Open-Source-Versprechen gebrochen

Bundesregierung zahlt Milliarden an Oracle und Microsoft

14.12.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Statt wie im Koalitionsvertrag versprochen, mit Open Source die digitale Souveränität zu stärken, schließt die Ampel für viel Geld langjährige Rahmenverträge mit Oracle und Microsoft.
Mit dem Bund lassen sich gute Softwaregeschäfte machen - doch davon profitieren vor allem US-Konzerne wie Oracle und Microsoft.
Mit dem Bund lassen sich gute Softwaregeschäfte machen - doch davon profitieren vor allem US-Konzerne wie Oracle und Microsoft.
Foto: Deutsche Bundesbank

Der Bund zahlt viele Milliarden Euro für langjährige Rahmenverträge mit US-amerikanischen Softwarekonzernen. Insgesamt beläuft sich das Volumen mit den zehn größten Vertragspartnern auf etwa 13,6 Milliarden Euro. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag zur Bewertung der Digitalen Souveränität hervor.

Allein auf Produkte und Dienstleistungen von Oracle entfällt ein Gesamtvertragsvolumen von 4,8 Milliarden Euro. Dazu gehört auch der mit Abstand größte Einzelvertrag über 4,6 Milliarden Euro mit einer Laufzeit von Mai 2023 bis Mai 2030. Zwei weitere Rahmenverträge für Lizenzen des US-Unternehmens Microsoft kosten den Bund 1,3 Milliarden Euro.

"Ein Rahmenvertrag über 4,6 Milliarden Euro mit Oracle ist obszön"

"Mit einer einzigen US-Firma (Oracle) einen Rahmenvertrag über 4,6 Milliarden Euro abzuschließen, der noch bis zum Ende der nächsten (!) Legislatur laufen wird, ist schlicht obszön", schimpft Anke Domscheit-Berg, Abgeordnete der Linken im deutschen Bundestag, in einem Blog-Beitrag. Diese Summe sei doppelt so hoch wie die Kosten der mühsam erkämpften Kindergrundsicherung. Auch in Anbetracht des für 2024 zu erwartenden "Kahlschlaghaushalts für viele soziale Belange" seien solche Beträge nicht nachzuvollziehen.

Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linken, kritisiert die Milliardenzahlungen an US-Softwarekonzerne angesichts der Sparmaßnahmen im Sozialbereich als verantwortungslos.
Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linken, kritisiert die Milliardenzahlungen an US-Softwarekonzerne angesichts der Sparmaßnahmen im Sozialbereich als verantwortungslos.
Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Mehrjährige IT-Rahmenverträge über extrem hohe Summen erhöhten zudem auf viele Jahre hinaus die Abhängigkeit des Bundes von einzelnen US-Konzernen, warnt Domscheit-Berg. Damit werde der Bund aus Sicht der Linken-Abgeordneten jedoch erpressbarer und müsse häufig immer mehr bezahlen. Außerdem litten unter so einer Strategie die Flexibilität und Sicherheit.

7 gute Gründe: Digitale Verwaltung braucht Open-Source

Im Vergleich dazu setze der Bund seit Beginn dieser Legislatur nur etwa 0,5 Prozent seiner Ausgaben für Entwicklungsaufträge und damit verbundene Dienstleistungen für Open Source Software (OSS) ein, kritisiert die Linken-Politikerin. So habe das Digitalministerium Entwicklungsaufträge im Volumen von 22,3 Millionen Euro vergeben, wovon aber nur 121.000 Euro (0,55 Prozent) auf die Entwicklung von OSS entfielen. Für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software habe der Bund insgesamt etwa 3,5 Milliarden Euro aufgewendet, davon jedoch nur 18,6 Millionen Euro (0,54 Prozent) für Open Source.

Open-Source-Förderung - nichts als Lippenbekenntnisse

"Ich kann mich an keine Regierung erinnern, bei der digitalpolitische Ankündigungen und ihre Umsetzung derart eklatant auseinanderklafften", empört sich Domscheit-Berg und verweist auf die den Koalitionsvertrag und die Digitalstrategie der Ampel, die jeweils explizit die Förderung von Open-Source-Produkten empfehlen. "Die Förderung von Open Source und die Betonung der Digitalen Souveränität als Richtschnur für IT-Entscheidungen sind offensichtlich reine Lippenbekenntnisse, denn in der Praxis setzt auch die sogenannte Fortschrittskoalition auf die übliche Praxis, für sehr viel Geld teure proprietäre Software insbesondere von großen US-Konzernen einzukaufen." Damit erreiche man lediglich, bei einer Handvoll von US-Konzernen die Kassen klingeln zu lassen.

Verschwendung von Steuergeldern: Bundesregierung schlampt beim Lizenz-Management

Würde es die Regierung ernst meinen mit der Förderung von Open Source in der eigenen Verwaltung, gäbe es messbare Ziele und ein Monitoring für den Anteil von OSS im Bund, kritisiert die Bundestagsabgeordnete. Beides existiere bisher nicht, selbst ein Software-Lizenzmanagementsystem befinde sich erst in der Planungsphase, was bei so hohen Ausgaben für Lizenzen schlicht nicht nachvollziehbar sei. "Die gesamte Praxis der Bundesregierung zur Entwicklung von Software und Vergabe von Rahmenverträgen konterkariert ihre eigenen strategischen Ziele und trägt viel zu wenig zur Entwicklung europäischer Open-Source-Alternativen und eines Open-Source-Ökosystems bei, sie schadet außerdem aktiv der digitalen Souveränität."

Politik fehlt der IT-Durchblick

Die Bundesregierung räumt in ihrer Antwort Abhängigkeiten von Produkten einzelner proprietärer Softwareanbieter grundsätzlich ein und sieht diese wie zum Beispiel bei Oracle auch kritisch. Man arbeite jedoch daran, diese Abhängigkeiten zu reduzieren und alternative Produkte anzubieten. Wie gut diese Strategie funktioniert, bleibt jedoch unklar. "Es handelt sich dabei um grundlegende Aktivitäten, deren Auswirkungen sich zukünftig zeigen werden", lässt die Regierung durchblicken. "Aktuell gibt es daher noch keine entsprechende Untersuchung über die damit verbundene Verringerung von Abhängigkeiten." Im Klartext: Man tappt offenbar im Dunklen.