Unternehmen benötigen eine digitale Strategie, die ihren Mitarbeitern die Arbeit wesentlich erleichtert. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Digitalisierung von Workflows. Lernen Sie hier Konzepte kennen, die den Menschen in den Fokus nehmen.

Moderne Managementmodelle

Auch Organigramme brauchen ein Update

21.11.2019
Managementmodelle des 20. Jahrhunderts verhindern, dass neue Technologien ihr Potenzial entfalten. Daher brechen Firmen wie Zappos und die REA Group klassische Hierarchien auf und führen Organisationsmodelle ein, die Teamarbeit begünstigen.

Die zunehmende Bedeutung von Automatisierung und künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz war Anlass für vielen Studien und Debatten darüber, welche Arbeitsplätze damit geschaffen, aufgewertet oder vernichtet werden. Aber die Wirkung dieser Technologien auf den Menschen geht weit über individuelle Arbeitsplätze und Tätigkeiten hinaus.

Die neuen Tools beschleunigen Entscheidungen und entlasten Mitarbeiter, sodass sich diese auf anspruchsvollere Aufgaben wie Mentoring und strategische Planung konzentrieren können. Die Einführung dieser Werkzeuge ist natürlich oft eine Herausforderung. Aber die größten Hindernisse haben wenig mit den Technologien an sich zu tun.

Die Manager müssen heute Probleme lösen, von denen ihre Vorgänger noch nicht mal etwas geahnt haben: Wie etabliere ich eine hochflexible Organisationstruktur in einer Zeit des beschleunigten technologischen Wandels? Wie schaffe ich den Spagat zwischen schnellen Innovationen einerseits und Effizienz und Rentabilität andererseits? Wie entwickle ich Organisationsmodelle, welche die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ermöglichen, um intelligentere Entscheidungen zu treffen?

Die Prinzipien der Unternehmensführung mögen zwar als eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit gelten, schließlich haben sie zur Entstehung der modernen Industrie beigetragen, aber sie bedürfen jetzt einer grundsätzlichen Erneuerung.
Die Prinzipien der Unternehmensführung mögen zwar als eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit gelten, schließlich haben sie zur Entstehung der modernen Industrie beigetragen, aber sie bedürfen jetzt einer grundsätzlichen Erneuerung.
Foto: Picsfive - shutterstock.com

Der Mensch neigt zu hierarchischen Strukturen

Könnte es sein, dass die CEOs den Nutzen von Technologien des 21. Jahrhunderts einschränken, indem sie diese in Organisationen implementieren, deren Strukturen im Wesentlichen von Managementmodellen des 20. Jahrhunderts geprägt sind? Eine Reihe von Untersuchungen, darunter auch eine Studie von Gartner aus dem Jahr 2018, lassen den Schluss zu, dass Management-Mechanismen des 20. Jahrhunderts wie hierarchische Organigramme und Funktionssilos den Fortschritt am meisten behindern.

Die Prinzipien der Unternehmensführung mögen zwar als eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit gelten, schließlich haben sie zur Entstehung der modernen Industrie beigetragen, aber sie bedürfen jetzt einer grundsätzlichen Erneuerung. Betriebswirtschaftliche Kernaufgaben wie Workflow-Design, Projektmanagement und Budgetierung wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts formuliert.

Einige Unternehmen haben diese älteren Strukturen bereits abgeschafft. Lean-Manufacturing-Methoden, von japanischen Automobilherstellern in den 1980er Jahren eingeführt, wurden von Softwareentwicklern weitgehend übernommen. Diese Lean-Manufacturing-Konzepte erlebten unter der Bezeichnung "agile" Produktion ein Revival. Dabei werden funktionsübergreifende Teams gebildet, die Projekte im Rahmen aufeinanderfolgender "Sprints" durchführen, um die Lieferung von Ergebnissen zu beschleunigen.

Teams bilden sich über Abteilungen hinweg

Tausende von Softwareanbietern und IT-Organisationen sind jetzt überzeugte Anwender agiler Methoden. Diese Konzepte und der neuere, modernere DevOps-Ansatz haben sich zwar als Industriestandards für die Softwareentwicklung etabliert, aber von anderen Geschäftsbereichen bzw. Unternehmenstypen wurden sie weitgehend ignoriert.

Angesichts des Siegeszugs der Automatisierung und anderer moderner Technologien werden mehr Unternehmen bald flexible teamorientierte Produktionskonzepte einführen, sagt Toby Walsh, Professor für künstliche Intelligenz an der University of New South Wales.

"Die Aufgaben der Mitarbeiter werden wesentlich flexibler und variabler", so Walsh. "Alle aktuellen Herausforderungen eines Unternehmens werden in Zukunft spontan gelöst." Mitarbeiter werden zu einer Art Söldner, die ein Unternehmen anfordert, wenn es brennt, und die das Unternehmen dann wieder verlassen, so die These von Walsh

McKinsey eignet sich nicht als Sündenbock

Managementberater sind nicht die Ursache für diese Veränderungen. Es ist vielmehr die Erkenntnis, dass Kunden von ihren bevorzugten Marken einen besseren Service erwarten. Das wiederum erfordert nicht nur eine höhere Bereitschaft, auf ihre Bedürfnisse einzugehen, sondern auch mehr Experimentierfreudigkeit innerhalb der Unternehmen, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Beim Online-Händler Zappos aus Nevada, dessen Marke konsequent auf Kundenservice ausgerichtet ist, hat CEO Tony Hsieh die traditionellen Managementhierarchien über Bord geworfen und ein neues "Self-Management"-Konzept namens Holacracy (Holokratie) eingeführt.

