Was sie wirklich an ihrem Bestand haben, merken viele Unternehmen erst, wenn sie Legacy loswerden wollen. Doch was macht eine Anwendung zu einer Legacy-Anwendung? Zum einen sind es die technischen Probleme, die man mit ihr hat. Diese technischen Schulden haben sich über einen längeren Zeitraum angesammelt und werden irgendwann problematisch. Etwa wenn in der heutigen Zeit agile Änderungen gefordert sind. Zudem sind viele technische Optimierungen älterer Anwendungen nicht mehr in dem Maße nötig, da zum Beispiel viel mehr Hauptspeicher zur Verfügung steht.
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Nachhaltigkeit ist modern
Dass Technologie-Updates allein der Technologie wegen nicht nötig sind, belegen die zahlreichen kritischen Systeme, die immer noch in COBOL oder PL/1 betrieben werden. COBOL ist demnach alles andere als Legacy, auch wenn die Programmiersprache weder im öffentlichen noch im akademischen Kontext eine viel diskutierte Sprache ist. Der Grund dafür ist einfach: Auch die akademische Welt unterliegt Hypes und Trends, dementsprechend verändert sich die Lehre. Rein faktisch können so Programmiersprachen wie Java ebenfalls zu Legacy werden - und sind es heute vielleicht auch schon - ,wenn sie aus den Universitäten verschwinden. Und so lernt heute kaum mehr jemand COBOL, obwohl der Reifegrad deutlich höher ist als der von anderen Sprachen. Dieser Wissensmangel wird aktuell zu einer echten Herausforderung, denn: Technologie wird nicht alle 20 Jahre ausgetauscht, um für den Nachwuchs attraktiv zu sein, sondern um mit ihr Probleme zu lösen.
Letztlich ist es irrelevant, mit welcher Sprache Geschäftsprozesse oder Abläufe beschrieben werden oder welche Sprache hinter No-Code/Low-Code steckt. Vielmehr kommt es darauf an, dass den Prozessen eine skalierbare, Kosten/Nutzen-orientierte Technologie zugrunde liegt. Deshalb sind wieder Programmiersprachen gefragt, die sowohl stabil funktionieren als auch nach 25 Jahren noch so flexibel einsetzbar sind, dass sie auch überleben. Dieses Ziel muss auch verfolgt werden, weil Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung für junge Menschen im Vordergrund stehen - Trends, die sich auch in der IT widerspiegeln sollten.
- Tobias Leicher, IBM
„Kein Frontend wird 20 Jahre überleben, weil es sehr stark der Mode unterworfen ist. Um aber Dinge, die sich über die Jahre etabliert und Konstanz haben, so zu gestalten, dass sie gut wiederverwendbar sind, ist nicht die Programmiersprache allein entscheidend, sondern ein guter Schnitt, einfacher Zugriff und der Umgang mit den technischen Schulden. Wichtig ist zu lernen, wie man das Management von Applikationen betreibt, die über Jahrzehnte hinweg immer wieder technische Schulden auf- und abgebaut und dabei innovationsfähig geblieben sind, ohne dass die Technologie als der einzige Treiber gesehen wurde. IT ist eine der wenigen Ingenieurswissenschaften bei denen wir selten von bestehenden guten Softwaresystemen lernen. Es lernt doch auch niemand einen Motor zu bauen, ohne sich vorher einen existierenden angesehen zu haben. Warum sammeln Softwareingenieure nicht einfach guten Code und lernen davon, man denke an Designpatterns, wie gute Anwendungen und Algorithmen implementiert wurden und bringen das anderen so bei?“ - Dr. Georg Loepp, Cegeka Deutschland
„Legacy-Systeme haben aber auch Gutes: eine starke Governance mit zum Beispiel einheitlichen Designvorgaben für die Architektur. Mit Zunahme der Client-Server-Architekturen wurden diese jedoch größtenteils aufgeweicht. Aber gerade was Governance-Prozesse oder Skalierbarkeit angeht, können wir von Legacy-Systemen lernen. In vielen modernen Architekturen müssen Standards überhaupt erst einmal umgesetzt werden, die man bei früheren Großrechnern out-of-the-Box hatte. Deshalb sollte man bei der Entscheidung über eine mögliche Ablösung, den Reifegrad neuer Technologien im Vorfeld genau prüfen und vor allem Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Müssen bestehende Systeme tatsächlich abgelöst werden oder lassen sie sich so modernisieren, dass sie in der neuen Welt besser integriert und kostengünstiger weiterleben können?“ - Dr. Karsten Ballüder, Deloitte
„Wir haben heute eine völlig andere Art der Softwareentwicklung mit dem Fokus auf Funktionalität: Vieles von dem, was eine Softwareanwendung leisten muss, wird über frei verfügbare Frameworks zur Verfügung gestellt. Die Entwickler konzentrieren sich also nur auf das, was kunden- oder anwendungsspezifisch ist. Auch bei COBOL-Anwendungen liegt die eigentliche Geschäftsfunktionalität meist nur bei 20 Prozent der gesamten Code-Basis. Wenn man es nun schafft, diese wertvollen Nuggets an Funktionalität in den Altsystemen zu finden und in die neue Welt zu übertragen, dann hat man den Königsweg gefunden, weil man sich nur auf die Dinge konzentriert, die für das Geschäft wirklich wichtig und wertvoll sind.“ - Martin Reusch, Micro Focus
