Die Revolution fiel aus. "Automobilhersteller haben schon vor sechs, sieben Jahren angefangen, SIM-Karten einzubauen. Das war doch der Startpunkt vom Internet of Things - und keiner hat's gemerkt!" Abgeklärte Worte von Manfred Opificius. Der Country Manager Germany bei Juniper Networks ist einer von zehn Teilnehmern einer Diskussionsrunde der COMPUTERWOCHE. Thema ist das Internet der Dinge (IoT) in Deutschland.
Mit seinen Worten trifft Opificius bei Sascha Scholing, Regional Director Enterprise CEMEA von Cloudera, einen Nerv. "Sie reden von Autobauern, das sind ja auch die Good Guys", seufzt Scholling. Er hat viel mit Versicherungen zu tun und weiß: "Es gibt keine einzige Versicherung, die darüber nachdenkt, wie sie diese Daten nutzbar machen könnte." Da hakt Torsten Straus, Business Development IoT bei SAP, ein: "Die Automobilbauer wollen ja auch nicht, dass die Versicherer die Daten bekommen. Wem gehören die Daten?"
Die IoT-Innovatoren
Und damit ist die Diskussion im Zentrum angekommen. Da sind einerseits innovationsfreundliche Branchen wie eben Automotive und Maschinenbau. Sie orientieren sich an Beispielen wie Rolls Royce: Der Hersteller von Flugzeugtriebwerken vernetzt seine Produkte so, dass der Kunde nicht mehr die Turbine kauft, sondern nur noch für deren Gebrauch zahlt. Solchen Fällen stehen aber konservative Zweige wie Banken/Versicherungen oder Energieversorger gegenüber. Alle gemeinsam haben Hemmnisse zu überwinden, und diese reichen von Rechtlichem wie dem Datenschutz bis zu Technologischem wie Datensilos und Legacys.
Boubacar Traoré, Delivery Manager Digital bei Capgemini, systematisiert den Status Quo des IoT anhand von drei Wirkbereichen. Der erste bezieht sich auf die Erweiterung von Produkten und neue Dienstleistungen, die dem Kunden angeboten werden. Beim zweiten geht es darum, operative Prozesse effizienter zu gestalten, also etwa Reibungsverluste zu beseitigen, Zeit zu sparen, Assets zu flexibilisieren. Der dritte schließlich beschäftigt sich mit Customer Experience. Das IoT ermöglicht es, die Interaktion mit Kunden neu zu gestalten und mehr über das Nutzungsverhalten zu erfahren. Je mehr ein Unternehmen über seine Kunden weiß, umso mehr Möglichkeiten gewinnt es, ihre Bedürfnisse zu bedienen und die Kunden zu binden.
Unternehmen müssen aufräumen
Dafür aber muss ein Unternehmen seinen "Ballast" in Form von Legacy-Systemen und Daten-Silos angehen, weiß Tom Becker, Senior Director DACH von Alteryx: "Die Unternehmen müssen aufräumen - und sie sollten wissen, wie ,aufgeräumt' der Wettbewerb ist."
Wie gelingt es Unternehmen nun, vor diesem Hintergrund neue Geschäftsmodelle zu entwickeln? Für Traoré muss ein Unternehmen mehrere Ebenen durchlaufen. Zunächst einmal muss die Erweiterung des Produktes an sich dem Nutzer bereits einen echten Mehrwert bieten, wie es das vernetzte Auto eben tut. Auf der zweiten Ebene geht es darum, ein Ökosystem von Produkten zu verknüpfen, um dadurch Produktgrenzen neu zu definieren und ganz neue Vorteile für den Nutzer zu schaffen. Als Beispiel dafür nennt er Apple. Die dritte Ebene baut auf den gesammelten Daten auf, die "eine neue Welt von Services" eröffnet. Traorés Rat: "Jeder Business Case sollte diese drei Stufen durchlaufen."
Neue Partnerschaften gefragt
Dieses Modell erfordert neue Allianzen und Partnerschaften, wie Karsten Pohnke, Digital Business Consultant bei Arvato Systems, anfügt. "Das vernetzte Auto muss dann auch mit dem Parkhaus und mit Verkehrsleitsystemen kommunizieren können. Bisher kann es das nicht." Genau dieses Inseldenken ist es, dass neue Business-Modelle hemmt. Für SAP-Manager Straus ist denn auch klar: "Wirkliche Innovationen finden erst branchenübergreifend statt!"
