Jobsharing und Führen in Teilzeit

Beiersdorf und EWE setzen auf flexible Karrieremodelle

07.06.2021
Von 
Silvia Hänig ist Kommunikationsberaterin und Geschäftsführerin der iKOM in München.
Ob Jobsharing oder Führen in Teilzeit, die Krise hat flexibles Arbeiten salonfähig gemacht. Beiersdorf und EWE ziehen eine positive Zwischenbilanz.
Marion Rövekamp, Personalvorständin des Energieversorgers EWE: Führen in Teilzeit ist für Männer wie für Frauen eine Option: "Teilen sich Paare die Familienarbeit, haben wir einen Riesenschritt getan."
Marion Rövekamp, Personalvorständin des Energieversorgers EWE: Führen in Teilzeit ist für Männer wie für Frauen eine Option: "Teilen sich Paare die Familienarbeit, haben wir einen Riesenschritt getan."
Foto: EWE

Diverse Studien zeigen: In der Krise zahlen sich flexible Arbeitsmodelle aus. Der Oldenburger Energieversorger EWE, der mehr als 8.500 Mitarbeitende beschäf­tigt, hat damit schon vor Corona sehr gute Erfahrungen gemacht. Wie Personalvorständin Marion Rövekamp berichtet, lassen sich mit Modellen wie Arbeiten im Tandem oder Führungsjob mit Teil­zeit­be­schäf­ti­gung Arbeits- und Privatleben so aufeinander abstimmen, dass es für beide Seiten passt. Selbstbestimmung erhöhe die Motivation, so Rövekamp. "Mobiles Arbeiten und eine Er­weiterung der Rahmenarbeitszeit haben es vielen Menschen überhaupt erst ermöglicht, ihre Arbeit auch in Coronazeiten zu erledigen."

EWE: Gruppenleitung in Teilzeit

Bei EWE sind 60 Prozent der hochqualifizierten Frauen in Teilzeit beschäftigt, darunter auch etliche als Gruppenleiterinnen. Ihre Arbeitszeit können sie sich individu­ell einteilen. Es gibt Modelle von 20 bis 35 Stunden. Manche haben freie Zeiten oder Tage vereinbart, andere organisieren sich in Absprache mit ihrem Team flexibel, wieder andere erarbeiten sich zusätzliche Urlaubstage.

Neben flexiblen Teilzeitregelungen gehört auch Jobsharing zu den derzeit angesagten Arbeitsmodellen. Der Konsumgüterhersteller Beiersdorf etwa schreibt seit 2010 alle Stellen am Hauptsitz in Hamburg auch als Tandem-Posi­tionen aus. Das Angebot wird allerdings bisher nur von wenigen aktiv genutzt. Aktuell sind bei den Hanseaten 27 Tandems bereichsübergreifend im Einsatz, 17 davon mit Personalverantwortung, wobei einzelne Tandems sich nach einer gewissen Zeit auch wieder auflösen, während sich andere neu bilden.

Christina Braase, Diversity & Jobsharing Expert bei Beiersdorf, hätte sich über eine stärkere Nachfrage gefreut, kennt aber auch die Hürden. Zum einen müsse sich jeder darüber klar werden, was das für ihn in seiner Arbeitssituation bedeutet. Zum anderen gehe es bei der Arbeit im Tandem auch um die Bereitschaft, offen mit eigenen Schwächen umzugehen, die ein Tandempartner dann möglicherweise auffangen müsse.

Das Ende der einsamen Entscheidungen

"Das ist für viele eine mentale Hürde", weiß Braase, die auch als Jobsharing-Botschafterin im Konzern unterwegs ist. Darum gelte es, über die Vorteile des geteilten Arbeitens aufzuklären. Es zahle sich für ein Unternehmen aus, wenn "Ideen gleich durch zwei Hirne laufen, im Mini-Team effiziente Entscheidungen getroffen werden und sich Mitarbeiter angesichts einer komplexer werdenden Arbeitswelt nicht mehr als einsame Entscheider fühlen müssen". Gerade der letzte Punkt sei für Führungstandems besonders spannend.

Teil von Braases Job ist das Matchmaking: Das bedeutet, Mitarbeitende, die sich vorher nicht kennen, zu einem möglichen Tandem zu vereinen. Da die Chemie zwischen den Partnern stimmen muss, informiert Braase über Best Practises bestehender erfolgreicher Tandems, aber auch über mögliche Stolperfallen, die es gemeinsam zu überwinden gilt. Externe 'Erste-100-Tage-Coachings' sollen darüber hinaus helfen, mögliche Reibungspunkte von Anfang an zu minimieren.

