"Vor uns liegt eine rasant steigende Leistungsfähigkeit der Systeme, nicht nur der großen Sprachmodelle, sondern auch von Systemen, die logisch denken und immer mehr Funktionen übernehmen können", sagt Pero Micic, Gründer und Vorstand der FutureManagementGroup AG und Professor für Foresight and Strategy an der Steinbeis-Hochschule in Berlin. Im Podcast "TechTalk Management und Leadership" von COMPUTERWOCHE, CIO-Magazin und CSO-Online spricht der Wissenschaftler von einer "Entwicklungsgeschwindigkeit, die nicht alle auf dem Schirm haben".
KI als unbeliebte Pflichtübung
Micic hat den Eindruck, dass Generative AI in deutschen Unternehmen immer noch eher als Zwang, beziehungsweise als Störung des betrieblichen Alltags empfunden wird. Die Betriebe müssten dafür knappe Ressourcen freischaufeln, versprächen sich aber keinen allzu großen Produktivitätseffekt davon. Von einer positiven Aufbruchsstimmung oder gar von "Zukunftsfreude" sei nicht viel zu spüren. Dabei seien die Chancen gerade für Branchen mit einem hohen Anteil an kognitiver Arbeit besonders groß.
Am augenfälligsten werde das auf dem Automotive-Sektor, wo autonomes Fahren alle Geschäftsprinzipien auf den Kopf stellen werde. "Wir werden in Zukunft mit viel weniger Fahrzeugen auskommen", sagt Micic , "darauf ist die Industrie nicht vorbereitet, auch nicht die Zulieferer". Für die neue Welt brauche es Unmengen an Daten, um die KIs zu trainieren. Die traditionellen Anbieter hinkten hier weit hinterher und müssten wohl schon bald Lizenzgebühren an Pioniere wie Tesla oder die Google-Schwester Waymo zahlen.
Auch in Branchen wie Chemie und Pharmazie ändere sich vieles, so Micic, und verweist auf ein Experiment mit Google Deepmind: Innerhalb weniger Wochen hatte diese KI 380.000 stabile Materialien entwickelt, zuvor waren nur etwa 50.000 solcher Materialien bekannt. Aus Sicht des Wissenschaftlers zeigt das, wie stark KI die Menschen gerade auch in ihren Kreativleistungen unterstützen kann.
Einkommen beziehen ohne zu arbeiten
Allerdings sind die starken Veränderungen auch beängstigend: "Wenn KI irgendwann alles Kognitive und die Robotik alles Physische besser kann als der Mensch, dann müssen wir uns als handelnde Wesen neu definieren" - Micic spricht nicht gerne vom bedingungslosen Grundeinkommen, glaubt aber doch, dass Menschen Einkommen haben werden, "obwohl sie im klassischen Sinne nicht dafür arbeiten". In dieses neue Zeitalter einzutreten sei allerdings so komplex wie gefährlich, immerhin werde ein über Jahrtausende gültiger Arbeitsbegriff hinfällig.
Und was heißt das für junge Menschen, die erst ins Berufsleben einsteigen? Micic zeichnet das Zielbild eines "exzellenten Menschen", der emotionale Intelligenz mitbringe, nach ethischen Prinzipien handele, sich selbst steuern könne und dabei verlässlich, initiativ und unternehmerisch handele. Solche Qualifikationen würden derzeit an unseren Schulen und Universitäten nicht vermittelt, seien jedoch besonders wichtig. Als zweite Bildungssäule komme eine tiefe technologische Kompetenz hinzu - "egal welche", so Micic. Persönlichkeitsbildung plus Technologie-Skills seien in Zukunft der Schlüssel zu beruflichem Erfolg. (mb)