Unabhängig vom konkreten Business-Modell stellt sich in jedem Falle die Frage, welche Rolle die IT beziehungsweise der IT-Entscheider dabei spielt. "Das hängt davon ab, welche Rolle das Unternehmen der IT zuweist", sagt Michael Hanisch von Amazon Web Services (AWS). Beispiel Automobilzulieferer: Beschränkt sich ein solcher Betrieb nicht mehr nur auf das simple Liefern von Teilen, sondern erhebt auch Daten darüber, wie sein Kunde diese Teile verwendet, steigt die Bedeutung der IT.
Andererseits kennt Cloudera-Mann Scholing auch Unternehmen, in denen die IT noch damit beschäftigt ist, Silos zu beseitigen. Den Fachbereichen geht dann alles zu langsam, beobachtet er. Da hakt Lars Stuke ein, Head of Sales DACH bei Cumulocity: "Die kommen dann zu uns und sagen: Wir sind so froh, dass wir euch haben und uns nicht mit der internen IT auseinandersetzen müssen!" Allgemeines Gelächter in der Runde. Stuke stellt aber klar: "Im Maschinenbau zum Beispiel fangen die ersten Unternehmen ja schon damit an, eigene IoT-Abteilungen zu gründen. Die Maschinenbauer werden sich in Zukunft verstärkt auf digitale Innovationen konzentrieren." Weil die Unternehmen mittlerweile erkennen, dass der Unternehmenswert künftig auch von ihrem Digitalisierungsgrad abhängt.
Dann stellt Jürgen Böhm, CIO bei 7BC, eine Grundsatzfrage: "Wie weit wollen wir denken? Definieren wir die Assistenz-Systeme im vernetzten Auto als kleinen Schritt? Und das selbstfahrende Auto als großen?" Er ist jedenfalls davon überzeugt, dass die Zukunft "keine Halbheiten" sehen wird. Die vernetzte Fabrik wird komplett automatisiert und digitalisiert sein, samt Kameras und Robotern, ist Böhm überzeugt. Seine These: "Wir werden keine hybriden Modelle mehr sehen. Alles wird in die Public Cloud wandern!"
Das kann wiederum Thomas Hahn, Chief Expert Software bei Siemens, so nicht stehen lassen. "Ich glaube nicht, dass alles in die Public Cloud geht. Entscheidend sind doch die Rahmenbedingungen beziehungsweise der jeweilige Anwendungsfall. Und nicht zuletzt hängt es natürlich auch vom Geschäftsmodell eines Unternehmens ab, das sich wiederum am konkreten Kundennutzen orientiert. Wenn der Kunde etwas davon hat", so Hahn, "wird er seine Daten auch zur Verfügung stellen, selbstverständlich nur dann, wenn Integrität und Eigentum garantiert sind."
Der gläserne Mensch kommt - aber anonym
Damit streift Hahn den gesellschaftspolitischen Aspekt des Internet of Things. 7BC-Mann Böhm entwirft ein Zukunftsszenario: "Den gläserne Menschen wird es geben. Und ich möchte, dass er dann anonymisiert ist!" Genau diese Seite des Themas blenden viele Gesellschaften erst einmal aus, beobachtet Alteryx-Manager Becker. "Deshalb hinken wir in Deutschland - technologisch gesehen - möglicherweise ein bisschen hinter den Amerikanern her." Nichtsdestoweniger pocht auch er auf Datenschutz und Privatsphäre.
Capgemini-Manager Traoré sinniert: "Wir werden noch eine ganze Weile um den richtigen Weg ringen." Und möglicherweise Entscheidungen treffen, über die kommende Generationen lachen. Böhm zitiert ein Gesetz aus den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts, demzufolge kein Auto schneller fahren durfte als eine Pferdekutsche. Da muss Traoré ein wenig lächeln: "Ich fühle mich heute von der Einparkhilfe meines Autos entmündigt! Dass es ohne nicht mehr geht, stelle ich immer dann fest, wenn ich mit einem Mietwagen ohne Einparkhilfe fahren muss… Und dies ist nichts im Vergleich zu den Änderungen, die das IoT für die künftige Nutzung von Produkten mit sich bringt."
Zum Thema IoT führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie deutsche Manager das Thema IoT in ihren Unternehmen angehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Franziska Kaufmann (fkaufmann@idg.de, Telefon: 089 36086 882) gerne weiter. Informationen zur IoT-Studie finden Sie auch hier zum Download.