Chancen in Fernost

Wo bleibt Chinas SaaS-Markt?

19.02.2021
Von 
Sascha Kurfiss leitete bis 2018 das Büro der deutschen Brand-Experience Agentur Avantgarde in Shanghai und kreierte individuelle Markenerlebnisse für multinationale Kunden in China. Davor war er sieben Jahre bei der Werbeagentur Jung von Matt, zunächst von Hamburg später von Peking und Shanghai aus, und er arbeitete für Kunden wie Mercedes-Benz, RWE, Carlsberg und Henkel. Heute ist er Partner der Unternehmensberatung XQ Digital, bei der er den Bereich Marketing-Technologien leitet. Zudem organisierte er Innovationsreisen für Führungskräfte nach China.
In China gibt es kaum vergleichbar große SaaS-Akteure wie im Westen. Warum ist das so und ergibt sich daraus eine Chance für europäische Anbieter?
Tencent ist neben Alibaba einer der führenden Cloud-Dienstleister in China und gehört damit auch zu den fünf größten Anbietern weltweit.
Tencent ist neben Alibaba einer der führenden Cloud-Dienstleister in China und gehört damit auch zu den fünf größten Anbietern weltweit.
Foto: katjen - shutterstock.com

Während wir im Westen bereits einen großen Markt mit Key Playern wie Salesforce, Adobe, SAP, Dropbox, Atlassian und vielen mehr haben, gibt es in China bisher kaum vergleichbar große SaaS-Akteure.

Der SaaS-Markt im Reich der Mitte

Schauen wir nach China dann sehen wir bisher hauptsächlich Tencent und Alibaba als Infrastructure as a Service (IaaS)-Anbieter. Gartner zufolge zählen Tencent und Alibaba zusammen mit Amazon, Microsoft und Google zu den "Top Five" im IaaS Markt. In 2019 waren sie damit zusammen für zwölf Prozent des weltweiten Umsatzes verantwortlich, was viel ist, wenn man bedenkt das Amazon mit AWS alleine für 45 Prozent des weltweiten Umsatzes verantwortlich ist und sich alle anderen die restlichen 55 Prozent teilen müssen. So kann Microsoft auf dem zweiten Platz nur 18 Prozent aufweisen.

Im Westen haben die gerade erwähnten Anbieter ihre Position genutzt und sind als "enabler" für SaaS-Modelle basierend auf ihrer eigenen IaaS-Platform aufgetreten. Zum Beispiel Adobe, für den Aufbau seiner Creative- Cloud-Produkte kamen 2011 zuerst massiv Dienste von AWS zum Einsatz, bevor der Umzug zu Microsoft Azure erfolgte. In China sind aber noch keine wirklich großen und dominanten Player zu sehen, die ihre Produkte in Services wandeln. Die für ein SaaS-Angebot typischen Kombinationen aus Software inklusive Hostings und einem Abrechnungsmodell, das sich auf die Nutzung der Software bezieht, wie Anzahl Nutzer oder verwaltete Datensätze, fehlen fast vollständig. Einige spannende Kandidaten wie Kingdee, Yonyou oder Beisen gibt es natürlich, aber es bleibt abzuwarten wie sich diese entwickeln werden.

Gefühlt gibt es zwar ein paar erwähnenswerte SaaS-Unternehmen, diese sind allerdings alle innerhalb der zwei Megakonzerne Alibaba und Tencent angesiedelt. Z.B. Aliyun (Alicloud) ist neben den anderen Cloud-Playern wie Tencent und JD ein Platform-as-a-Service-Anbieter, ähnlich wie Amazon Web Services: Die angebotenen Dienste wiederum sind primär dazu gedacht das andere Unternehmen ihre SaaS-Anwendungen darauf aufbauen. Damit sind diese Firmen zwar die erwähnten Enabler für ein SaaS-Geschäft, aber eben selbst keine SaaS-Anbieter. Firmen wie Adobe, die ihr Kerngeschäft komplett zu einem SaaS-Angebot umgebaut haben.

