Weit mehr als Smart Contracts

Blockchain im Einsatz

18.10.2016
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Dr. Thomas Kaltofen ist Diplom-Chemiker und promovierte mit einem biophysikalischen Thema an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Neben einem Forschungsaufenthalt an der Chalmers Universität Göteborg beschäftigte er sich intensiv mit Datenbanken und C#-Programmierung am Fraunhofer Institut IPA in Stuttgart. Dr. Kaltofen ist freiberuflicher Experte für Blockchain-Anwendungen in der Chemie- und Pharmabranche.
Die zukunftsweisende Datenbank-Technologie Blockchain überwindet die Grenzen der Finanzindustrie. Rezeptbetrug verhindern, E-Autos aufladen, sogar heiraten - alles ist mittlerweile per Blockchain möglich.

Die Blockchain ist eine neuartige Technik zum Speichern von Daten und erlaubt das sichere Management von Informationen jeglicher Art. Ihren Ursprung hat die Blockchain in der Internetwährung Bitcoin, bei der Geldwerte ohne zentrale Bank-Instanz überwiesen werden können. Elementare Grundeinheiten der Blockchain sind die Transaktionen. Dabei tauschen zwei Parteien Informationen miteinander aus. Anschließend werden die Daten verifiziert und validiert, wobei geprüft wird, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für diese Transaktionen besitzt. Darauf erfolgt das Mining (deutsch: schürfen), bei dem nach einer bestimmten Zeit die Transaktionen zu Blöcken zusammengefasst werden und darüber ein Hash-Wert gebildet wird. Danach werden die Blöcke an die Kette angehangen und über ein Peer-to-Peer-Netzwerk verteilt.

Die Blockchain-Technologie kann als absolut manipulationssicher angesehen werden, da die Blöcke mit einer Hash-Funktion verschlüsselt und Kopien der Datei im Internet verbreitet werden. Möchte man den Inhalt der Blockchain manipulieren, müsste man mindestens 51 Prozent der Kopien ändern. Dies wäre mit derart hohen Kosten verbunden, dass die Manipulation einer solchen Datenbank komplett unwirtschaftlich ist.

Blockchain ermöglicht neue Geschäftsmodelle und krempelt möglicherweise schon bald ganze Branchen um.
Blockchain ermöglicht neue Geschäftsmodelle und krempelt möglicherweise schon bald ganze Branchen um.
Foto: Montri Nipitvittaya - shutterstock.com

Intelligente Verträge

Die wohl bekannteste und zukunftsträchtigste Applikation von Blockchains sind die Smart Contracts (deutsch: intelligente Verträge). Smart Contracts sind eine neue Form von Verträgen. Dabei handelt es sich um webbasierte Computerprotokolle, die Verträge abbilden und die Abwicklung eines Vertrages technisch unterstützen. Diese Computeralgorithmen legen fest, welche Bedingungen zu welcher Entscheidung führen. Vorteilhaft ist bei dieser automatisierten Abwicklung von Verträgen, dass keine Juristen oder Anwälte beim Abfassen oder Ausführen benötigt werden. Diese Algorithmen könnten zum Beispiel Verträge in Echtzeit überwachen und die Rechte der Vertragspartner automatisch durchsetzen. Somit wird der Faktor Mensch als Fehlerquelle ausgeschlossen. Ferner ist der Berufsstand der Gerichtsvollzieher in Gefahr. Bezahlt beispielsweise ein Kunde die Rate für sein Auto nicht, so kann der Zugang zum Fahrzeug automatisch gesperrt werden.

Im Prinzip sind Blockchain-Applikationen in der Lage, Code auszuführen. Erste Blockchains implementierten sehr einfache Operationen wie zum Beispiel das Setzen eines Tokens. Inzwischen werden etablierte Programmiersprachen eingesetzt, um die komplexen Berechnungen der Hash-Werte, also das sogenannte Mining, vornehmen zu können. In vielen Fällen wird der Code nicht isoliert ausgeführt, sondern ist Bestandteil einer größeren Anwendung. Darüber hinaus unterscheiden sich Blockchain-Programme von klassischer Software. So wird das Programm selbst von der Blockchain aufgezeichnet. Wird das Programm ausgeführt, so kann es durch niemanden unterbrochen oder anderweitig gestört werden. Diese Technik stellt sicher, dass der Inhalt der Verträge vollständig umgesetzt wird.

