darin standardmäßig enthalten, das Budget wird jeden Monat automatisch aufgeladen.
Das verdient den Sustainability Award
Die Jury vom CIO des Jahres 2022 verleiht Widera und seinem Team für diese Leistung den Sonderpreis für Sustainability. Das Projekt der BVG zeige, wie technische Innovationen im Public Sector einen signifikanten Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten können, heißt es in der Begründung. Die smarte Umsetzung der Mobilitäts-App und der ganzheitliche und integrative Ansatz des Projekts hätten Vorbildcharakter für andere Städte und Kommunen: "Der gesellschaftliche Mehrwert des Projektes ist klar erkennbar: ein zukunftsweisendes Projekt mit Leuchtturmcharakter für andere Kommunen und Regionen." (kf)