Laute Telefonate, Ansprache von Kollegen und ein hoher Lärmpegel - ein ganz normaler Arbeitstag in einem Großraumbüro. Disziplin, Rücksichtnahme und Kompromissbereitschaft gelten hier als unerlässlich, andernfalls kann der Arbeitsplatz schnell zur Falle werden. Schon 2009 kamen australische Forscher nach Auswertung mehrerer Studien zu dem Ergebnis, dass das Arbeiten in einem Großraumbüro sich negativ auf die Gesundheit und Psyche vieler Berufstätiger auswirkt. Konzentration in einem solchen Umfeld kostet Anstrengung und kann die Produktivität eines Unternehmens sogar senken oder den Einzelnen auf Dauer krank machen. Ergebnis: Die Ausfallquote steigt, die Arbeitszufriedenheit sinkt. Der wirtschaftliche Schaden erweist sich meist größer als der Vorteil der vereinfachten Kommunikation. Fazit: eine Erhöhung der Stressbelastung und der täglichen Anforderungen.
Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse gilt die Arbeit als Stressfaktor Nummer eins. Jene Befragten empfinden Stress und Druck als stetig zunehmende Faktoren. Jedoch hält der Trend zu Gemeinschaftsbüros weiterhin an. Immer mehr Unternehmen setzen deshalb mittlerweile auf Coworking. Der Begriff kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt "zusammen arbeiten". Dabei arbeiten, wie der Name schon sagt, verschiedene Start-ups, Freiberufler, Kreative, aber auch immer mehr Unternehmen in großen offenen Räumen und teilen sich somit einen gemeinsamen Arbeitsplatz. Der Markt für diese Arbeitsform wächst rasant. Es stellt sich allerdings die Frage, was genau den Unterschied zu einem klassischen Großraumbüro ausmacht.
Was bedeutet Coworking?
Das Konzept der zeitlich begrenzten Büromiete und des Arbeitens in einem gemeinsamen Raum ist vor einigen Jahren aus den USA nach Europa herübergeschwappt. Anstelle eines ganzen Büros wird beim Coworking nur ein einzelner Schreibtisch gemietet. Lange Zeit wurde das flexible Arbeiten als temporärer Trend beschrieben, der bald wieder verschwindet. Die Tendenz zum geteilten Arbeitsplatz hält jedoch an. Inzwischen hat sich Coworking zu einer beliebten Arbeitsform entwickelt. Offenheit, Kollaboration, Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Zugänglichkeit gelten dabei als grundlegende Werte dieses Arbeitens.
Oft wirken sogenannte Coworker unabhängig und frei voneinander an verschiedenen Projekten. Dies geschieht jedoch meist in demselben Raum, wodurch eine positive Beeinflussung ermöglicht wird. So können vielfältige und kreative Ideen entstehen. Nutzer dieser Büroform profitieren vom Know-how der anderen Mieter: Menschen aus unterschiedlichen Bereichen versammeln sich an einem Ort, lernen voneinander, tauschen sich aus oder verwirklichen gemeinsame Projekte.
Neben Arbeitsplätzen bieten die Coworking-Spaces zusätzlich eine gute Ausstattung wie zum Beispiel Besprechungsräume, Drucker oder Beamer und ermöglichen so eigenständiges Arbeiten, ebenso wie die Bildung einer Gemeinschaft. Die Möglichkeit des Büro-Sharings weckt vor allem das Interesse von Freiberuflern oder Start-ups, da sie so effektiver Kosten einsparen können. Beschäftigte zahlen nur die Zeit, die sie auch wirklich im Büro verbringen.
Jedoch zieht Coworking längst nicht mehr nur Freiberufler oder Kreative an - auch große Firmen schicken mittlerweile besonders innovative Abteilungen oder Teams, manchmal auch Projektgruppen in Coworking-Spaces. Zwei Drittel der Arbeitsplätze belegen inzwischen etablierte Unternehmen, wobei die Nachfrage stetig steigt. Die meisten dieser Plätze stechen durch innovatives und ausgefallenes Design und große Räumlichkeiten heraus. Oft erinnern die Büros mit Sesseln, Malereien und Teppichläufern eher an Wohnzimmer statt an das klassische Großraumbüro.
Förderung von Vernetzung und Kreativität
Das Arbeitsmodell ermöglicht es, sich mit anderen über Ideen und Arbeitsweisen auszutauschen und zum Beispiel mit weiteren Start-ups ins Gespräch zu kommen. Dies bietet ein hohes Entwicklungspotenzial sowohl für das Unternehmen als auch für den Coworker persönlich. Ein Arbeiter kann vom Know-how der anderen Mieter profitieren und somit einen produktiven Austausch untereinander und gemeinsame Projekte ermöglichen.
Personen, die diese Arbeitsweise nutzen, berichten von einer entspannten Atmosphäre und einer gesteigerten Motivation und Produktivität. 70 Prozent fühlen sich gesünder als an ihrem vorherigen Arbeitsplatz, ganze 90 Prozent selbstbewusster und 68 Prozent können sich beim Coworking besser konzentrieren. Daraus resultieren wiederum sinkende Projektlaufzeiten, weil sich die Beteiligten in der Fremde besser konzentrieren können als im heimischen Büro.
Außerdem hat der Arbeitnehmer mehr Freiräume: Es gibt keine fixierten Prozessabläufe und hierarchischen Organisationsdiagramme. Ein weiterer Vorteil besteht in der unverbindlichen und zeitlich flexiblen Nutzung der Coworking-Spaces, was zu einer finanziellen Entlastung führt. Wer möchte, kann zwar feste Arbeitsplätze mieten, täglich einen neuen Platz anzumieten ist jedoch ebenso möglich.
