Shooting-Star bei Betriebssystemen

Android - der Pinguin wird mobil

18.03.2013
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Auf dem Desktop macht Linux keinen Stich gegen Windows, doch auf mobilen Devices wie Smartphones und Tablets startet die Open-Source-Idee mit Android durch.
Wenn man die Zahl der Geräte als Maßstab nimmt, ist Linux der Shooting-Star unter den Betriebssystemen.
Wenn man die Zahl der Geräte als Maßstab nimmt, ist Linux der Shooting-Star unter den Betriebssystemen.
Foto:

Linux ist der Shooting-Star unter den Betriebssystemen - zumindest wenn man die bloße Zahl der Geräte als Maßstab nimmt. Weit über eine halbe Milliarde IT-Devices laufen weltweit bereits unter dem quelloffenen OS, und täglich werden es mehr. Der Erfolg des Pinguins hat seine Ursache in einem Paradigmenwechsel: Statt dem klassischen PC nutzen immer mehr Menschen mobile Geräte wie Smartphones oder Tablets als bevorzugtes IT-Device. Während im bröckelnden PC-Markt nach wie vor Microsoft mit Windows das Maß aller Dinge ist, hat der einstige Monopolist im mobilen Geschäft den Anschluss verpasst. Hier setzen andere Hersteller und Plattformen die Trends - neben Apple eben Linux.

Es ist Googles Android-System, das hier die Linux-Fahne hochhält. Mitte September 2012 gab der Suchmaschinenspezialist bekannt, dass weltweit bereits über 500 Millionen Android-Geräte aktiviert worden seien, täglich kämen weitere 1,3 Millionen Devices dazu. Vor allem im Smartphone-Markt kann das auf einem Linux-Kernel basierende Android punkten. Gartner zufolge liefen zuletzt fast drei von vier ausgelieferten Smartphones unter Android. Ein Jahr zuvor hatte der Anteil des Google-Systems erst knapp über 50 Prozent betragen.

Der Trend ist aus Sicht der Analysten nicht aufzuhalten. Gartner prognostizierte 821 Millionen Smart Devices, die 2012 über den Ladentisch gehen sollten. 2013 soll laut den Marktbeobachtern eine Milliarde überschritten werden. Von diesen Zahlen können die PC-Hersteller nur träumen. Rund 350 Millionen Rechner konnten sie 2012 weltweit an den Mann bringen - Tendenz fallend. Bereits 2015 könnte sich der PC-Jahresabsatz der 300-Millionen-Marke annähern.

Auslaufmodell PC?

Angesichts dieser Entwicklungen dürfte es für viele Linux-Fans verschmerzbar sein, dass das Open-Source-System im klassischen PC-Segment bis dato keinen Stich gemacht hat und sich daran auch in den kommenden Jahren kaum etwas ändern dürfte. Zwar habe es vor etwa fünf bis sechs Jahren einen großen Hype um Linux gegeben, sagt Annette Jump, Research Director von Gartner. Viele Unternehmen hätten sich damals für das Open-Source-Thema interessiert, dann aber schnell erkannt, dass die Kosten, auf Linux umzusteigen, doch relativ hoch liegen.

"Seit dieser Phase schwindet der Anteil von Linux kontinuierlich", konstatiert Jump. Die Analystin beobachtet seit Jahren, unter welchen Systemen die Rechner in den Unternehmen laufen. Habe der Anteil von Linux hier vor drei Jahren noch bei 2,3 Prozent gelegen, seien es 2012 gerade noch 1,8 Prozent gewesen. Für das laufende Jahr rechnet die Analystin mit einem weiteren Schwund auf dann 1,5 Prozent.

Warum sich Linux im Desktop-Bereich nie so recht durchsetzen konnte, hat verschiedene Gründe. Vermeintliche Kostenvorteile bei der Anschaffung würden durch einen größeren Aufwand im Betrieb und bei der Pflege der Systeme wieder zunichtegemacht, stellt Gartner-Analyst Michael Silver fest. Außerdem seien nach wie vor viele Applikationen für die Linux-Plattform nicht verfügbar. Unternehmen müssten zudem die Kompatibilität zwischen Linux- und Windows-Welt sicherstellen, was ebenfalls zu Mehraufwand führe. Gleiches gelte für die Schulung der Mitarbeiter.

Linux-Entwicklung

Linux-Erfinder Linus Torvalds.
Linux-Erfinder Linus Torvalds.
Foto: Kwest - Fotolia.com

Im September 1991 stellte Linus Torvalds mit Version 0.01 den ersten Linux-Kernel vor. Auch heute kümmert sich der Finne unter dem Dach der Linux-Foundation um die weitere Entwicklung des Systems. Die aktuelle Version ist der Kernel 3.6.7, wobei die letzte Zahl den Status von Bugfixes beschreibt und die beiden ersten Ziffern den Stand der funktionalen Weiterentwicklung. Seit 2005 haben sich daran über 8000 Entwickler aus rund 850 Organisationen und Unternehmen beteiligt. Bestand Kernel-Version 1.0.0 im Jahr 1994 noch aus etwa 175.000 Zeilen Code, waren es 18 Jahre später in Release 3.2 bereits über 15 Millionen Codezeilen. Zu den Firmen, die sich am stärksten in der Linux-Entwicklung engagieren, gehören Red Hat, Novell, Intel und IBM. Erstmals tauchte 2011 auch Microsoft unter den Top 20 auf.

