Verhandlungen mit Mitel über Unify-Verkauf

Atos verliert Großauftrag in Großbritannien

03.02.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die Turbulenzen bei Atos gehen unvermindert weiter. In Großbritannien geht dem Dienstleister ein Milliarden-Deal verloren. Derweil laufen Verhandlungen über einen Verkauf der Unify-Sparte an Mitel.
Finstere Zeiten für Atos. Der Dienstleister verliert wichtige Deals und muss endliche eine Lösung finden, wie er sich künftig aufstellen möchte.
Finstere Zeiten für Atos. Der Dienstleister verliert wichtige Deals und muss endliche eine Lösung finden, wie er sich künftig aufstellen möchte.
Foto: Atos

Nach gerade einmal zwei Jahren hat der britische National Employment Savings Trust (Nest) seine Zusammenarbeit mit dem französischen IT-Dienstleister Atos beendet, berichtete das IT-Nachrichtenmagazin "The Register". Ursprünglich sollte der im Februar 2021 ausgehandelte Deal bis zu 18 Jahre halten und ein Volumen von 1,5 Milliarden britischen Pfund umfassen. Nun hätten sich laut dem Bericht beide Seiten darauf geeinigt, den Vertrag aufzulösen. Das könnte bis zu 1000 Arbeitsplätze auf der Insel und in Indien kosten.

Vor zwei Jahren hatte der Betriebsrentenfonds Atos mit der Verwaltung seines Zukunftsprogramms beauftragt. Eigentlich sollte der neue Service im laufenden Jahr starten und fortschrittliche Technologien inklusive Datenanalysen beinhalten, um jedem Mitglied von Nest personalisierte Dienstleistungen zu bieten. "Die hochmoderne Technologie- und Cloud-Hosting-Plattform von Atos wird eine skalierbare, agile und emissionsarme Lösung für die gesamte Verarbeitungs- und Verwaltungs-IT bereitstellen, die sich an zukünftige Anforderungen anpassen lässt", stand damals in einer Mitteilung von Atos.

Streit über Zeitpläne führt zur Vertragsauflösung

Dem Bericht zufolge hätten die Nest-Verantwortlichen auf die Auflösung des Vertrags gedrängt, nachdem Atos verlangt hatte, das Go-Live hinauszuzögern. Der Pensionsfonds habe noch in letzter Minute Änderungen am System verlangt, begründete der IT-Dienstleister die Änderungen am Zeitplan. Doch NEST weigerte sich offenbar, die Fristen neu zu verhandeln und pochte auf die im Vertrag festgelegten Termine.

Gavin Perera-Betts, Nests Chief Customer Officer, dankte Atos für die Unterstützung und Partnerschaft. "Sie haben uns bei der Umstellung auf ein stärker datenorientiertes Unternehmen maßgeblich unterstützt", teilte der Manager mit. Auch habe Atos dabei geholfen, den Weg der digitalen Transformation festzulegen. Jetz gehe es für den Rentenfonds darum, die nächste Phase des Umbaus anzugehen. Man wolle sich etwas Zeit nehmen, um zu prüfen, welche Unterstützung benötigt werde. "Die Dienstleistungen, die Nest seinen Mitgliedern anbietet, werden wie gewohnt erbracht."

2008 hatte die britische Regierung Nest gegründet, und 2010 war der Pensionsfonds, dem rund 9,7 Millionen Briten gemeinsam mit ihren Arbeitgebern ihre Rentensicherung anvertrauen, an den Start gegangen. In Sachen IT hatte Nest damals zunächst mit Tata Consultancy Services (TCS) zusammengearbeitet. Der indische Dienstleister war wohl auch während des Atos-Intermezzo immer noch mit an Bord. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass Nest seine Zusammenarbeit mit TCS vorerst fortsetzen wird, bis die längerfristigen Pläne neu justiert sind.

