CW: 2001 besuchten sage und schreibe 830.000 Menschen die CeBIT, über 7.500 Aussteller waren vor Ort. Jetzt liegen die Besucherzahlen - im Vergleich zum Allzeithoch - nur mehr bei einem Viertel dieses Werts, die Zahl der Aussteller hat sich fast halbiert.
Oliver Frese: Das liegt 14 Jahre zurück - und ich denke, wer nach so langer Zeit in der IT-Branche die nackten Zahlen nebeneinanderlegt, blendet gravierende Verschiebungen in der gesamten IT-Welt aus. Das wäre etwa so, als würden Sie einen VW Golf von damals mit einem aktuellen Modell vergleichen und sagen, der alte ist ja technisch nicht so gut ausgestattet. Vor 15 Jahren gab es weder Google noch Facebook. Andererseits sind eine ganze Reihe Player von damals in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, haben fusioniert oder existieren nicht mehr. Ich denke, mit unserer neuen Positionierung im vergangenen Jahr können wir mit Recht sagen: Die neue Zeitrechnung der CeBIT beginnt 2014. Mit der Ausrichtung konsequent auf das Business tragen wir der Marktentwicklung Rechnung. Das trägt dieses Jahr schon Früchte. Wir haben mehr Aussteller und Ausstellungsfläche als 2014. Erstmals seit zehn Jahren werden wir wieder wachsen.
Die Cebit und ihre Geschichte(n)
CW: Sie sagen: CeBIT ist gleich Business. Das war in der Vergangenheit auch schon anders. Da wurden Privatkonsumenten durch Gaming-Hallen, Musikbühnen und Entertainment-Angebote angelockt. Wird es jetzt bei der ausschließlichen Hinwendung zu den Geschäftskunden bleiben?
Oliver Frese: Wir richten uns konsequent auf Unternehmen aus. Im Internet der Dinge werden über 90 Prozent der Umsätze zwischen Unternehmen erwirtschaftet. Deshalb orientieren wir die CeBIT unter dem diesjährigen Topthema "d!conomy" auch konsequent auf das Internet der Dinge aus. Denn dort steckt für Unternehmen auch künftig das Potenzial für Wachstum und Margen. Mit diesem Profil ist die CeBIT einzigartig, weil wir in Hannover die gesamte digitale Wertschöpfungskette des Internets der Dinge abbilden, eben nicht nur einen Ausschnitt. Es reicht bei uns von der Datenentstehung über den Transport über die Netzwerke und Big Data Analytics bis hin zum hoch performanten Rechenzentrum.
Andere Veranstaltungen zeigen nur ein Endprodukt. Das ist vielleicht bunter und lauter, aber entscheidend ist doch vielmehr, das Internet der Dinge auszurüsten und seine Potenziale zu verstehen. Deshalb zeigen angestammte Aussteller wie Microsoft, IBM, SAP, Samsung, Vodafone oder die Deutsche Telekom eine solch eindrucksvolle Präsenz auf der CeBIT. Andere Konzerne wie Huawei, ZTE oder Hewlett-Packard bauen ihre Präsenz aus. Daneben kommen Firmen, die schon teilweise lange nicht mehr auf der CeBIT waren, wie etwa Konica Minolta, Alcatel-Lucent, Schneider Electric oder Rittal, zurück. Sie alle sind überzeugt von der klaren Ausrichtung auf Business-Kunden.
CW: Den Deutschen werden ja gerne Technologiefeindlichkeit, Bedenkenträgerei und Sicherheitswahn unterstellt - übrigens gern auch von deutschen Kritikern. Wie sehen Sie als Industriebeobachter diese Assoziationen?
Oliver Frese: Deutschland ist definitiv nicht technologiefeindlich. Im Maschinen- und Anlagenbau oder in der Elektroindustrie ist Deutschland weltweit führend. Da gibt es eine große Innovationsfreude. Etwas mutiger könnten wir sein, wenn es um das unternehmerische Risiko geht. Wer mit seinem Start-up Erfolg haben und etwas aufbauen möchte, braucht eine gewisse Risikobereitschaft. Da herrscht an anderen Plätzen der Welt - natürlich vor allem im Silicon Valley - eine andere Gründerkultur. Da ist es aber auch viel einfacher, an Kapital zu kommen.