Nützlich sind Smart Contracts vor allem deshalb, weil in diesen Verträgen mehrere Parteien eingebunden werden können, die sich nicht hundertprozentig vertrauen. Die Erfüllung der Verträge läuft vollständig automatisch ab - inklusive ihrer Überwachung. In vielen Verträgen werden Klauseln absichtlich eingebunden, um einen Vertragsverlauf zu steuern. In herkömmlichen Verträgen muss die Einhaltung der Klauseln manuell überwacht werden. Ist die überwachende Person beispielsweise im Urlaub oder krank, verzögert sich die Umsetzung um die entsprechende Zeitspanne. Durch den Einsatz von Smart Contracts wird das operationelle Risiko der Vertragsparteien enorm reduziert und der Ablauf erfolgt in einer automatisierten und vertrauenswürdigen Weise.

Transparente Versteigerungen

Im Juni 2016 fand in der Ukraine nach dreimonatiger Vorbereitungszeit die weltweit erste Blockchain-basierte Auktion statt, bei dem staatlich ausgestellte Lizenzen verkauft wurden. Als Plattform für die technische Umsetzung dienten die Microsoft Azure Cloud Services. Ziel der regierungsgestützten Initiative ist, dass Bieter aus allen Regionen der Ukraine und dem Ausland an der Auktion teilnehmen können. Aufgrund der Sicherheitsaspekte der Blockchain kann keine dritte Partei die Kontrolle über das System übernehmen, was zu einem sicheren Auktionsverlauf führt. Zudem laufen alle Transaktionen transparent ab - es gibt bei diesen Auktionen keine geschlossenen Türen, alle Informationen sind öffentlich zugänglich und für jedermann einsehbar. Es ist zu erwarten, dass sich Blockchain-basierte Auktionen weltweit bewähren und durchsetzen werden.

Trauung per QR-Code

Es gibt noch weitere interessante Anwendungsfelder für Blockchain-Technik. So ist es in den USA schon möglich, mittels Blockchain zu heiraten. Joyce und David Mondrus waren im Oktober 2014 das erste Paar, welches per Blockchain getraut wurde. Im Prinzip kann man in einer Blockchain jede beliebige Information speichern, in diesem Fall war es die Eheschließung. Die Zeremonie wurde mittels Skype abgehalten. Für die rechtskonforme Eheschließung musste das Ehepaar einen QR-Code scannen und bestätigen, der direkt in die Blockchain-Datenbank geschrieben wurde. Auf diese Weise ist es sogar möglich, anonym zu heiraten - also, ohne dass man sich kennt oder je gesehen hat. Ob viele Paare diesen Service jedoch einer "richtigen" Hochzeit vorziehen, wird die Zukunft zeigen.

Ist die klassische Hochzeit ein Auslaufmodell? Wohl nicht - aber Blockchain macht die Trauung per QR-Code über das Internet zumindest schon möglich.
Ist die klassische Hochzeit ein Auslaufmodell? Wohl nicht - aber Blockchain macht die Trauung per QR-Code über das Internet zumindest schon möglich.
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Revolution in der Elektromobilität

Eine interessante Kooperation gingen Slock.it und RWE ein, um die Bitcoin-Variante Ethereum für die Bezahlung an Ladestationen von Elektroautos einzusetzen. Mit Blockchain-Technologie wollen die Unternehmen ein einheitliches und kostengünstiges Bezahlsystem schaffen, welches unabhängig von Kassierern, Münzschlitzen oder den für Vandalismus anfälligen EC-Kartenschlitzen ist. Hinter der Zusammenarbeit steckt die Vision, den Vertrieb von Strom für Autos zu revolutionieren - RWE stellt sich beispielsweise vor, Elektroautos mittels Induktion zu laden, während diese an roten Ampeln warten. So soll das stationäre Laden im Stadtverkehr komplett überflüssig werden. Die Bezahlung der geringen Geldbeträge für den Strom erfolgt dann über das kostengünstige Ethereum.

E-Auto laden und den Strom digital bezahlen: Dieses Konzept soll dank Blockchain Realität werden.
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"Dauerwahlen" für mehr Demokratie

Ein weiteres Schlagwort für den Einsatz der Blockchain-Technologie ist die "Demokratie 2.0". Darunter versteht man, dass Wahlen mittels Blockchain stattfinden könnten, auch um die allgemeine Wahlbeteiligung zu erhöhen. Durch den Einsatz von Blockchains wären Regierungen in der Lage, den Bürgern weitere Wahlrechte einzuräumen. Anstelle der beispielsweise in Deutschland geltenden vierjährigen Legislaturperiode könnte ein "Dauerwahlsystem" treten, in dem Parlamente in kürzeren Perioden nach dem Willen der Wähler zusammengesetzt werden.

Darüber hinaus sind Volksabstimmungen schnell, flexibel und kostengünstig durchzuführen. Derzeit sträubt sich das Bundesverfassungsgericht gegen diese Technik. Das Argument der Richter ist es, dass Parteien mithilfe von Herstellern von Wahlautomaten sowie Softwareentwicklern die Wahl manipulieren könnten.