Einsparungen erzielen und reinvestieren
Mit dem Boom der RPA-Technologien erhält das BPR-Vorgehen nun einen mächtigen Gegenspieler. Schließlich haben bereits zahlreiche RPA-Projekte eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass selbst komplexere Geschäftsprozesse innerhalb von zwei bis drei Monaten automatisierbar sind. Hinzu kommt: Die Unterbrechungen, die mit der Automatisierung bereits bestehender Prozesse einhergehen können, sind wesentlich kürzer als in den deutlich komplexeren Transformationsprojekten.
Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, inwiefern eine parallel zur Automatisierung erfolgende Transformation denn tatsächlich gerade jetzt erforderlich ist. Rechtfertigen die erhofften Nutzengewinne den Aufwand und die Risiken des BPR? Für den einen oder anderen mag dies ketzerisch klingen, doch jeder im Team sollte sich genau überlegen, warum der Prozess denn bislang noch nicht verbessert wurde und warum dies nun im Zuge seiner Automatisierung geschehen soll.
Berührt der zu automatisierende Prozess die Kernkompetenzen eines Unternehmens und entscheidet er unter Umständen sogar über seine weiteren Marktchancen, so wird die Antwort durchaus ein klares "Ja" sein. Automatisierung und Transformation sollten dann sehr wohl Hand in Hand gehen. Doch sind gerade solche Prozessveränderungen komplex und kostspielig. Um sich ausreichend Luft für ein solches Kernvorhaben zu verschaffen, lohnt es sich für das Unternehmen umso mehr, möglichst viele sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten für seine RPA-Werkzeuge zu identifizieren und diese konsequent auszunutzen. Denn innerhalb vergleichsweise kurzer, gut kalkulierbarer Zeiträume lassen sich damit Einsparungen erwirtschaften, die sich zur Gegenfinanzierung strategischer BPR-Projekte einsetzen lassen.
Die Erfahrungen der RPA-Vorreiter zeigen eindrucksvoll, welche Ressourcen sich in diesem Zusammenhang umschichten lassen. Im Schnitt kann ein typischer Software-Bot die Arbeit von drei bis fünf Mitarbeitern übernehmen. In der Regel decken die daraus resultierenden Einsparungen die Kosten für die Prozessautomatisierung bereits im ersten Betriebsjahr ab. Von da an sind die zuvor noch gebundenen Mittel frei zur Allokation in echte Zukunftsprojekte.
Zu gegebener Zeit mag ein solches Zukunftsprojekt durchaus auch darin bestehen, einen zunächst nur automatisierten Ablauf dann schließlich auch inhaltlich anzufassen. Wertvolle Anhaltspunkte dafür, inwiefern sich nachgeschaltete Prozessoptimierungen lohnen, liefern die Statistiken der zuvor ins Feld geführten Software-Bots. Hierdurch entsteht ein detailliertes Wissen über die Performance von Abläufen, das es in dieser Form vielfach noch gar nicht gegeben hat.
Auf starke Governance achten
Last but not least: Da die Automatisierung eines bestehenden Prozesses weniger komplex ist und die Vorteile der Automatisierung schneller sichtbar werden, kann das erforderliche Change-Management in den Mittelpunkt des Projektes rücken. Denn wie jede andere Technologie benötigt auch RPA ein angemessenes Management der Konfiguration und des gesamten Lebenszyklus. Auch RPA-Investitionen brauchen eine starke Governance-Struktur. Nur dann lässt sich der Mehrwert der As-Is-Automatisierung absichern und ein wie auch immer gearteter Wildwuchs wirksam vermeiden.
Nicht zuletzt kommt dieses systematische Vorgehen dann auch wieder unserem deutschen Ordnungssinn entgegen. Und schlägt gleichzeitig eine tragfähige Brücke zum eher angelsächsischen Sinn für Pragmatik. Einem Sinn, der im Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je zu einem der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren wird. "Der kürzeste Weg, um vieles zu erledigen, ist immer nur eine Sache zu machen", brachte es bereits der schottische Reformer Samuel Smiles im 19. Jahrhundert auf den Punkt. Planvoll gesteuerte As-Is-Automatisierungen verleihen dieser zunächst vielleicht etwas hemdsärmelig klingenden Einstellung in bestechender Weise neue Relevanz. (mb)