Das ändert sich in Deutschland aber mittlerweile. Das wird man auch auf dieser CeBIT sehen. Nehmen Sie CODE_n in Halle 16. Da präsentieren sich lauter junge Menschen - übrigens mehr als die Hälfte aus Deutschland -, die bereit sind, etwas zu wagen. Oder auch unser neues Angebot SCALE 11, in dessen Rahmen wir das gesamte Ökosystem rund um junge und innovative Unternehmen abbilden.
CW: Wie sehen Sie die Fortschritte in Sachen Digitalisierung und Internet der Dinge? Ist der Mittelstand entschlossen genug, die Herausforderungen anzunehmen?
Oliver Frese: Der deutsche Mittelstand ist bisweilen noch zurückhaltend, wenn es gilt, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Aus meiner Sicht sagen noch zu viele, das hat mit meinem Geschäft nichts zu tun. Das ist gefährlich, denn es ist zwingend nötig, sich neu aufzustellen. Jeder muss sich fragen, ob sein Geschäftsmodell und seine Wertschöpfungsketten angesichts der Digitalisierung auch morgen noch tragfähig sind. Der deutsche Mittelstand ist ja weltweit bekannt als Träger von Innovationen und als Arbeitsplatzmotor. Um diese Stellung zu behalten, müssen kleine und mittlere Betriebe auf den Pfad der Digitalisierung einschwenken - auch in solchen Bereichen wie Marketing, Vertrieb, Controlling, Buchhaltung, Logistik.
CW: Wenn über die Situation der deutschen Wirtschaft gesprochen wird und über ihre vermeintlich geringe Bereitschaft, sich mit Digitalisierung zu beschäftigen, dann fehlt fast immer konkretes Zahlenmaterial, wie es in anderen Ländern aussieht. Man fragt sich, auf Basis welcher Fakten manche Kritik zustande kommt.
Oliver Frese: Da ist so manches Mal sicher auch viel Bauchgefühl dabei. Gewiss gibt es etwa beim Bitkom Vergleichszahlen, wie sich Deutschland im europäischen Vergleich aufstellt. Da kann man sehen, dass Deutschland sich entwickelt, die Rahmenbedingungen auch immer günstiger werden und Unternehmen auch immer mehr bereit sind, in die Digitalisierung zu investieren.
CW: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor zwei Jahren vielleicht etwas humorvoll angemerkt, man könne doch die CeBIT und die Hannover Messe wieder zusammenlegen. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass die Ausstellungsstücke auf der Industriemesse immer mehr IT enthalten und dort ebenfalls gezeigt wird, was man mit Digitalisierung der Geschäftswelt und Internet of Things beschreibt.
Oliver Frese: Die Frage stellt sich nicht - gleich aus mehreren Gründen. Erstens reicht die Messefläche in Hannover - obwohl die weltweit größte - nicht aus, um diese zwei internationalen Leitmessen parallel auszurichten. Zweitens: Die Kollegen der Hannover Messe richten ihre Veranstaltung konsequent auf das Thema Industrie 4.0 aus. Da geht es also um die intelligente industrielle Fertigung, bei der etwa das Werkstück mit der Maschine kommuniziert. Drittens: Die CeBIT bildet das Internet der Dinge ab - und das ist viel mehr als die industrielle Fertigung. Während also etwa bei der Hannover Messe die intelligente Produktion des Autos im Vordergrund steht, geht es auf der CeBIT um die Intelligenz im Auto - mit all seinen Sensoren, den daraus erwachsenden Datenanalysen, der Kommunikation mit anderen intelligenten Systemen - und die Geschäftsmodelle, die dadurch möglich werden. Viertens: Es würde ein inhaltlicher Mischmasch herauskommen, der niemandem helfen würde. Sie sehen also: Diese Frage stellt sich überhaupt nicht.