„Es gibt bei der Modernisierung von Legacy-Systemen nicht den einen Weg: Der Reifegrad von Anwendungen spielt eine große Rolle, zum anderen die individuellen Herausforderungen des Unternehmens. Was möchte man als Unternehmen erreichen und wo steht man in seiner derzeitigen Applikationsentwicklung? Sicher wird es unter Umständen Applikationen geben, die man tatsächlich neu schreiben muss. Doch bei Anwendungen, die echte individuelle Mehrwerte für das Unternehmen generieren und sich für eine Modernisierung eignen, reicht es auch nicht aus, schnell etwas zu machen und dann lange Zeit wieder nichts mehr. Man sollte versuchen, zu einer kontinuierlichen Modernisierung zu kommen, um sie dauerhaft stabil und funktional zu halten. So wie die Golden Gate Bridge, die täglich gestrichen und gewartet wird, damit sie weiterhin befahrbar bleibt.“ - Heidi Schmidt, PKS
„Die technischen Probleme sind schon anspruchsvoll genug. Es gibt zwar Tools, um Transparenz über das technische Durcheinander zu erlangen. Diese sind jedoch nutzlos, wenn die Menschen nicht in der Lage sind, das mit einer gemeinsamen Idee und mit einem gemeinsamen Verständnis über die eigentlichen Probleme nach vorne zu bringen. Dass Fachbereich und IT wieder eine gemeinsame Sprache sprechen ist deshalb essentiell, weil sich die IT-Strategie immer von der Business-Strategie ableiten muss. Für die Firmen ist das eine große Herausforderung, weil sie gleichzeitig unter Handlungsdruck stehen. Viele sind nach wie vor der Hoffnung, dass sie mit einer kurzen Therapie all diese Probleme auf einmal bereinigen können. Diese gibt es aber nicht und je länger man mit solchen Tabletten experimentiert, desto teuer wird es und desto mehr Zeit hat man verloren.“ - Constantin Klein, Syntax
„Wie Unternehmen ihre Systemlandschaft modernisierbar halten können, hängt natürlich davon ab, ob sie ihre eigene Software bauen, oder ob ihre Gesamtlandschaft aus vielen verschiedenen Lösungen besteht. Dazu sollte eine Strategie existieren und genau das stellt auch viele Software-Hersteller (ISVs) vor eine große Herausforderung. Diese müssen sich die Frage stellen, wie groß der Scope für eine Anwendung sein soll, die man nach Möglichkeit massenhaft verkaufen möchte. Wer bisher versucht hat, ein möglichst umfassendes System mit viel Funktionalität für eine bestimmte Branche oder eine bestimmte Problemstellung zu entwickeln, muss seine Lösungen künftig offener und integrierbarer gestalten. Zum einen, um weiterhin im Software-Markt relevant zu bleiben. Zum anderen, um Unternehmenskunden in die Lage zu versetzen, ein Software-Angebot in die eigene Gesamtarchitektur einzubetten.“ - Gerald Hoff, T-Systems M.A.R.S.
„Es fehlen einfach die Leute! Und damit kämpfen alle Unternehmen. Insbesondere wenn es um diejenigen mit Expertise geht, die solche Systeme betreiben können und auch die Verantwortung dafür haben. Die sind schwer zu finden und von den jungen Leuten will niemand mehr zu einem alten Energie-Konzern gehen, der CO2 produziert. Wie schafft man es also, dass Konzerne mit Legacy-IT als Arbeitgebermarke so spannend werden, dass junge Talente auch wirklich Lust haben, dort anzufangen? Nur wer Leute hat, die Projekte umsetzen wollen und auch Spaß daran haben, kann selbst mit einer kleinen Einheit eine Start-up-Geschwindigkeit aufnehmen.“
Guter Code muss nicht neu erfunden werden
Wenn es darum geht, durch Legacy-Modernisierung Dinge im Griff zu behalten und handlungsfähig zu bleiben, muss das interne Wissensmanagement nicht nur Technologie, sondern auch Prozesswissen umfassen. Es gilt, sich auf den funktionalen Nutzen der Altsysteme zu konzentrieren und sich zu fragen, wie sich diese künftig auch mit dem technologischem Fortschritt kontinuierlich verbessern und erweitern lassen. Eine Herausforderung, die umso anspruchsvoller wird, je größer die Organisation ist. Schließlich haben größere Unternehmen für gewöhnlich einen starken Anteil an selbst entwickelter Software. Die Frage, ob sie im Zuge der Legacy-Modernisierung eigene Software entwickeln und in welchem Umfang, könnte sich künftig seltener stellen. Schließlich trifft der Personalmangel in der IT nicht nur KMUs. Auch vor diesem Hintegrund wird die Programmiersprache hinter einer Anwendung zur Nebensache. Das Hauptaugenmerk liegt auf ihrer Einbindung in eine sinnvolle Architektur.
