Vor einem Jahr ist die Ampelregierung mit vollmundigen Digitalisierungsversprechen gestartet. Doch nach zwölf Monaten Regierungsarbeit von SPD, den Grünen und FDP fällt die Bilanz eher mau aus. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wünscht sich bei der Digitalisierung mehr Tempo und mehr politischen Einsatz, hat eine Umfrage des Bitkom ergeben. 59 Prozent der knapp 1.000 befragten Bürgerinnen und Bürger sagen, in Sachen Digitalisierung gehe zu langsam voran, vor einem Jahr waren es mit 55 Prozent ein paar weniger.
Insgesamt bekommt die Ampel für ihre Digitalpolitik lediglich die Durchschnittsnote "ausreichend" (3,8). Nur knapp jede/r Fünfte hält sie für "sehr gut" (fünf Prozent) oder "gut" (14 Prozent). Fast ein Drittel vergibt jedoch ein "mangelhaft" (19 Prozent) beziehungsweise ein glattes "ungenügend" (13 Prozent). Knapp die Hälfte vergibt ein "befriedigend" beziehungsweise "ausreichend".
"Die Menschen wollen, dass es bei der Digitalisierung vorangeht, weil sie Prozesse einfacher macht und hilft Probleme zu lösen - im Gesundheitswesen, in der Verwaltung, in den Schulen, im Verkehr, im Klimaschutz", kommentiert Bitkom-Präsident Achim Berg die Umfrageergebnisse. Die Bundesregierung habe vor einem Jahr Digitales zu einem Schwerpunktthema gemacht und sich ambitionierte Ziele gesetzt, an denen sie gemessen werde.
Politik hat zu wenig Ahnung von digitalen Themen
Bei etlichen zentralen Projekten gebe es immer noch zu viele Unklarheiten. Berg nennt den Digitalpakt 2.0, das Dateninstitut sowie das angekündigte Digitalbudget. "Darauf warten wir bislang vergeblich und es soll frühstens 2024 kommen", kritisiert der Bitkom-Chef. Digitalisierung sei noch nie so wichtig gewesen wie jetzt. "Die Bundesregierung muss aus den Puschen kommen, wenn Sie in dieser Legislaturperiode echte Fortschritte in der Digitalisierung machen will."
Die Menschen in Deutschland benennen klare Gründe, warum es aus ihrer Sicht nicht klappt mit der Digitalisierung. Drei Viertel meinen, die Politikerinnen und Politiker hätten zu wenig Ahnung von digitalen Themen (76 Prozent) und fast ebenso viele beklagen, dass Bund, Länder und Kommunen nicht ausreichend zusammenarbeiteten (75 Prozent). Zwei Drittel (68 Prozent) haben den Eindruck, dass sich die verschiedenen Bundesministerien in der Digitalpolitik häufig gegenseitig blockieren.
Digitalministerium macht seinem Namen keine Ehre
Auch Bitkom-Präsident Berg hält die fehlende zentrale Lenkung digitaler Strategien für ein Problem. "Wir haben seit einem Jahr ein Ministerium, das den Begriff Digital im Namen trägt, die angekündigte Kompetenzbündelung ist die Ampel aber schuldig geblieben." Umso wichtiger sei es, dass die unterschiedlichen Ministerien in den Sachfragen jetzt an einem Strang zögen und die Digitalisierung gemeinsam schnell und konsequent angingen. Der IT-Lobbyist kündigte an, weiter Druck machen zu wollen, "damit die Digitalpolitik wirklich in Schwung kommt".
Streit um Digitalstrategie der Bundesregierung
Auch der eco - Verband der Internetwirtschaft e.V. hat die Deutschen befragen lassen und kommt ebenfalls zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis. Der Großteil der Bevölkerung sehe nach einem Jahr Ampel-Regierung nicht den erhofften digitalen Aufbruch. Rund 72 Prozent der rund 2500 vom Meinungsforschungsinstitut Civey Befragten gaben an, dass die Koalition die digitale Transformation in Deutschland entschiedener vorantreiben müsse.
Vorwurf: Digitalisierung spielt keine Schlüsselrolle
"Der erhoffte Turbo für die digitale Transformation in Deutschland ist bislang ausgeblieben, ein Paradigmenwechsel in der Digitalpolitik nicht erkennbar", kritisiert der eco-Vorstandsvorsitzende Oliver Süme und mahnt mehr Anstrengungen sowie eine bessere Zusammenarbeit an. "Die Zersplitterung der digitalpolitischen Zuständigkeiten in verschiedene Ressorts hat sich bereits in den letzten Wahlperioden als Bremsklotz bei zentralen Weichenstellungen für die digitale Transformation am Standort Deutschland erwiesen." Die Bundesregierung habe es - wie auch schon die Große Koalition davor - verpasst, dem Thema Digitalisierung im Rahmen ihrer Ressortaufteilung eine strategische Schlüsselrolle zuzuweisen. Süme forderte zum wiederholten Mal ein echtes Digitalministerium mit Budgetverantwortung und koordinierender Funktion für die Digitalpolitik.
Volker Wissing, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, fällt offenbar nur wenig ein, der eigenen Digitalstrategie den nötigen Schwung zu verleihen. "Wir wollen Deutschland endlich digital fit machen und so das Leben der Bürgerinnen und Bürger erleichtern", beteuerte der FDP-Politiker, der für sein Ministerium eigentlich schon im Titel das Digitale dem Verkehr hatte voranstellen wollen. Mit der im Sommer dieses Jahres verabschiedeten Digitalstrategie setze die Regierung "einen großen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen digitalen Transformationsprozess um", kündigte Wissing an.
Ein Digitalbeirat soll's richten - mal wieder
Doch das haben bereits seine Vorgänger versucht, ohne dass die Digitalisierung wirkliche Fortschritte gemacht hätte. Wissing versucht nun mit der Einsetzung eines "Beirats Digitalstrategie Deutschland" einem möglichen Totalversagen gegenzusteuern. 19 Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sollen Umsetzung und Monitoring der Digitalstrategie begleiten und unterstützen.
Den Vorsitz haben Louisa Specht-Riemenschneider, Professorin an der Universität Bonn, und Thomas Koenen vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) übernommen. Der Beirat soll in zehn jährlichen Sitzungen zusammenkommen. Dann sollen jeweils zwei Leuchtturmprojekte der Digitalstrategie vorgestellt und diskutiert werden. Wissing hofft darauf, dass der Beirat den Ministerien externe Impulse aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft geben kann. Fortschritte der einzelnen Projekte sollen dokumentiert und regelmäßig auf der Webseite www.digitalstrategie-deutschland.de veröffentlicht werden.
Den Versuch, der Digitalisierung mit einem Beirat zusätzliche Impulse zu geben, hat es schon einmal gegeben. Im August 2018 setzte die große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel einen zehnköpfigen Digitalrat ein. "Ein kleines, schlagkräftiges Gremium", wünschte sich Merkel damals. Mit Frauen und Männern aus der Praxis, "die uns antreiben, die uns unbequeme Fragen stellen", hieß es in einer Erklärung der Bundesregierung. Geholfen hat es wenig. Nach dem mit viel medialem Getöse untermalten Start war von der Arbeit des Gremiums in den folgenden Jahren kaum etwas zu sehen. Ob der zweite Digitalrat mit fast doppelt so vielen Mitgliedern in seinem Wirken erfolgreicher sein wird, ist mehr als fraglich.