CW: Das Marktforschungsunternehmen Gartner geht davon aus, dass durch die Digitalisierung in den kommenden Jahren massiv Arbeitsplätze verloren gehen werden. Der Buchautor Andrew Keen hat dieses Menetekel in seinem Buch "Das digitale Debakel" an vielen Beispielen beschrieben. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman stößt ins gleiche Horn. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Oliver Frese: Ich sehe das nicht pessimistisch. Selbstverständlich wird die Digitalisierung Branchen verändern, das sehen wir ja schon seit 20 Jahren. Der Finanzbereich etwa hat sich erheblich verändert, er geht weg vom Filialgeschäft und hin zum Online-Banking. Die Musik- und Verlagswelten haben sich verändert. Und so werden sich auch andere Branchen verändern. Das wird dazu führen, dass der eine oder andere Arbeitsplatz in der heutigen Form nicht mehr existieren wird. Aber die Digitalisierung schafft im Gegenzug auch neue Arbeitsplätze mit veränderten Anforderungen. Das ist die Chance, die die Digitalisierung in sich birgt. Es ist auch müßig, über das Gestern zu diskutieren. Denn der Weg führt nun mal in eine digitalisierte Welt. Unternehmen müssen sich dem stellen. Ich persönlich sehe große Chancen für neue, qualifizierte Arbeitsplätze durch die Digitalisierung.
Ein kleiner Rückblick
Konzeptionelle Entscheidungen der Messemacher, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen sowie der Reifegrad der IT-Branche haben in den vergangenen 19 Jahren darüber entschieden, wie stark die CeBIT frequentiert war.
1995, im Jahr, als Bill Gates Windows 95 vorstellte, musste das Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation, wie die CeBIT mit vollem Namen heißt, noch den Ansturm von 755.000 Besuchern bewältigen.
1999 tummelten sich 7.412 Aussteller auf dem Messegelände, worunter auch diejenigen mit Mini-Auslagen auf Gemeinschaftsständen zu zählen waren.
2001 verzeichneten die Messeverantwortlichen dann ein Rekordjahr: 830.000 Besucher waren für Hannovers Infrastruktur wie für das Messegelände eine echte Herausforderung. Durch die Hallengänge schob man sich nur noch im Schneckentempo. Diese Zahl hat die CeBIT danach nicht mehr erreicht.
2002 war ein schwieriges Jahr: Es stand unter dem Einfluss der Terroranschläge vom 11. September 2001. US-Firmen und -Besucher blieben der IT-Leistungsshow fern.
2003 lagen die Besucher- (560.000) und Ausstellerzahlen (6.500) dann deutlich unter denen der Vorjahre.
2009 kamen von Dienstag bis Sonntag über 400.000 Besucher. Es war ein Jahr, in dem die Ausstellerzahl massiv zurückging. Nur mehr rund 4.300 Unternehmen präsentierten ihre IT-Neuerungen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Jahr zuvor den Globus erschüttert hatte, zeigte ihre Nachwirkung.
2010 wurde die CeBIT von sechs auf fünf Tage verkürzt. Von Dienstag bis Samstag flanierten 334.000 Besucher über die Messe - und damit genauso viele wie im Geburtsjahr der CeBIT 1986.
2012 sackte die Besucherzahl auf 312.000 ab. Die Ausstellerzahl bewegte sich bei rund 4.200. Ein Jahr später fanden nur mehr 280.000 Messebesucher den Weg zur CeBIT.
2014 gab sich die CeBIT eine neue strategische Ausrichtung und adressierte nur noch die Business-Kunden. Privatanwender blieben außen vor - anders als in den Jahren zuvor, in denen noch die Gaming-Weltmeisterschaften dafür gesorgt hatten, dass sich der Altersdurchschnitt der Messebesucher drastisch senkte. Mit der klaren Ausrichtung auf das Business erhöhte die Deutsche Messe AG auch die Eintrittspreise. Dass die Besucherzahlen zurückgingen und nur noch 210.000 Gäste den Weg aufs Messegelände fanden, nahm man in Kauf. Die Ausstellerzahl sank um 12,5 Prozent auf 3.500.
2015 soll nun der Trend wieder gedreht werden. Den Optimismus rechtfertigt das Partnerland China, das allein über 600 Aussteller stellt. Insgesamt, so Messe-Chef Oliver Frese, werden wieder mehr Firmen vor Ort sein, darunter auch einige Rückkehrer. Das klare Bekenntnis von Anbietern wie IBM, Microsoft, Telekom oder SAP zeigt, dass die IT-Branche diesen Marktplatz zu schätzen weiß.