Bei einer Legacy-Modernisierung sollten sich Unternehmen auf die Bereiche konzentrieren, in denen sie sich durch eigene Entwicklungen vom Wettbewerb abgrenzen können. Das Problem dabei: Die IT kann das nicht alleine beantworten. Dies ist nur in Zusammenarbeit von IT und Fachbereich möglich, die allerdings verschiedene Ansichten der heutigen Welt haben, weil ihnen das gegenseitige Verständnis fehlt. Und so besteht die Gefahr, das viele Inseln entstehen: die vielen verschiedenen Tools, die dann dort verwendet werden, sind irgendwann nicht mehr integrierbar und Wartungsaufwand und Kosten steigen enorm. Zu dieser Kleinteiligkeit, getrieben durch die Fachbereiche, kommt das Schnittstellen durcheinander, das sich nicht mehr reduzieren lässt.
Studie "Legacy-Modernisierung 2022": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Legacy-Modernisierung führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 161) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Modernisierung braucht Business, IT und HR
Ohne klare IT- und Business-Verantwortung ist also eine Entscheidung für oder gegen eine Modernisierung nicht möglich. Doch genau hier muss die eigentliche Modernisierung ansetzen: Eine moderne IT-Abteilung muss sich strategisch aufstellen und es als ihre Aufgabe ansehen, für eine Plattform zu sorgen, mit der Unternehmen in eine Kontinuität der Modernisierung gelangen können. Eine Plattform als stabile Basis mit klaren Regeln, auf der sich frei wählbar zwischen Standardsoftware und Eigenentwicklung die Applikationslandschaft für das Unternehmen aufbauen lässt. Das wiederum geht nicht ohne Business-Verantwortung, um entscheiden zu können, welche Business-Prozesse überhaupt unterstützt werden sollen. Da diese Rollenverteilung häufig nicht vorhanden ist, bleibt auch gerne die Fragestellung nach den notwendigen Daten auf der Strecke.
Das Verständnis, datengetrieben zu agieren, ist zwar bei vielen da, die Bereitschaft, das Fundament dafür zu bilden, jedoch sehr schwach ausgebildet. Heißt: Viele bemängeln die Datenqualität, sind aber selbst nicht in der Lage, ihre Stammdaten zu konsolidieren. Das Problem ist nicht nur der Wildwuchs an vielen Datensilos, sondern auch die Kommunikation. Technik und Fach-Know-how sind mittlerweile so weit voneinander entfernt, dass viele agil zusammengelegte Bereiche mehr als ein halbes Jahr brauchen, um wieder die gleiche Sprache zu sprechen. Häufig ein hausgemachtes Problem, denn zu Beginn waren Softwareentwickler häufig Quereinsteiger aus dem Business und kannten die Prozesse. So leiden heute viele Unternehmen unter der womöglich zu krassen Trennung, hervorgerufen durch die Spezialisierung. Dabei wäre klassisches Hospitieren ein einfaches Mittel, um Technikern wieder eine Business-affine Denkweise zu vermitteln und so mit wenig Aufwand Kommunikation und Verständnis zu verbessern.
Auf der anderen Seite werden viele Automatisierungspotenziale, welche die IT bietet, nicht ausgeschöpft. Zudem werden noch immer zu viel Dinge selbst gemacht, obwohl die Babyboomer langsam aus dem Wirtschaftsleben verschwinden und sich der Fachkräftemangel damit weiter verstärken wird. Hier braucht es Wege, Mitarbeiter für die Automatisierung zu begeistern. Und schließlich muss vor allem in der Softwareentwicklung das Wissensmanagement stärker etabliert werden. Nur wenn Entwickler auch Spaß daran haben, ihren jungen Kollegen etwas beizubringen, haben diese auch eine Chance. Für eine Modernisierung braucht es also nicht nur ein technisches, sondern auch ein kommunikatives Konzept, um mit solchen Problemen umzugehen. Ansonsten verliert das Erbstück seinen Wert.
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