Es geht auch ohne die Dickschiffe
Die Kritiker dieses neuen Hypes um die Startup-Landschaft in der Hauptstadt geben zu bedenken: Es mangele an einer lebendigen Mixtur aus modernen Hochschulen, einer leistungsfähigen vernetzten Wirtschaft sowie einer großen Bandbreite an Firmen und Zulieferern.
Die zahlreichen Freunde der neuen Leitkultur ficht das freilich nicht an. Mit Blick auf neue Geschäftsmodelle im Internet scheint es auch ohne eine Art von "Daimler-Biotop" zu gehen.
Zu den interessantesten Vertretern aus Berlins kleinem Silicon Valley gehört Research Gate. Das von drei Forschern aus Boston entwickelte Konzept strebt als soziales Netzwerk für Wissenschaftler nach einer weltweiten Führungsrolle. Es ist ein Aushängeschild der neuen Internationalität. Warum die Wahl ausgerechnet auf die deutsche Hauptstadt fiel, beschreibt Geschäftsführer Ijad Madisch so: "Als wir das Investment von Benchmark und Accel Partners aus dem Silicon Valley erhielten, haben wir zusammen mit den Investoren die Wahl des neuen Research-Gate-Standorts diskutiert. Zur Wahl standen San Francisco und Berlin. Wir haben uns für Deutschland entschieden; Berlin ist ein internationaler Standort und auch für Mitarbeiter sehr attraktiv."
Research Gate ist alles andere als ein Copy Cat. "Wir haben als erstes deutsches Startup ein Investment aus dem Silicon Valley erhalten", so Madisch weiter. Zwar stelle die große Entfernung zu den Investoren gelegentlich ein Problem dar. Jedoch rücke Berlin mehr und mehr in die Aufmerksamkeit internationaler Investoren, insbesondere der Technologieszene. "Das ist eine sehr spannende Entwicklung", bilanziert der Unternehmenslenker.
Auch in Skandinavien steht die Hauptstadt hoch im Kurs. Ein Beispiel ist Soundcloud, eine Plattform für Musiker und Fans. Soundcloud möchte sich als Sammelstelle in der musikalischen Kreativlandschaft einen Namen machen, als "Youtube für die Audioszene". Gegründet wurde das Unternehmen von den beiden Schweden Alexander Ljung und Eric Wahlforss. Auch hier liegt die unternehmerische Messlatte weit über dem nationalen Durchschnitt.
Potsdam ergänzt die Metropole
Kaum zu übersehen ist, dass sich im Schatten der Hauptstadt auch das benachbarte Potsdam als feste Größe etabliert hat. Dort befindet sich schließlich nicht nur das Hasso-Plattner-Institut, sondern auch das Investment-Geschäft des SAP-Gründers.
Alexander Swoboda, Chief Financial Officer beim IT-Dienstleister Facton, ist begeisterter Potsdamer. Die Stadt biete viel Lebensqualität, außerdem sei man in 30 Minuten mit der S-Bahn im Zentrum von Berlin. Sein Unternehmen, dessen Sitz in Potsdam ist, entwickelt für namhafte Kunden aus der Industrie professionelle Softwarelösungen zur Kostenoptimierung.
Swoboda schätzt am kleineren Nachbarn der Hauptstadt die ruhigere Seite, "wie zum Beispiel eine Seenlandschaft, die man sonst nur aus dem Urlaub kennt". Aber auch bei der Ansiedlung neuer Unternehmen habe die Region gute Arbeit geleistet. So sei es gelungen, mit der Ansiedelung von Hasso Plattner Ventures und dem Hasso-Plattner-Institut einen massiven "Spill-over Effekt" auszulösen. Für gute Impulse sorgt auch die Universität Potsdam mit ihrem mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig und dem Hasso-Plattner-Institut für IT-Systems Engineering als An-Institut.
Impulse für die Potsdamer und Berliner Kreativszene ergeben sich auch durch die Medienstadt Babelsberg, die nach der Wende mit großem Aufwand errichtet wurde. Neben dem Studio Babelsberg befinden sich hier die Filmnachwuchs ausbildende Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" sowie Produktionsfirmen, Agenturen und kleinere Medienunternehmen für Film und Fernsehen.
Professionelle Gründerszene
Parallel zur gestiegenen Aufmerksamkeit der internationalen Investorenriege reifen auch die Strukturen weiter heran. "Berlin strebt eine Rolle als das neue Zentrum für Internet-basierende Geschäftsmodelle in Europa an, das in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 neue Internet-Millionäre hervorbringen kann", behauptet Lukasz Gadowski, Gründer von Spreadshirt und Partner bei Team Europe Ventures.
Was für Außenstehende bisher reichlich unrealistisch klang, lässt sich mittlerweile durch neue Deals erhärten. So kooperiert der Berliner Kapitalgeber Team Europe Ventures seit kurzem mit den Hasso Plattner Ventures in Potsdam. Rund 20 Millionen Euro stehen für gemeinsame neue Online-Projekte bereit. Mit dem Spiele- und Hardwareanbieter Hitfox ist neben bekannten lokalen Größen wie Sponsor Pay das nächste illustre Unternehmen bereits auf dem Vormarsch.
So setzt sich allmählich auch in der konventionellen Ökonomie die Erkenntnis durch, dass es sich lohnen kann, in der Hauptstadt mehr als nur einen Urlaubskoffer präsent zu haben. "Berlin bietet die am schnellsten wachsende Internet-Startup-Szene Europas bei niedrigen Lebens- und Lohnkosten. Gleichzeitig zieht die Stadt zahlreiche junge High Potentials an, die unternehmerisch arbeiten wollen", bringt Janis Zech, Mitgründer und Chief Revenue Officer bei der Social-Advertising- Plattform Sponsor Pay, die Vorteile auf den Punkt.