Topmanagement muss Jobsharing unterstützen

Christina Braase ist bei Beiersdorf in Hamburg für Diversity und Jobsharing zuständig. Im Unternehmen existieren aktuell 27 Jobtandems.
Christina Braase ist bei Beiersdorf in Hamburg für Diversity und Jobsharing zuständig. Im Unternehmen existieren aktuell 27 Jobtandems.
Foto: Beiersdorf

In einem internen Workshop fand Beiersdorf weiter heraus, dass Arbeitsmodelle wie Jobsharing kommunikativ begleitet werden müssen. Sich einen Job zu teilen sollte nicht nur ein Thema für Mütter sein, sondern ein effektives Tool, das für jeden Mitarbeiter einen Mehrwert bieten kann, wenn dieser eine Zeit lang flexibler arbeiten möchte.

"Wichtig ist: Man braucht Unterstützer, damit etwas vorangeht", sagt Braase. Zum inneren Kreis bei Beiersdorf gehören die sogenannten HR Business Partner, das sind Führungskräfte und erfolgreiche Jobsharer, die sich für das Modell einsetzen möchten und es auf verschiedenen Wegen präsentieren. Der Rückhalt aus dem Topmanagement sei unverzichtbar und gebe ordentlich Rückenwind, so Braase.

Hoher Wissenstransfer im Tandem

Auf Kommunikation setzt auch EWE-Vorständin Rövekamp. Das Thema "Frauen in Führung" habe seinen Platz im Intranet, im Vorstands-Blog, aber auch in der externen Kommunikation, also in Vorträgen, Presse­meldungen oder den sozialen Medien. Neben Men­toring-Programmen für Frauen bietet das un­ternehmensinterne Netzwerk "Frauen mit Ener­gie" verschiedene Seminare an, oft auch im Kontext mit Führung, und fördert den Austausch und die Empfehlungskultur unter­einander. Hier werden auch interne Stellen­angebote eingebracht, um die Frauen zu in­formieren und zu motivieren.

Die EWE-Managerin registrierte, dass sich im Laufe des vergangenen Jahres doch einiges in Sachen flexible Karrieremodelle bewegt hat. Wichtig sei, dass auch Männer Möglichkeiten wie Führen in Teilzeit stärker annehmen. "Wenn sich Paare die Familienarbeit stärker teilen und es für beide eine Option ist, in Teilzeit zu arbeiten, haben wir einen Riesenschritt getan", ist Rövekamp überzeugt.

Scheu vor Führen in Teilzeit

Gerade Führungskräfte, die in Teilzeit gehen möchten, koste es persönliche Überwindung, den Vorgesetzten darauf anzusprechen. Zudem brauchten die Betroffenen einen Plan, wie sie sich künftig organisieren wollen. Auch für Menschen, die bereits in Teilzeit arbeiten, sei es ein großer Schritt, aus dieser Position heraus einen Führungsjob anzutreten. "Hier brauchen wir unternehmensübergreifend noch mehr kluge Unterstützungsmodelle", sagt EWE-Frau Rövekamp.

Dem stimmt Christina Braase von Beiersdorf zu. Da es bislang nur wenige Führungskräfte mit reduzierter Stundenanzahl oder geteilten Jobs gebe, brauche es eine offene und transparente Unternehmenskultur. Die HR-Experten ermutigen Mitarbeitende, Tandems für sich auszuprobieren, ohne Konsequenzen für ihre Karriere befürchten zu müssen.

In Bezug auf die Vereinbarkeit zwischen Privatleben und beruflicher Weiterentwicklung benötigten die Beschäftigten Zeit, um herauszufinden, ob der eigene Arbeitsstil verändert werden muss. Diese Chance räumt Beiersdorf ihnen ein. Daher freut sich Braase immer, wenn ihr Tandempartner berichten, dass sie jederzeit wieder im Jobsharing-Modell arbeiten würden.

Mit Tandem-Teams hat Beiersdorf gute Erfahrungen gemacht. Jeder habe seinen Sparringspartner und Coach an der Seite, sagt Braase. Versteht sich ein Tandem gut, und die Partner geben sich offenes Feedback, entwickelt sich das Team im Sinne des Unternehmens weiter. Zudem haben die Hamburger auch sogenannte Succession Tandems eingerichtet. Dort arbeitet ein Senior-Manager, der seine Arbeitszeit reduzieren möchte, mit einem jungen Talent zusammen, das den Arbeitsbereich kennen­lernen und sich in die Rolle hineinentwickeln will. "Das ist die perfekte Grundlage für Wissenstransfer", sagt Braase.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Für EWE-Personalvorständin Marion Rövekamp bieten flexible Arbeits- und Karrieremodelle wichtige Hebel für Personalentwicklung beziehungsweise Talentmanagement: "Wenn es für Teams selbstverständlich ist, interdisziplinär sowie bereichs- und hierarchieübergreifend zusammenzuarbeiten und jede Rolle auch so zu be­setzen, dass sich unterschiedliche Persönlichkeiten und Charaktere austauschen und sich ebenfalls vertreten, ist viel erreicht." In dieser Hinsicht habe die Pandemie durch das eigenverantwortliche und selbstverständliche mobile Arbeiten einiges vorangebracht.