Wie bei vielen Managementthemen schlug auch bei der Frage nach der zentralen oder dezentralen Organisation das Pendel in der Vergangenheit stets hin und her. Doch jetzt deuten die Zeichen, so meine Hypothese, in Richtung des "dezentralen Pols". Diese Annahme speist sich aus verschiedenen Gründen. So ist beispielsweise die Planbarkeit des Geschäfts - idealerweise über mehrere Jahre hinweg - zu einem Relikt verkommen. Zu schnell, zu unberechenbar, zu disruptiv bewegen sich die Märkte. Damit entfällt das Argument für eine zentrale Hand, die alles im Griff hat.
Darüber hinaus sind Organisationen in einigen Fachbereichen agiler geworden, um flexibler und schneller auf das Tempo und den Innovationsdruck der Märkte antworten zu können. Mehr denn je entstehen deshalb in Unternehmen sich selbst organisierende Teams, die ihre Spielregeln definieren und kundennah agieren. Diese Entwicklung lässt sich kaum mehr zurückdrehen. Der Grund: Zentralistische Strukturen sind heute in der Regel zu langsam und ziehen meist einen Rattenschwanz an Bürokratie nach sich. Und beim Werben um die begehrten Talente wirken sie abstoßend. Die stehen mehr auf Selbstbestimmung und -verwirklichung.
Die Ambidextrie spaltet Unternehmen
Es ist an sich erfreulich, dass Teams stärker in agilen Strukturen arbeiten. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite: Denn bei allem Hype um Agilität bewegen sich viele Abteilungen noch in der alten Welt der Organigramme und Hierarchien. In ihr herrschen weiterhin Arbeitsteilung, Prozesse, Schnittstellen und allumfassende Regeln vor. Deshalb sprechen wir von Ambidextrie, in der beide Welten nebeneinander existieren, aber meist nicht miteinander. Sie ist mit hohen Spannungen verbunden, die sich aus Verlustängsten speisen und dafür sorgen, dass sich Silos verdichten. Das ist menschlich verständlich, macht es aber schwierig, beide Welten zu verbinden und sie für die andere Seite offen zu halten. Nichts Neues. Schon immer existieren in Unternehmen Subkulturen, die sich in ihrer eigenen Welt bewegen. Hier wirkt die Digitalisierung als Katalysator für diese Subkulturen.
Künftig werden Organisationsstrukturen folglich mehr und mehr von Satelliten, autonomen Teams, geprägt. Ihr Kompass sind die Kundenbedürfnisse, nicht die Regeln und Normen ihres Unternehmens. Letztere lassen keine frische Luft zum Atmen. Und bei anstehenden Entscheidungen auf Rückmeldung der Hierarchie zu warten, raubt agilen Teams jeglichen Nerv und Zeit.
Die Macht der agilen Teams
In dieser Entwicklung sind Konflikte programmiert. Auf der einen Seite will das Senior Management den Rahmen verbindlich setzen und auf der anderen Seite möchten die Satelliten Kunden bedienen. Der Ausgang ist offen, meine These lautet: Die agilen Teams sind stark genug, um sich durchzusetzen. Für sie spricht ihr Mehrwert, den sie für Kunden erzeugen. Im Vergleich fällt es ungleich schwerer, den Nutzen von Regeln zu bewerten. Und wenn die Konflikte nicht lösbar sind, verflüchtigen sich Loyalitäten heute schnell.
Natürlich bedeutet Satelliten-Unternehmen nicht, dass keine Kooperation mehr stattfindet. Im Gegenteil. Nur entwickelt sich diese nicht mehr über akribisch definierte Schnittstellen und standardisierte Prozesse. Stattdessen koordinieren sich die Satelliten untereinander und verständigen sich, wie sie zusammenarbeiten. Dies gilt auch für die Geschäftsbeziehungen zu externen Partnern. Wie sich alle beteiligten Teams auf gemeinsame Ziele einschwören und welche Rolle dabei der neue Hype-Begriff "purpose" spielt, ist eine spannende Frage. Hier gibt es erste Ansätze aus der IT-Branche, in der ausgeklügelte Systeme erprobt werden, wie sich Teams in das größere Gefüge einbetten.
Topmanagement büßt Omnipotenz ein
Und das Topmanagement? Verliert in diesem Spiel weiter an Bedeutung! Hilfreich wäre es, wenn es sich von der Vorstellung verabschieden könnte, alles ließe sich planen und steuern. Also exakt von den Feldern, aus denen es seine Legitimation bezieht. In einer modernen Organisation obliegt es ihm künftig, Spielregeln zu etablieren, die im besten Fall Orientierung stiften. Aber der große Fixstern, um den sich alles bewegt, erlischt.