Lesetipp: Cloud-Anbieter im Vergleich - Worin sich AWS, Azure, Google & Co. unterscheiden

Die Geschichte der SaaS-Anbieter in China

Historisch gesehen haben billige Arbeitskräfte in China dazu geführt, dass die manuelle Ausführung der meisten Aufgaben immer noch kosteneffizient ist. Dadurch ist der Vorteil von (Teil)-Automatisierung durch Software relativ gering. Für chinesische KMU, die etwa 60 Prozent des chinesischen BIP für die Produktion ausmachen, ist die Einführung von Software oder SaaS-Produkten somit keine intuitive Entscheidung in Bezug auf Kostenreduktion. Zudem hat die weitverbreitete Software-Piraterie dazu beigetragen dass viele Unternehmen den Nutzen von Software nicht sehen und schon gar keine Lust haben dafür zu bezahlen.

Diese Denkweise macht die Einführung von SaaS-Angeboten in China besonders schwierig. Gut kapitalisierte mittelständische Unternehmen sind traditionell der Ausgangspunkt für SaaS-Unternehmen, um sich eine Kundenbasis aufzubauen. Sowohl in den USA als auch in Europa. Im Vergleich haben chinesische KMUs meist weniger Rücklagen und verfügen nicht über ausreichend Free Cashflow, um in systematische Upgrades ihrer Software bzw. in Saas-Dienste zu investieren. Ohne diese wichtige Zielgruppe müssen chinesische SaaS-Unternehmen sofort versuchen, sich an große Unternehmenskunden zu wenden. Da nur diese in der Lage sind die Investitionen zu tätigen und die Kostenvorteile kurzfristig zu realisieren oder sich wegen ihrer internationalen Aktivitäten auch keine illegale Software mehr leisten können oder zertifizierte Unternehmensprozesse nachweisen müssen.

Die chinesische Business IT

Nur zur Klarstellung: Grundsätzlich ist es für chinesische Unternehmen natürlich kein Problem, für Softwareprodukte auch zu bezahlen. Allerdings steht der Sektor anscheinend generell vor Problemen bei der Einführung von Cloud-basierten Services. Dies liegt zum großen Teil - gerade bei den mittelständischen Unternehmen - an dem recht geringen Einsatz von IT in den Geschäftsabläufen und Prozessen jeder Art. Hier müssten bei einer Migration in die Cloud die Prozesse oftmals nicht nur migriert, sondern überhaupt erst einmal eingeführt und gelebt werden.

Das Verkaufsargument mit den Dienstleistungen die IT-Kosten zu senken zieht deshalb nicht so stark wie in westlichen Märkten und Einsparungen werden erst viel später realisiert. Dazu kommen die auch bei uns üblichen Bedenken hinsichtlich der Stabilität und Sicherheit einer Public Cloud, so dass in China viele - hier vor allem die großen Unternehmen - zu einer privaten Cloud oder eine hybriden Cloud-Bereitstellung greifen.

Lesetipp: IaaS-Security - Sieben Maßnahmen für bessere Cloud-Sicherheit

Ein weiteres Hindernis sind die oft sehr individuellen und verwirrenden Unternehmensstrukturen und Abläufe in chinesischen Firmen. Das macht jede Produktanpassung zu einem hochkomplexen und zeitaufwändigen Projekt, bei der eine Wiederverwendung der Anpassungen bei anderen Kunden kaum möglich ist. Dies wiederum behindert die breite Einführung von kostengünstigen SaaS-Diensten, die normalerweise erst in Multitenant-Umgebungen günstig und skalierbar bereitgestellt werden können.

Ein Teufelskreis der für junge SaaS-Startups nur schwer zu durchbrechen ist. Generell besteht bei SaaS-Startups daher das typische Dilemma zwischen der Anpassung zur Erzielung tatsächlicher Einnahmen mit wenigen großen Kunden oder der Konzentration auf Funktionen, die allgemein Jeder nutzen kann. China entpuppt sich durch die vorgenannten Gründe als ein echter Extremfall bei der breiten Einführung von SaaS-Diensten.

Die SaaS-Märkte im Vergleich

Trotz all dieser Komplexitäten sehen wir hier einen SaaS Markt in der Anfangsphase. Mit seinem üblichen Mangel an Talenten zur Skalierung, allgemeinem Misstrauen gegenüber öffentlichen Cloud-Anbietern und den üblichen Problemen, die eine IT-Migration immer mit sich bringt.

Auch zahlenmäßig steht der chinesische SaaS-Markt gerade am Anfang. Der Gesamtumfang des chinesischen SaaS-Marktes im Jahr 2019 betrug trotz eines hohen Wachstums zum Vorjahr von 42% nur 5,5 Milliarden US-Dollar. Damit wächst der Markt laut Tech In China zwar deutlich schneller als der Weltmarkt, aber im Vergleich zu den weltweit umgesetzten 104 Milliarden US-Dollar (Gartner) entspricht das nur fünf Prozent.

