Egal ob Carrier, Netzausrüster, IT-Player oder Systemhaus, zum MWC 2022 haben fast alle namhaften Anbieter ein entsprechendes Private-5G-Angebot in ihr Portfolio aufgenommen. Was auch nicht weiter verwundert, locken doch glänzende Geschäfte: In einer NTT-Umfrage sind 90 Prozent der CIOs der Meinung, dass 5G-Netze für Unternehmen zum Standard werden. Und exemplarische Use Cases über den 5G-Einsatz im Corporate-Umfeld, die diese These untermauern, gibt es bereits zur Genüge.
Während also die Einsatzszenarien für 5G nicht mehr diskutiert werden müssen, sieht es bei der Frage nach der Implementierung eines privaten 5G Netzes ganz anderes aus. Kann die Mobilfunktechnik ganz einfach wie eine andere Netztechnik implementiert werden, oder ist vielleicht ein as-a-Service-Angebot gar die bessere Wahl? Und wie integriere ich 5G in die vorhandene Technologielandschaft eines Unternehmens? Erste kritische Stimmen warnen bereits, dass wer das Thema kopflos angeht, es auch gleich lassen kann.
Private 5G - mehr als nur Connectivity
Eine dieser kritischen Stimmen ist etwa Boris Maurer, European Lead Communication and Media Industries bei Accenture. Er warnt davor, das Thema 5G nur unter Connectivity-Aspekten anzugehen. Bei dieser Vorgehensweise werde nur eine Art der Konnektivität durch eine neue ersetzt, aber das eigentliche Problem, eine Erneuerung der Business- und Prozesslogik, nicht angegangen.
Und genau hier sieht Maurer die Chance und das Potenzial von 5G: "Mit 5G haben wir einen Netzstandard, der auf die Kommunikation von Maschine zu Maschine ausgerichtet ist. Gleichzeitig offeriert uns 5G die Möglichkeit, Connectivity und Compute relativ kostengünstig in den Edge-Bereich zu bringen."
Private 5G als Selbstläufer?
Gelingt es, darum noch ein gutes Security Framework zu bauen, könnte Private 5G in kurzer Zeit zum Selbstläufer werden. Zum einen, weil in die Technologie seitens der Anbieter bereits viel Geld investiert wurde, zum anderen, weil keine andere Netztechnologie so mit dem Blick auf IoT-Anwendungen konzipiert wurde. Und mit Sicherheit und geringer Latenz würde sich dann auch die heute immer wieder aktuelle Frage lösen lassen, was noch/auch Cloud-basiert abgearbeitet werden kann. Unter dem Strich ergibt sich so die Chance, überall dort Prozesse mit Private 5G zu vernetzen, wo dies in der Vergangenheit aufgrund fehlender Connectivity noch nicht geschehen ist.
Eine Chance, die gleichzeitig eine neue Herausforderung mit sich bringt. "Sowohl Cloud als auch 5G sind eher IT getrieben und die IT versteht nach wie vor die OT-Prozesse nicht richtig", so Accenture-Manager Maurer. Damit stehen potenzielle 5G-Anwender vor der Aufgabe, einen Partner zu finden, der auch ihre OT-Industrieprozesse versteht - egal ob sie mit einem Hyperscaler oder einer Telco liebäugeln. Eventuell könnte aber auch ein Maschinenbauer mit seinem OT-Prozesswissen die erste Wahl sein, falls er ein entsprechendes Private-5G-Angebot im Portfolio hat.
IT trifft auf OT
Daran, dass viele Unternehmen in der Not dann lieber ihre 5G-Netze in eigener Regie betreiben, glaubt Maurer nicht. Zumal dies mit Blick auf Netzmanagement und ausfallsicherem Betrieb nur für ein paar Unternehmen in Frage kommen dürfte. "Das Core-Business der Unternehmen", so der Berater, "sollte eigentlich die Prozessoptimierung im Betrieb sein." Mit Blick auf den Netzbetrieb sollte bei der Partnerwahl jedoch darauf geachtet werden, dass ein entsprechender Automatisierungs- und Standardisierungsgrad geboten wird, um zu gewährleisten, dass die 5G-Lösung später mit steigenden Ansprüchen auch skaliert. Ein weiteres Augenmerk sollte auf einer Inventarisierung der Daten liegen. Wo liegen die Daten, die für die einzelnen Prozessschritte benötigt werden, überhaupt? Verstecken sie sich womöglich in einem Life-Cycle-Management-System oder hat eventuell nur der Maschinenbauer Zugriff auf die benötigten Daten?
Sind diese Fragen geklärt, kann mit Blick auf das Know-how in Sachen Business-Logik der passende 5G-Partner gesucht werden. Wer dabei künftig zu den Anbietern erster Wahl gehören wird, ist Stand heute noch offen. Derzeit tobt in der Branche ein Wettstreit zwischen den Carriern und den Hyperscalern um die Frage, wer die größte Wertschöpfung an Private-5G-Netzen erhält. So lassen die Telcos etwa die Hyperscaler in ihre Colocation-Räume und die Hyperscaler versuchen wiederum teilweise in die Rolle der Telcos zu schlüpfen. Eine Entwicklung, an deren Ende neue globale Giganten stehen könnten, wie etwa eine MCI Worldcom zu Beginn der 2000er Jahre.
5G-Marktentwicklung
Oder machen etwa die lokalen Carrier das Rennen, indem sie lokale Computing Power und 5G Connectivity bereitstellen und darauf Marktplätze für Services wie Business-Logik und -Prozesse aufbauen? Letzteres Modell kann sich etwa auch Accenture-Consultant Maurer vorstellen. Eher schlechte Karten könnten dagegen Ericsson, Nokia, Cisco, Huawei und Co. haben. Mit einer zunehmenden Standardisierung sind sie mit der Gefahr konfrontiert, dass ihr Blech zur Commodity wird und sie nur wenig an der Wertschöpfung der Private-5G-Netze partizipieren. Dass die Netzausrüster diesen lukrativen Markt nicht kampflos räumen, zeigen jedoch die aktuellen Ankündigungen zu neuen Angeboten und Partnerschaften auf dem MWC.
Vorstellbar ist aber auch, dass sich in Sachen Private 5G ein ähnliches Modell entwickelt wie in der Bauwirtschaft bei Großprojekten: Ein Generalunternehmer oder eine ARGE übernimmt ein 5G-Projekt und unterteilt es in einzelne (Bau)Lose - in diesem Fall etwa Netzaufbau, Netzbetrieb, Cloud Computing etc. Und die Subunternehmen verhandeln dann mit dem Generalunternehmer ihren prozentualen Anteil an der Gesamtwertschöpfung.