Umstrittene Aufspaltungspläne

Der gescheiterte Deal mit Nest kommt für Atos zu einer Unzeit. Der Dienstleister hatte Mitte vergangenen Jahres angekündigt, sich aufspalten zu wollen: Unter der neuen Marke Evidian sollen schnell wachsende Geschäftsbereiche wie Digital Services, Big Data/Analytics und IT-Sicherheit zusammengeführt werden. Die verbleibenden, schrumpfenden Geschäftseinheiten wie Rechenzentrumsdienstleistungen und Hosting, Digital Workplace, Unified Communications und Business Process Outsourcing (BPO) sollen in der Tech Foundation Co. konsolidiert werden.

Rodolphe Belmer, der Atos eigentlich wieder in ruhigere Fahrwasser steuern sollte, ging nach nur wenigen Monaten im Streit um die Aufspaltungspläne.
Rodolphe Belmer, der Atos eigentlich wieder in ruhigere Fahrwasser steuern sollte, ging nach nur wenigen Monaten im Streit um die Aufspaltungspläne.
Foto: Atos

Doch diese Pläne sind umstritten. Der erst im Januar 2022 angetretene CEO Rodolphe Belmer spielte nicht mit und verließ Atos im September wieder. Auch Investoren übten öffentlich massive Kritik. Der Sanierungsplan sei zu ambitioniert und in der Umsetzung zu komplex, hieß es. Der Dienstleister habe das Vertrauen der Märkte verloren. Tatsächlich kämpft Atos seit vielen Jahren mit Problemen. In den vergangenen fünf Jahren hat die Aktie der Franzosen mehr als drei Viertel ihres Wertes verloren. Mehrere Gewinnwarnung und der gescheiterte Versuch DXC Technology zu übernehmen brachten das Unternehmen im vergangenen Jahr weiter in Schieflage.

Marktbeobachter monierten, Atos habe zu lange gebraucht, sich auf neue Paradigmen wie die Cloud einzulassen und zu lange am klassischen Geschäft mit Outsourcing und RZ-Infrastrukturdiensten festgehalten. IBM habe schneller reagiert und viel früher seinen Bereich Global Technology Services in das unabhängige, börsennotierte Unternehmen Kyndryl ausgegliedert.

Atos verhandelt über Unify-Verkauf

Derweil scheint Bewegung in die Strukturen von Atos zu kommen. Die Franzosen verhandeln wohl mit dem kanadischen Unternehmen Mitel Networks über einen Verkauf der Unified-Communications-and Collaboration (UCC-)Sparte Unify von Atos. Der Deal könnte im zweiten Halbjahr 2023 abgeschlossen werden, hieß es in einer Mitteilung. Gemeinsam könnten Mitel und Unify auf einen kombinierten Kundenstamm von mehr als 75 Millionen Nutzern in über 100 Ländern und eine Channel-Community von mehr als 5.500 globalen Partnern bauen. "Die Übernahme des Portfolios, der Partner, der Mitarbeiter sowie der Expertise von Unify würde die Größe und das Angebot von Mitel erheblich erweitern", sagte Tarun Loomba, CEO und Präsident von Mitel.

Finanzielle Details zu dem möglichen Deal sind noch nicht bekannt. Außerdem müssten noch die behördlichen Genehmigungen eingeholt und mit den zuständigen Arbeitnehmervertretungen verhandelt werden, hieß es. Aktuell arbeiten etwa 3000 Angestellte in Atos' Unify-Sparte. Das bisher schon sehr wechselreiche Schicksal der Firma würde mit dem Verkauf an Mitel eine weitere Volte nehmen.

Atos hatte Unify, ein Joint-Venture von Siemens und der Gores Group, Ende 2015 für 340 Millionen Euro in bar gekauft. Seine Wurzeln hat der Bereich in Siemens Enterprise Communications (SEN), das sich 2006 durch die Ausgliederung des Bereichs Communications aus der Siemens AG gebildet hatte. Im Juli 2008 entstand daraus ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem US-Investor The Gores Group. Dieser brachte für einen 51-Prozent-Anteil an dem Joint Venture seine Firmen Enterasys und SER-Solutions, einen Hersteller für Call-Center-Software, ein. 2013 folgten dann der Verkauf von Enterasys an Extreme Networks und die Umfirmierung in Unify, um den Fokus auf UCC-Lösungen (Unified Communication & Collaboration) stärker herauszustellen.