Zappos hat viele Fachteams durch diversifiziertere Gruppen, sogenannte "Circles" (Kreise), ersetzt, erklärt Jamie Naughton, der für die Unternehmenskultur des Unternehmens verantwortlich ist. Zudem wurden zahlreiche Manager durch Gruppenrepräsentanten abgelöst, sogenannte "Lead Links" (Kreisleiter), die die Interessen eines Kreises vertreten und im Namen aller an andere Kreise berichten.

"Wenn eine Aufgabe besser von einem Team als von einer Einzelperson erfüllt werden kann, dann wird ein Kreis mit mehreren Rollen für diese Aufgabe gebildet", berichtet Naughton. "Die Kreise sind für ihre Arbeitsergebnisse verantwortlich, die sie mit den jeweils am besten geeigneten Mitteln erzielen."

Das Paradoxe an diesem Wandel? Die Teamstrukturen mögen zwar ungewöhnlich sein, so Naughton, aber viele Rollen bleiben unverändert.

"Die Stellenbeschreibungen in unserem Unternehmen unterscheiden sich nicht von denen anderer Firmen", kommentiert er. "Der Hauptunterschied besteht darin, dass wir den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit einzubringen. Wie die meisten anderen Unternehmen haben auch wir Manager und Mitarbeiter mit Kundenkontakt. Aber wir achten darauf, dass jeder ganz unabhängig von seiner Stellung den Kunden auf gleiche Art und Weise erreichen kann."

Managementberater sind nicht die Ursache für diese Veränderungen. Es ist vielmehr die Erkenntnis, dass Kunden von ihren bevorzugten Marken einen besseren Service erwarten.
Managementberater sind nicht die Ursache für diese Veränderungen. Es ist vielmehr die Erkenntnis, dass Kunden von ihren bevorzugten Marken einen besseren Service erwarten.
Foto: ServiceNow

Bürokratie bekämpfen

Die agile Methode und das Zappos-Modell bauen die alten Silos ab. Die REA Group, ein digitales Medienunternehmen aus Australien, das im Online-Immobilienmarkt tätig ist, hat kürzlich das gleiche Prinzip bei einer Reorganisation angewandt.

Anstatt die Marketing-, IT-, Legal-, und Finanzteams für die einzelnen Produktgruppen umzustrukturieren, hat die REA Group fünf neue operative Teams gebildet. Jedes davon ist für einen spezifischen Kundentyp zuständig und verfügt intern über alle dafür erforderlichen Fachressourcen. Der Chief Inventor der REA Group, Nigel Dalson, spricht in diesem Zusammenhang von "Full-Stack-Management-Teams".

"Hierarchische Bürokratie als Organisationsmethode für Menschen ist sehr alt", sagt Dalton. "Fachbereiche, die für bürokratische Strukturen optimiert sind, eignen sich weniger für moderne Unternehmen, die Serviceleistungen für Kunden erbringen."

Beispielsweise verfügt das 150-köpfige Fachteam für Wohnungsangebote über alle Fachbereiche eines kleinen Unternehmens: Vertrieb, Legal und HR. Gleichzeitig nutzen die Teams gemeinsame Gruppen, sogenannte Plattformteams, für Aufgaben, die übergreifend koordiniert werden müssen.

"Wir möchten keine fünf Buchhaltungen und fünf CRMs und fünf Help-Desks", erklärt Dalton. "Deshalb haben wir unsere kundenfokussierten Sparten eingerichtet, die hoch dynamisch arbeiten und sehr experimentierfreudig sind. Diese laufen aber nicht vollständig getrennt. Die Management-Kunst besteht also darin, Sparten übergreifend zu koordinieren."

Widerstände bekämpfen

Hierarchisches Denken und Widerstand gegen Veränderungen liegen in der Natur des Menschen. Und damit sind sie die wahrscheinlich größten Hindernisse bei der Implementierung flacherer und flexiblerer Organisationsmodelle.

Bei einer Umfrage, die 2017 unter mehr als 7000 Lesern der Harvard Business Review durchgeführt wurde, gaben knapp zwei Drittel der Befragten an, dass selbst in den Jahren großer technologischer Fortschritte die Organisationsstrukturen ihrer Unternehmen sich zu mehr Zentralisierung, weniger Innovation und stärkerer Reglementierung entwickelt haben.

"Menschen werden sich nie so schnell entwickeln wie die Technologie heutzutage", konstatiert Lani Refiti, Technologiepartner bei Deloitte. "Die Menschen haben ein natürliches Sozialverhalten: Sobald wir uns zu Gruppen zusammenschließen, bilden sich Hierarchien. Anstatt vertikaler Strukturen brauchen wir vielmehr eine teamorientierte Dynamik, um von modernen Technologien zu profitieren."

Das hält Unternehmen wie Zappos und die REA Group nicht davon ab, das traditionelle Organigramm abzuschaffen. Aber so wie die Technologie, die ständig neue Modelle hervorbringt, könnte auch der Evolutionspfad endlos sein.

Mit anderen Worten, es gibt keine ideale Organisationsform, denn die besten Modelle entwickeln sich kontinuierlich weiter. "Wir sind in der Übergangsphase zwischen Raupe und Schmetterling", so Dalton. "Wir müssen ewig weiter experimentieren, ausprobieren und lernen."