Knapp 17.000 Entscheider auf einem Digitalisierungskongress? Was in der realen Welt vor Corona unvorstellbar schien, das hat die Telekom mit der virtuellen Ausgabe ihres Event-Formats Digital X hinbekommen. Zentrale Frage war, wie sollte es zu diesen Zeiten anders sein, wie sieht die Wirtschaft nach Corona aus?
Ist die Digitalisierung wirklich der Schlüssel zur Resilienz der Zukunft, wie Mario Ohoven, Präsident des Bundesverband mittelständische Wirtschaft BVMW, es formulierte? Und werden die Digitalisierungs-Zauderer und -Verweigerer die Corona-Krise wirklich nicht überleben, wie Ohoven weiterhin prophezeite.
Corona-Krise als Chance?
Ganz so krass bewertet Telekom-CEO Tim Höttges die aktuelle Situation nicht. Er stellt die These auf, dass "die Corona-Krise auch eine Chance ist und auf die Krise Neues folgt", also eine Transformation, wenn nicht gar Disruption stattfindet. Und dabei wiederhole sich die Geschichte durchaus. So hätte der Schwarze Tod, die große europäische Pest-Pandemie von 1346 bis 1353 zwar fast ein Drittel der damaligen Bevölkerung hinweggerafft, doch gleichzeitig noch etwas anderes bewirkt: Es entstand etwas komplett Neues, ein Aufbruch - die Renaissance. Ebenso einschneidende Auswirkungen hätte die Spanische Grippe gehabt, die von 1918 bis 1920 als Pandemie wütete. Auch diese Krise hätte einen disruptiven Charakter aufgewiesen. So seien in der Folge die Grundlagen des modernen Gesundheitswesens mit der Bildung von Gesundheitsministerien, der Analysen von Daten, Statistiken etc gelegt worden.
Corona als Katalysator der Digitalisierung
Und heute, 100 Jahre später, so der Telekom-Chef, führt die Corona-Krise ebenfalls zu einem "neuen Jetzt". So wirkt Corona laut Höttges wie ein Katalysator auf die Digitalisierung. "Denn Digitalisierung ist gelebtes Social Distancing", so der CEO. Gleichzeitig änderte sich mit der Krise das Konsumentenverhalten massiv. Arbeiteten vor der Pandemie 37 Prozent gerne im Homeoffice, so sind es mittlerweile 83 Prozent der Mitarbeiter. Und die Deutschen, bislang die europäischen Muffel in Sachen digitalem Bezahlen, zahlen nun öfter mit Karte oder mobilen Verfahren. Ein Schub, den Höttges mit einem Plus von 75 Prozent beziffert. Während die Kinos geschlossen waren, konnte Netflix in diesem Jahr bereits 15,8 Millionen neue Abonnenten gewinnen. Und Amazon steigerte seine Verkäufe im Vergleich zum ersten Quartal 2019 um 26 Prozent.
Schnelle Adaption des Digitalen
Zahlen, die für Höttges belegen, wie extrem schnell die Menschen das Digitale adaptiert haben, während etwa das klassische Business einen Einbruch erlebt. So sei etwa der Umsatz mit des Deutschen liebsten Fast-Food-Gericht - dem Döner - um 75 Prozent zurückgegangen. Resilient würden sich deshalb in der Krise Unternehmen zeigen, die rechtzeitig in die Digitalisierung investiert hätten, so der Telekom-Chef weiter.
Die Digitale Renaissance
Doch wie könnte die Digitale Renaissance, das neue Normal nach der Krise vor dem Hintergrund obiger Erfahrungen und Beobachtungen aussehen? Richtungsweisende Entscheidungen, so Höttges, müssten jetzt getroffen werden, bevor wir wieder in den normalen Wirtschaftsalltag zurückkehren, denn jetzt seien die gemachten Erfahrungen noch frisch. Eine mögliche Agenda macht der Telekom-Chef dabei an fünf Handlungsfeldern fest: Privatkunden, Geschäftskunden, Kapitalmarkt, Mitarbeiter und Politik.
Privatkunden
Mit Blick auf die Privatkunden/Consumer kommt der Manager zu dem Schluss, dass hier die Adaption an das Digitale sehr viel schneller funktioniere als das viele Unternehmen ihren Kunden zu trauen. In der Konsequenz müssten die Unternehmen mehr digitale Interaktionskanäle bereitstellen und proaktiv mit den Kunden agieren. Zudem sei es Pflicht, jetzt schneller alle Services digital verfügbar zu machen. "Die einfache digitale Verfügbarkeit unserer Dienste/Angebote muss jetzt für uns Unternehmer erste Bürgerpflicht sein", appellierte Höttges. Zudem gewinne mit der Krise die Marke wieder mehr an Wert, denn jetzt kaufe der Kunde Dinge, die ihm Verlässlichkeit für die Zukunft geben. Der Telekom-Chef empfiehlt deshalb, jetzt in die eigene Marke zu investieren. Zudem gewinne das Thema Datenschutz by Design jetzt in der Digitalisierung eine ganz andere Bedeutung. Die Diskussionen über die Corona App und das Thema Datenschutz sollten hier für jedes Unternehmen eine Warnung sein, führt Höttges weiter aus.
