Mit Quantencomputing soll nicht weniger als ein neues industrielles Standbein bei Hard- und Software entstehen. Die Regierung setzt auf Exzellenzforschung, Transfer in die Produktentwicklung, Förderung von Unternehmens- und Start-up-Gründungen und neue Spitzencluster aus Wissenschaft und Industrie. Auch sollen Aufträge für den Bau von mindestens zwei Quantencomputern vergeben werden. Was also passiert aktuell in der neuen Quantenwelt?
Quanten-Wettlauf Made in Germany
In Niedersachsen bauen 400 Wissenschaftler an einem Quantencomputer. Im neuen Forschungsverbund „Quantum Valley Lower Saxony“ (QVLS) arbeiten die verschiedensten Universitäten, Institute und Konzerne zusammen. Ziel ist es, bis 2025 einen Quantencomputer auf Basis der Ionenfallen-Technologie zu entwickeln. Bislang seien mehr als 220 Millionen Euro in die Quantenforschung geflossen, damit sei die niedersächsische Quantenforschung auf Spitzenniveau, so der Lenkungskreis von QVLS. Zukünftig werden das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Volkswagen-Stiftung das Projekt mit Mitteln aus dem „Niedersächsischen Vorab“ fördern. Gleichzeitig bewirbt sich das Bündnis um zusätzliche Gelder aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung und den staatlichen Förderprogrammen für Quantentechnologien.
An der Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig wird bereits an einem Ionenfallen-Quantencomputer gearbeitet. Die Ionenfallen-Technologie gilt als ein Ansatz, um skalierbare Quantencomputer zu entwickeln. Physiker der Universität Innsbruck arbeiten derzeit mit dem leistungsfähigsten Ionenfallen-Quantencomputer mit zwanzig Qubits (wenn man so will - das quantenmechanische Pendant zum digitalen Bit). Drei Wege führen derzeit in die Zukunft: Bei einzelnen Ionen oder Atomen wird mit Laserlicht gearbeitet. IBM setzt auf supraleitende Qubits und Radiofrequenzwellen. Ein weiterer Zugang funktioniert über Halbleiter-Qubits, defekte, dotierte Atome zum Beispiel in Silizium, über Radiofrequenz oder elektrische Spannung. Die aktuell größten Quantenrechner mit 54 und 64 Quantenbits betreiben eigenen Aussagen zufolge IBM und Google. Diese Systeme funktionieren mit Qubits in Form von tiefgekühlten Mikrowellenresonatoren und sollen auf mehr als hundert Qubits erweitert werden. Die Resonatoren lesen die Qubits aus und dienen zur Manipulation der Qubits. Die Qubits selbst bestehen aus Tunnelkontakten und supraleitenden Mikrostrukturen.
Warten auf den Quantensprung
An vielen Orten Deutschlands arbeitet man an leistungsfähigen Quantencomputern. Auch im IBM-Rechenzentrum bei Stuttgart wird aktuell ein Mega-Rechner, der „IBM Q System One“, installiert, den das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik verwaltet. Ziel des Großforschungsprojektes ist es, Quantencomputing für industrielle Anwendungen in vielen Branchen nutzbar zu machen. Ab Anfang 2021 soll das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF einer der ersten Nutzer sein. Auch am Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen wird an Superrechnern gearbeitet. „OpenSuperQ“ soll final über 100 Quantenbits verfügen. Das System beruht wie der Rechner von IBM auf supraleitenden Resonator-Schaltkreisen. Gedacht ist „OpenSuperQ“ vor allem für die Simulation chemischer Reaktionen und physikalischer Vorgänge in Festkörpern sowie die Optimierung von Materialeigenschaften, soll aber auch das maschinelle Lernen und damit die Künstliche Intelligenz voranbringen.
An Quantencomputern - finanziert durch öffentliche und private Investoren - arbeiten alle Industrienationen, vor allem China, USA, Kanada und die Europäische Union. China soll zehn Milliarden US-Dollar investiert haben, die USA etwa 1,3, und Europa etwa eine Milliarde amerikanische Dollar. Das Problem in Europa: Die Forschung findet in zahlreichen kleinen Zentren statt – während andere Nationen große Exzellenzzentren aufgebaut haben. Trotz des europäischen Förderprogramms Quantum Flagship – immerhin mit einer Milliarde für zehn Jahre ausgestattet – kann Europa die Grundlagenforschung weniger effektiv kommerziell umsetzen.
Quantencomputer unterstützen in Zukunft vielseitig. Sie könnten die Analyse von Optimierungsproblemen beschleunigen und dabei viele Variablen jonglieren, um ein bestimmtes Ergebnis zu maximieren. Quantencomputer dürften vieles ermöglichen. Doch noch gibt es keine großen und stabilen Rechner. Aber die kleineren könnten schon bald wirtschaftliche Bedeutung erhalten. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group erwartet, dass Quantencomputer das Betriebsergebnis ihrer Benutzer bis 2050 um 450 bis 850 Milliarden US-Dollar pro Jahr verbessern.