Um festzustellen ob dies nur eine unterdurchschnittliche Perfomance des SaaS-Marktes ist oder dies zur allgemeinen Entwicklung des-Cloud Geschäfts in China passt, können ein paar einfache Hilfsgrößen genutzt werden. So beträgt das Verhältnis zwischen dem chinesischen und dem weltweit erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt (BIP) etwa 16 Prozent. Dies ist auch ziemlich genau das Verhältnis des chinesischen IaaS-Markts zu den weltweit erzielten Umsätzen mit IaaS-Dienstleistungen. Es scheint also zulässig die weltweit erhobenen Zahlen für Cloud-Dienste mit denen des chinesischen Markts zu vergleichen. Dabei stellt man dann fest das der SaaS-Markt im Vergleich zu den anderen Cloud-Diensten bisher deutlich schlechter entwickelt ist und es noch ein sehr großes Potenzial nach oben gibt. Die notwendigen Vorrausetzungen für SaaS-Dienstleistungen in Form von IaaS-Kapazitäten im Markt sind auf jeden Fall vorhanden.

Zu dieser Einsicht ist auch das Alibaba Cloud Research Center gekommen. Hier wurde schon 2019 auf die Ungleichheit zwischen der Anzahl der Firmen in China und der USA und deren SaaS-Umsätzen hingewiesen. So hat China nach dem Report von Alibaba zwar drei Mal mehr Firmen wie die USA aufzuweisen, erreicht im Vergleich aber trotzdem nur 24 Prozent des Umsatzes mit SaaS-Dienstleistungen.

Chancen für westliche SaaS Unternehmen

In China bietet SaaS langfristig eine große Chance, denn auch im Reich der Mitte wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kleiner, im Vergleich zur Bevölkerung, die nicht arbeitet. Diese Tatsache führt zu steigenden Arbeitskosten. Zudem ist der Markt noch sehr fragmentiert. So weisen die Top 10 der Firmen welche SaaS in China anbieten zusammen nur etwa 30 Prozent des Umsatzes aus. Dies beinhaltet selbst die großen ausländischen Akteure wie Microsoft, SAP oder Salesforce, die dem einzigen erwähnenswerten Marktführer aus China, Kingdee, allesamt dicht auf den Fersen sind. Der Markt ist demnach jung und eine Konsolidierung wird noch etwas auf sich warten lassen. Das eröffnet Chancen für kleine, auch ausländische, Unternehmen mit einem hochwertigen Produkt und einer effizienten Strategie.

Allerdings schließt sich das Zeitfenster für den Markteintritt bedingt durch COVID-19 schneller. Die damit verbundene Einführung von Cloud- und Remote-Arbeit hat die Entwicklung beschleunigt und auch die chinesische Regierung hat erkannt, dass der SaaS-Markt in China hinterherhinkt. Es ist abzusehen das die staatlichen Zielvorgaben diesbezüglich schnell angepasst werden. Denn um das Wirtschaftswachstum im Zusammenhang mit Daten und Technologie konstant höher als im Westen zu halten, spielen auch SaaS-Dienste eine immer zentralere Rolle. Staatliche Fördermaßnahmen dürften also bald kommen. Damit eröffnen sich auch für westliche Firmen, bis zu einem gewissen Punkt, Chancen in den SaaS-Markt einzusteigen.

Schlussfolgerung

Für westliche Unternehmen bietet sich durch die außergewöhnliche Situation eine interessante Option in den chinesischen Markt einzutreten. Durch die komplexen Prozesse und rückständigen IT-Infrastrukturen in den mittelständischen Unternehmen besteht die Möglichkeit, sehr schnell, einfache und in ihrer Funktionalität gegenüber den westlichen Pendants reduzierte SaaS-Angebote an den Start zu bringen.

Sobald es gelungen ist damit in ersten relevanten Branchen Fuß zu fassen, arbeitet man mit einem lokalen Entwicklerteam weiter daran, das Produkt in der für China typischen Hypergeschwindigkeit zu lokalisieren. Passende westliche Ausbaustufen werden je nach Bedarf und Marktgegebenheiten nachgeschoben. (bw)