Buzzword Bingo

Worüber wir statt Digitalisierung sprechen sollten

Kommentar  23.03.2018
Von 
Stefan Fritz ist Senior Vice President im CANCOM-Konzern und Experte für faire digitale Plattformen. Seine Leidenschaft ist die Entwicklung und Umsetzung von As-a-Service-Geschäftsmodellen für die digitale Welt von morgen.
Der Begriff Digitalisierung wird viel zu allgemein verwendet, denn digitale Technologie kann auf so viele verschiedene Aspekte eines Geschäftsmodells wirken.

Digitalisierung ist erst mal nichts anderes als der Einsatz digitaler Technologie. Ohne den Bereich zu verorten, den wir digitalisieren wollen und das Ziel festzulegen das wir damit verfolgen, verlieren wir uns in Phrasen und Allgemeinplätzen. Genau das passiert seit einigen Monaten "da draußen", nachdem die Angstmacher auch den letzten Menschen in unserer Republik mobilisieren konnten, um über Digitalisierung zu sprechen. Der Begriff führt die Hitliste des Buzzword-Bingos an und jeder versteht etwas anderes darunter.

Bestes Beispiel für Business-Tranformation ist die Musikindustrie.
Bestes Beispiel für Business-Tranformation ist die Musikindustrie.
Foto: moxumbic - shutterstock.com

Der Kontext ist wesentlich

Der Einsatz neuer Digitalisierungs-Technologien erfolgt nicht im luftleeren Raum, sondern immer im Kontext eines Geschäftsmodells. Jeder Initiator will mit dem Einsatz einer neuen Technologie etwas erreichen und hat ein Ziel vor Augen. Doch wie schafft man es, in diesem Grundrauschen die richtigen Gesprächspartner für einen realen Austausch zu finden, Kollegen mit auf den Weg zu nehmen oder ganz einfach herauszufinden was einen selbst antreibt? Wir brauchen eine gemeinsame Sprache und müssen ein paar Begriffe klären, um wieder Harmonie in das Stimmengewirr zu bringen.

Digitale Technologie kann auf verschiedene Aspekte eines Geschäftsmodelles wirken:

  • Auf das Produkt selbst,

  • auf den Verkaufsprozess,

  • auf die Distribution, also die Auslieferung des Produktes,

  • auf die Kommunikation über das Produkt

  • und auf die Integration all dieser Aspekte zu einem neuen Service, der den Endkunden oder Benutzern einen ganz neuen Nutzen bringt.

Die verschiedenen Aspekte werden in der Darstellung des Business-Transformations-Radars sichtbar. Je umfassender die Bausteine digitaler Technologien in den verschiedenen Segmenten genutzt werden, desto größer ist die Veränderung für den Endnutzer.

Transformations-Beispiel Musikindustrie

Diese Zusammenhänge möchte ich am Beispiel der Musikindustrie erläutern. Vor noch nicht einmal zwanzig Jahren wurde Musik auf Tonträgern wie CDs als komplettes Album mit 8 bis 20 Musikstücken verkauft. Dann kam das MP3-Format als revolutionäre Technologie, mit der sich der Speicherbedarf eines vierminütigen Songs von unhandlichen 50Mb auf 4Mb reduzieren ließ.

MP3 als Dateiformat ist eine rein technische, digitale Innovation. Und diese hat den Geschäftsmodellen der Musikindustrie erst einmal keinen Mehrwert gebracht, weil diese es nicht zu nutzen wusste. Die Privatanwender hatten diese Technologie jedoch schnell für sich entdeckt. Der Schaden durch Piraterie war erheblich. Denn die vergleichsweise kleinen Dateien ließen sich auch prima über das Internet austauschen. Die Privatanwender haben sich also mit dem Transport über das Internet einen neuen Distributionsweg erschlossen, den die Musikindustrie schlicht nicht bedient hat.

Erst Apple konnte mit iTunes eine neue digitale Innovation erschaffen: einen einfachen Weg, den Verkauf einzelner Musiktitel anstelle von ganzen Alben über das Internet zu organisieren. Dazu hat Apple nicht nur das Produkt selbst - den Song - digitalisiert, sondern auch den Verkauf, die Auslieferung und die Kommunikation rund um das Musikstück. Und diese durchgängige Kette mit stimmiger Oberfläche und einfacher Bedienung hat dem iPhone-Unternehmen bekanntlich riesigen wirtschaftlichen Erfolg beschert.

In der (bislang) letzten Stufe der Digitalisierung der Musikindustrie haben dann Spotify und andere Streaming-Anbieter aus dem Musikhören ein Service-Geschäft gemacht und den Reifegrad des Business-Modells auf die Ebene der digitalen Plattformen gehoben. Damit ist die Branche nun vollständig digitalisiert und transformiert - in allen fünf Segmenten und auf dem höchsten Grad: der Plattform-Ökonomie.

Foto: synaix

Welches und wie viele Segmente will ich digitalisieren?

Vorab sollten Sie sich entscheiden, ob eine digitale Innovation für ein oder mehrere der Segmente Produkt, Auslieferung, Verkauf, Kommunikation und Integrations-Services umgesetzt, oder ob das Geschäftsmodell an sich digitalisiert werden soll. Aus dieser Grundsatzentscheidung leiten sich schnell notwendige Aktivitäten und Wirkungsziele ab.

Die Königsdisziplin für den Digitalisierungs-Initiator ist es, sich in diesem Betrachtungsgefüge an die digitalen as-a-Service- oder Plattform-Geschäftsmodelle heranzuwagen. Diese Einordnung könnte das Finden einer gemeinsamen Gesprächsbasis in der Diskussion um digitale Innovation und digitale Geschäftsmodelle künftig vereinfachen. (fm)