Applikationen bestimmen Plattform

Im Grunde gehe es jedoch immer um die Applikationen, sagen Experten. Unternehmen und Anwender würden sich für die Plattform entscheiden, auf der sie die benötigte Software finden. Allerdings deutet sich hier ein Umdenken an. Beharrten die meisten Anwender vor einigen Jahren noch auf ihrem Fat Client, gewöhnten sich die User mit den neuen Computing-Devices Smartphone und Tablet zunehmend an "leichtere" Clients, bei denen weniger lokale Faktoren als vielmehr der Web-Zugriff im Vordergrund stehe. Auch Themen wie Web-basierte Applikationen, Software as a Service (SaaS) und Cloud Computing könnten Linux als schlanke und günstige Plattform interessanter machen.

Es dürfte indes noch dauern, bis sich dieser Ansatz im Markt verankert hat. Google hatte sich zuletzt mit ChromeOS auch an die klassische PC-Plattform herangetastet. Allerdings stieß das Betriebssystem aus Linux-Kernel und dem eigenen Chrome-Browser bis dato auf wenig Interesse. Aufgeben will die Internet-Company aber nicht. Erst vor kurzem wurde eine neue Version von ChromeOS vorgestellt, die über den Fokus des reinen Web-Zugriffs im ersten Release hinaus den Anwendern nun auch Offline-Funktionen bieten soll.

Während Linux im Desktop-Bereich nicht ins Fliegen kommt, hat sich das OpenSource-System im Rechenzentrum längst etabliert. Geebnet wurde der Weg durch die Unix-Wurzeln, die eine Kompatibilität zu den klassischen Server-Systemen sicherstellten. Zudem gilt Linux als stabil und einfach zu warten. Der modulare Aufbau erlaubt es ferner, Linux speziell für dedizierte Aufgaben beispielsweise als Web-Server anzupassen. Mittlerweile läuft das freie Betriebssystem auf praktisch allen Hardwareplattformen - vom einfachen x86-Standard-Server bis zum Mainframe.

Verschiedene Umfragen haben zuletzt gezeigt, dass das Interesse an Linux weiter wächst. Die Linux Foundation und die Yeoman Technology Group haben 428 Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und 500 Millionen Dollar Jahresumsatz zu ihren Server-Plänen befragt. Acht von zehn Befragten erklärten, sie hätten in den zurückliegenden zwölf Monaten zusätzliche Linux-Server in Betrieb genommen und würden auch in den kommenden Monaten weitere Open-Source-Systeme zuzuschalten.

Darüber hinaus steigen viele Unternehmen auch um, hat jüngst eine Untersuchung von Suse und Realtech ergeben. Demnach sei Linux mittlerweile die bevorzugte Plattform für den Betrieb von SAP-Systemen. Das gehe in erster Linie auf Kosten der klassischen Unix-Derivate, deren Anteile sich zuletzt um 77 Prozent reduziert hätten. Im Vergleich dazu sei der Linux-Anteil um 56 Prozent gestiegen. Windows habe um 23 Prozent zulegen können.

"Linux hat sich als wettbewerbsfähiger Player im Rechenzentrum etabliert", bilanziert Al Gillen, Experte für Systemsoftware bei IDC, "und als Grundlage für Cloud-Infrastrukturen." Das System bilde die Basis für viele Software-as-a-Service (SaaS) und Platform-as-a-Service-Angebote (PaaS). Beispielsweise können Anwender über die Amazon Web Services (AWS) Linux-Umgebungen nutzen. Und sogar Microsoft, dessen heutiger Chef Steve Ballmer 2001 Linux als "Krebsgeschwür, welches in Bezug auf geistiges Eigentum alles befällt, was es berührt", bezeichnet hatte, bietet seit Sommer letzten Jahres Linux-Instanzen im Rahmen seiner Cloud-Plattform "Azure" an.

Marktbeobachter gehen zudem davon aus, dass sich Linux künftig über die klassischen IT-Segmente hinaus weiter ausbreiten wird. In immer mehr Geräten vom Auto über vernetzte Unterhaltungselektronik bis zur Waschmaschine hält IT Einzug. Schlanke Embedded-Linux-Betriebssysteme bieten den Herstellern gerade in diesen preissensiblen Märkten die Möglichkeit, IT-Funktionen günstig zu implementieren.

"Bastler", "Spieler" und "Frickler"

Doch trotz der wachsenden Verbreitung und des reifen Alters von rund 21 Jahren gibt es nach wie vor Vorbehalte - gerade von Seiten des Business. Auf einer Veranstaltung der Open Source Business (OSB) Alliance kritisierte ein Teilnehmer das Selbstverständnis der Open-Source Szene. Begriffe wie "basteln" und "spielen" im Rahmen der Softwareentwicklung seien nicht akzeptabel. Auf der anderen Seite wolle sich Linux als reifes und verlässliches System präsentieren: "Das passt nicht zusammen." Unter dem Beifall des Publikums beteuerte Peter Ganten, Vorstand der OSB Alliance, die Ernsthaftigkeit der Community, räumte aber ein, dass man wohl kommunikativ noch an sich arbeiten müsse.