Geschäftskunden
Mit Blick auf die Homeoffice-Erfahrungen während der Corona-Krise glaubt Höttges, der früher ein Skeptiker dieser Arbeitsweise war, dass die Welt künftig eine hybride sein wird, denn Homeoffice allein könne es nicht sein. Gegen eine reine Homeoffice-Arbeitswelt sprechen für Höttges mehrere Gründe: So sei der Verschleiß zuhause, die Vermischung von Privatem und Beruflichen zu groß. Zudem fehle die Motivation, die soziale Interaktion mit Kollegen, der konstruktive Streit, so dass es mit einer reinen Homeoffice-Umgebung nicht gelinge, die letzten fünf Prozent im Team heraus zu kitzeln. Auf der anderen Seite steht für ihn jedoch auch fest, dass es künftig viel weniger Geschäftsreisen geben wird. Deshalb ist es für den CEO jetzt wichtig, das Produkt "Homeoffice-Worker" ganzheitlich neu zu erfinden.
Dabei ist das Thema Homeoffice nur eine der Herausforderungen, beziehungsweise Lehren aus der Krise. Ein anderer Aspekt ist für Höttges neben einer Beschleunigung der Digitalisierung die Automatisierung in allen Sektoren. Ebenso sollte auf der Agenda der Entscheider die Resilienz der Wertschöpfungsketten stehen.
Kapitalmarkt
Mit Blick auf den Kapitalmarkt sieht Höttges die Unternehmen in der Pflicht, stärker Digitalisierungsstrategien zu entwickeln, die auch die Investoren überzeugen. Dabei sei die Digitalisierungsstrategie als Teil des Unternehmensprozesses deutlich und transparent zu machen. Zudem müssten neue Kennziffern für die Produktivität in einem hybriden Modell entwickelt werden, denn es gebe in der Corona-Krise etwa die Herausforderung, Produktivität im Homeoffice messbar darzustellen. Dies müsse dem Kapitalmarkt glaubhaft für Kosten, Produktivität etc. vermittelt werden, um die Liquidität aufrechtzuerhalten.
Mitarbeiter
Mit Blick auf die Erfahrungen in Sachen Homeoffice in den letzten Monaten fragt Höttges, ob die Unternehmen die richtigen Programme haben, um ihre Mitarbeiter im Umgang mit den digitalen Tools zur Collaboration zu schulen? Und was tun die Unternehmen, um die Mitarbeiter für die hybride Welt mit Arbeiten im Office und zuhause im Wechsel ausreichend zu qualifizieren? Hierin sieht der Telekom-Chef die eigentliche Herausforderung für die Unternehmen, weniger in der Suche nach den passenden Software-Tools (siehe auch "Kostenlose Programme für die Heimarbeit", "Die wichtigsten Videokonferenzsysteme", die es in den Augen des Managers für fast alle Digitalisierungsaufgaben in entsprechendem Umfang gibt.
Politik
Neben den Arbeitsmarkt-Themen sollte die Politik in den Augen Höttges fünf weitere Bereiche adressieren. Für ihn hängt die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands unter anderem davon ab, wie gut es uns gelingt, unsere Ökonomie grün zu etablieren. Mit Blick auf die Globalisierung fordert er eine Souveränität Europas in Schlüsselindustrien und rät zu einer genauen Analyse der Wertschöpfungsketten. Des Weiteren erwartet er ein Digitalisierung überall und sieht hier nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik gefordert - egal ob E-Government, E-Health oder E-Schooling. Der Staat, so Höttges weiter, müsse Vorbild in Sachen Digitalisierung sein. Ferner müssten Daten in einer digitalisierten Welt als Eigentum betrachtet werden. Diese Daten sollte Deutschland nicht zu leichtfertig auf globalen Plattformen verlieren. Und last, but not least sollte hierzulande Innovation nicht länger als ein Jobkiller betrachtet werden, sondern als die Grundvoraussetzung für den Wohlstand, der nach Corona entsteht.
Unter dem Strich gibt Höttges den Entscheidungsträgern noch einen generellen Tipp mit auf den Weg: "Lassen Sie sich nicht von dem Pessimismus anstecken, seien Sie der Ackergaul, der jetzt den Karren der Digitalisierung zieht."