Process Mining am digitalen Arbeitsplatz

Auf dem Weg zu Artificial Process Intelligence

18.07.2019
Von 
Tobias Rother ist Gründer der Process Analytics Factory und einer der Pioniere im Process Mining Markt. Als Vorstand der holländischen Software-Firma Pallas Athena (heute Perceptive Software) verantwortete er 2008 die Markteinführung des ersten kommerziell verfügbaren Process Mining Tools. Sein Erfahrungsschatz beruht auf mehr als 200 Process Mining basierten Analysen, Audits und BPM-Projekten.
Process Mining bildet zunehmend Berührungspunkte mit BI, Artificial Intelligence sowie Automatisierung und wandert dank Cloud-basierter Lösungen von Data Scientists hin zu "normalen" Anwendern.

Der interaktive Prozess-Explorer war das Kernelement der ersten Generation von Process-Mining-Tools. Er ermöglichte über die grafische und leicht verständliche Darstellung des Prozessgraphen eine Analyse von Eventdaten, in dem er ihre sequenzielle Abfolge und ihr Zusammenwirken in nahezu beliebiger Detailschärfe sichtbar machte.

Mithilfe von Event-Daten erkennt Process Mining Schwachstellen und Optimierungspotenziale in Prozessen.
Mithilfe von Event-Daten erkennt Process Mining Schwachstellen und Optimierungspotenziale in Prozessen.
Foto: Elnur - shutterstock.com

Um Erkenntnisse für bessere strategische und operative Entscheidungen im Unternehmen zu treffen, kombinieren mehr und mehr Anbieter mittlerweile klassische Process-Mining-Fähigkeiten mit BI-Techniken. Eine beliebte Umsetzung erfolgt hierbei im weltweit führenden Analytics- und BI-Tool Microsoft Power BI.

Die nächste große Entwicklungswelle wird jedoch von einem Paradigmenwechsel im Process-Mining-Markt geprägt sein. „Process KI“ wird dabei unterstützen, Optimierungspotenziale in Geschäftsprozessen automatisch zu finden und sie dem Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz automatisch bereitstellen, damit dieser Prozesse besser steuern kann. „Process KI“ lernt für den Nutzer aus Daten, um Geschäftsprozesse zur Laufzeit zu verbessern.

Branchenübergreifendes Potenzial

In praktisch jedem Unternehmen werden Tag für Tag Geschäftsprozesse analysiert, geprüft, aufgenommen, neu modelliert, transformiert und optimiert. Genau solche Tätigkeiten können zukünftig Process-Mining-Technologien für den Berater bzw. in den Unternehmen übernehmen. Die diagnostische Qualität von Process-Mining-Verfahren beschleunigt und erleichtert hierbei das Erkennen der Ineffizienzen, Ordnungsmäßigkeit und Risiken in Geschäftsprozessen. Zudem liefern sie eine objektiv ermittelte Grundlage für die Bewertung der tatsächlichen Ist-Prozesse und Leistungsdaten.

Diese neue Perspektive auf Geschäftsprozesse fehlte bisher in vielen Unternehmen. Mit der Etablierung von Process Mining als alltagstauglichem Verfahren und der Einbindung in den digitalen Arbeitsplatz hat Process Mining das Potenzial in praktisch allen Branchen für transparente und bessere Prozesse zu sorgen.

Von Excel zu Artificial Process Intelligence

Als Microsoft Excel in den 90ern auf den Markt kam, wurden Tabellenkalkulationsprogramme als ein Computer-Sciences-Thema gelehrt. Heute ist Microsoft Excel das weltweit am weitesten verbreitete Tabellenkalkulationsprogramm. Nahezu jeder Arbeitsplatz ist mit Microsoft Excel ausgestattet. Millionen von Endanwendern nutzen das Programm, ohne jemals eine Data-Science-Ausbildung durchlaufen zu haben.

Die neuesten Microsoft Excel-Versionen arbeiten bereits mit Machine Learning, um Daten in Excel-Tabellen zu analysieren und daraus Pivot-Tabellen sowie Diagramme mit Trends und anderen nützlichen Informationen zu erstellen. Laut Microsoft ist künstliche Intelligenz im digitalen Arbeitsplatz Microsoft Office 365 für mehr als eine Milliarde Menschen bereits Alltag.

Die nächste Process-Mining-Produktgeneration wird jedoch mit „Artificial Process Intelligence“ eine fundamentale Fähigkeit für Millionen „Knowledge-Worker“ rund um den Globus werden. Mitarbeiter kennen die Unternehmensabläufe am besten und erkennen Prozessprobleme am schnellsten. Auswirkungen von Prozessproblemen treffen sie zuerst. Deswegen wird Process Mining zunehmend in den digitalen Arbeitsplatz integriert, um erlangtes Wissen aus Prozessdaten aktiv und direkt in Optimierungsmaßnahmen umzusetzen. Dort wo die Prozessprobleme entstehen und direkt beseitigt werden können.

Unmittelbare Optimierung in Echtzeit

Die Erwartungen an Process Mining gehen mittlerweile über die reine Visualisierung von Ist-Prozessen hinaus. Unternehmen reicht es erfahrungsgemäß nicht mehr, nur „schlauer zu werden“. Sie wollen auch den nächsten Schritt tun und besser werden. Process Mining soll daher nicht nur den Handlungsbedarf schnell und präzise aufdecken, sondern auch gleich die richtigen Maßnahmen anstoßen.

Prozessbaum eines Einkaufsvorgangs in einem Process Mining Tool
Prozessbaum eines Einkaufsvorgangs in einem Process Mining Tool
Foto: Process Analytics Factory GmbH

Daher ist es das Ziel, selbstlernende Systeme zu entwickeln, welche Prozesswissen automatisiert erfassen, analysieren und letztendlich direkt in Optimierungsmaßnahmen umsetzen. Um Erkenntnisse aus Daten direkt in konkrete Aktionen umzusetzen, braucht es neben Process-Mining-Methoden vor allem Verfahren der künstlichen Intelligenz, Workflow-Engines als auch intelligente Softwareroboter (RPA).

Vom Elfenbeinturm an den Desktop

Die Integration von Process-Mining-Verfahren in den digitalen Arbeitsplatz ist der wesentliche Schritt, um Process-Mining-Berichte dorthin zu bringen, wo Prozessprobleme entstehen und sofort beseitigt werden können. Unternehmen, die beispielsweise bereits auf Microsoft Office 365 setzen, können dazu bereits vorhandene Infrastruktur, wie beispielsweise Collaboration-Tools – etwa Teams, Sharepoint, usw. – nutzen, um die Produktivität ihrer Teams bei der Prozessoptimierung zu steigern.

Zudem machen digitale Prozesse und Workflows Unternehmen produktiver. Neue Technologien werden es hierbei ermöglichen, dass Mitarbeiter eine bessere Unterstützung im Berufsalltag erfahren, so wie man es bereits beim Autofahren von Navigationssysteme kennt. Artificial Process Intelligence wird die Vorgangssteuerung intelligent machen und so ein neues Leistungsniveau bei der Vorgangsbearbeitung ermöglichen.

Damit wird Process Mining auch demokratisiert und bleibt nicht mehr nur etwaigen Data-Science-Experten vorbehalten. Zudem verkürzt sich die Dauer von Optimierungsprojekten erheblich. Vergingen früher oftmals Monate vom Proof of Concept bis zur Optimierung, sind es heute im Idealfall nur wenige Tage, bis erste konkrete Maßnahmen unmittelbar umgesetzt werden können. (mb)