Da es meist keine langen Kündigungsfristen gibt, besteht keine langfristige unflexible Bindung an teure Büroräume. Eine Studie, in der 661 Coworker aus 24 Ländern zu den unterschiedlichsten Themen befragt wurden, ergab, dass die meisten der Befragten - 85 Prozent - seit ihrem Wechsel in ein Coworking-Space motivierter sind und sich besser mit anderen Personen austauschen können. Mehr als jeder Zweite plant den Arbeitsalltag besser und kann zu Hause besser entspannen. 42 Prozent der Befragten erzielten zudem ein höheres Einkommen.
Konzept fördert virtuelle Teams
Das Durchschnittsalter der Personen, die diesem Trend folgen, liegt bei 34 Jahren. Dabei arbeitet der Großteil im Bereich Kreativwirtschaft und in den Neuen Medien, jedoch nutzen auch immer mehr Web-Entwickler oder Programmierer dieses Modell, wobei die Grenze hier fließend verläuft. Während der Vorteil dieses Konzepts für Start-ups, Freiberufler und Kreative offensichtlich erscheint, ist nicht immer direkt zu erkennen, worin der Nutzen für große Unternehmen besteht.
Eine Untersuchung von Colliers International zeigt, dass Nutzer von Coworking-Flächen diese vor allem aus Kostengründen mieten. Dabei gaben 44 Prozent an, dass die geringeren Kosten ein ausschlaggebendes Argument bei der Entscheidung für einen Platz im Coworking-Space waren. Oft inklusiv im Preis enthalten: schnelles Internet, Drucker, 24-Stunden-Zugang, Wasser und Kaffee. So können Unternehmen unkompliziert Räume für Projekt-Teams anmieten und langfristige Verpflichtungen vermeiden.
Zudem veranstalten die Betreiber der Coworking-Spaces regelmäßige Events für die Nutzer, wie zum Beispiel Yoga-Workshops, Kochabende oder Java-Schulungen, zur Stärkung der Gemeinschaft und Steigerung der Kreativität und Innovation.
Das Coworking-Konzept ist auch deshalb hilfreich, da es sich heutzutage zur Normalität entwickelt hat, dass große Unternehmen eine Diversität von Standorten aufweisen. Produktion, Distribution und Vertrieb eines Unternehmens befinden sich oftmals an unterschiedlichen Orten, teilweise weltweit verstreut. Um erfolgreich zusammenzuarbeiten, müssen Kompetenzen, Aufgaben und Zuständigkeit geklärt sein. In virtuellen Teams, für die sich diese Coworking-Spaces besonders gut eignen, erscheint es unerlässlich, dass jeder weiß, zu welcher Zeit wer welche Rolle einnimmt. Durch die Fokussierung auf Rollen und der daraus resultierenden Möglichkeit, ohne ungeplante Unterbrechungen zu arbeiten, steigt die Motivation der Mitarbeiter. Das rollenbasierte Arbeiten schafft darüber hinaus mehr Zeit für Freiräume, die die Innovationskraft wiederum stärken.
Coworking - ein Zukunftstrend?
Seit einigen Jahren erfreuen sich Coworking-Spaces auch in Deutschland immer größerer Beliebtheit und sind fast in jeder größeren Stadt zu finden. Eine Auswertung des Immobiliendienstleisters Colliers International zeigt: Der Trend in Deutschland wächst stetig. Allein im vergangenen Jahr haben Anbieter dieses Modells in Städten wie Berlin, München, Hamburg und Köln mehr als 200.000 Quadratmeter angemietet - fünfmal so viel wie im Vorjahr. Und diese Entwicklung dürfte anhalten. Für das Jahr 2020 rechnen Experten sogar mit mehr als 26.000 solcher Arbeitsräume.
Anbieter rechnen zudem mit immer größeren Firmen, die diese Arbeitsplätze nutzen. Die Ergebnisse des 2018er Global Coworking Survey für Deutschland zeigten, dass ein Coworking-Space in Deutschland derzeit durchschnittlich 68 Mitglieder betreut. 71 Prozent der befragten Coworking-Spaces möchten sich im Jahre 2018 erweitern und ein Drittel plant diese Erweiterung innerhalb des bisherigen Standorts.
Ein weiteres Drittel möchte mindestestens einen neuen Standort eröffnen und etwa jeder Zehnte in eine größere Location ziehen.
Aus den Mitgliedern entwickeln sich zudem treue Kunden. Drei Viertel von ihnen denken nicht daran, ihre Bürogemeinschaft zu verlassen. Mit der Länge der Mitgliedschaft steigt daher die Loyalität. Um auf nachhaltige Community-Bildung zu setzen, organisieren die Gründer der Arbeitsplätze mehr Veranstaltungen, da eine gemeinsame Beziehung immer mehr zum Erfolgsfaktor im Geschäftsleben avanciert. Fokussierung auf den Netzwerkgedanken fördert die Bildung, Erhaltung und Nutzung einer globalen Community und trägt zu einer Verbesserung der Arbeitsatmosphäre bei. Durch die Zusammenarbeit können so zum Beispiel auch virtuelle Teams erfolgreicher kooperieren. Unternehmen sind für die Zukunft gewappnet und können nicht nur mit den Veränderungen in der Arbeitswelt Schritt halten, sondern diese zu ihrem Vorteil nutzen.