Spannend bleibt die Frage, wann Quantencomputing einsatzbereit ist. Start könnte schon 2022 sein, erste Optimierungsanforderungen könnten hybrid gestartet werden – teils klassisch durch Computer, teils durch Quantencomputer. Bis Mitte der 2020er-Jahre ist davon auszugehen, dass ein signifikanter Wert aus der Quantentechnik generiert wird. Bis 2030 dürften einige Tausend Quantencomputer in Betrieb sein.
Wertschöpfung durch ML & Quanteninternet
Maschinelles Lernen (ML) soll die Schlüsseltechnologie für kognitive Systeme auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) werden. Viele Branchen werden von ML- und KI-Technologien transformiert: von der Güterproduktion über die Logistik bis zur Medizintechnik. Die Studie „Maschinelles Lernen – Kompetenzen, Forschung, Anwendung“ der Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), zeigt, wie Quantencomputer Verfahren des Maschinellen Lernens beschleunigen. Im Quantencomputing steckt demnach das Potenzial, die prinzipiellen Beschränkungen klassischer Computer zu überwinden. Bislang ertreckten sich die Forschungen jedoch auf theoretische Konzepte. Doch schon bald würden ML-Algorithmen auf realen Quantencomputern angewandt, heißt es in der Studie. Verfahren des Maschinellen Lernens lassen sich für Quantencomputer so anpassen, dass sie mehrere Lösungswege gleichzeitig beschreiten. Beispiele in der Studie zeigen, wie Quantenalgorithmen für das Durchsuchen großer Datenbanken, das Lösen komplexer Gleichungssysteme oder kombinatorischer Optimierungsprobleme genutzt werden.
Die Studie stellt auch erste konkrete Anwendungsgebiete vor. Beispielsweise Einblicke in komplexe Systeme wie Moleküle. Denkbar sind neue Produktionsverfahren für die chemische Industrie, die Medikamentenentwicklung oder gezielte Materialentwicklung in den Ingenieurwissenschaften. Optimierungen in Logistik, Finanzwirtschaft und Telekommunikationsnetzen sind weiter Einsatzszenarien - vor allem auch der Einsatz bei Kryptographie und verschlüsselter Kommunikation. Quantencomputer sind denkbar für Aufgabenstellungen, die mit Wahrscheinlichkeiten zu tun haben: Klimasimulationen, Simulation von genetischen Prozessen, Elementarteilchen oder künstlicher Intelligenz. Zur Funktionsweise von Quantencomputer lesen Sie hier weiter.
Quantencomputer könnten dazu beitragen, dass sich aus dem heutigen Internet ein Quanteninternet entwickelt. Dabei bedroht die enorme Rechenleistung der Quantencomputer die klassische Verschlüsselungstechnik im Netz. Eine im Fachmagazin Science Advances veröffentlichte Studie einer Forschungsgruppe mit Informatikern und Physikern um Siddarth Joshi an der Universität Bristol zeigt, wie mit einer neuen Technik das Internet deutlich sicherer gemacht werden kann: Es gelang, ein abhörsicheres Quantennetzwerk mit acht Teilnehmern einzurichten. Dabei sorgen Signale in verschiedenen Farben für Sicherheit und halten die Kosten gering. Quantenkommunikation verspricht nahezu hundertprozentige Sicherheit. Sie beruht auf dem Prinzip der Quantenverschränkung, einem Phänomen, das Albert Einstein als "spukhafte Fernwirkung" bezeichnet haben soll. Wie von Geisterhand nehmen dabei zwei voneinander entfernte Lichtteilchen gleichzeitig einen korrespondierenden Zustand an.
Für ihre Forschungen nutzt die Gruppe an der Universität Bristol das Glasfasernetz rund um die Universität - die Quantenkommunikation soll unter realen Bedingungen über bis zu 17 Kilometer Entfernung funktioniert haben.
Was ist zu tun?
Während sich die technologischen Fähigkeiten noch weiterentwickeln, gibt es wichtige Schritte, die parallel dazu unternommen werden können, um sich als Anwenderunternehmen für die Zukunft zu positionieren:
Aufbau von entsprechendem Talent.
Gründung einer eigenen Organisationseinheit, die sich mit dem Thema beschäftigt.
Darauf aufbauend die Entwicklung eines Organisationsplans und einer Strategie für Technologiepartnerschaften im Umfeld der Quantentechnologie.
Evaluierung möglicher Anwendungsfälle.
Entwicklung oder Teilnahme an Prototypen.
Ob, wann und wie Quantencomputer Einzug in unseren Alltag erlangen, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Das Potenzial ist aber enorm, weshalb sich Unternehmen frühzeitig mit dem Thema auseinandersetzen sollten. (hi)