Beiersdorf-CIO Annette Hamann

"Wir müssen weg von der Kostendenke"

17.02.2022
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
CIO Annette Hamann entwickelt die IT-Organisation von Beiersdorf zum Business-Partner. Der Wertbeitrag der IT spielt dabei eine zentrale Rolle.

Marken wie Nivea, Hansaplast und Labello kennt hierzulande jedes Kind. Dass dahinter der Konsum­güterkonzern Beiersdorf steckt, ist schon weniger bekannt. Das 1882 in Hamburg gegründete Unternehmen beschäftigt heute weltweit mehr als 20.000 Menschen und erwirtschaftete 2021 einen Umsatz von 7,6 Milliarden Euro. Doch trotz der erfolgreichen Markenstrategie müssen sich die Hanseaten auf vielfältige Marktveränderungen einstellen.

Hinter den Kulissen verfolgt die Beiersdorf AG ein umfassendes digitales Transformationsprogramm. Hier kommt Annette Hamann ins Spiel, CIO und Geschäftsführerin IT der Beiersdorf Shared Services GmbH. Das Tochterunternehmen verantwortet die IT und das Accounting für den Konzern und soll die Grundlagen für den digitalen Wandel schaffen.

Annette Hamann, CIO der Beiersdorf AG: "Ich möchte im ganzen Unternehmen ein Bewusstsein schaffen, dass die IT nicht nur Kosten produziert, sondern Mehrwerte schafft."
Annette Hamann, CIO der Beiersdorf AG: "Ich möchte im ganzen Unternehmen ein Bewusstsein schaffen, dass die IT nicht nur Kosten produziert, sondern Mehrwerte schafft."
Foto: Beiersdorf AG

Hamann, die im Mai 2020 vom Konsumgüterhersteller Henkel zu Beiersdorf wechselte, hat ein klares Ziel vor Augen: "Die IT-Organisation muss zum Enabler werden, der als selbstverständlicher Teil des Geschäfts aktiv Unternehmensstrategien und Geschäftsmodelle mitgestaltet." Traditionell werde die IT noch oft als reiner Service-Provider gesehen, der Aufträge annimmt und ausführt. Dabei stünden die IT-Kosten im Vordergrund. Hamann: "Wir müssen weg von der Kostendenke und den Wertbeitrag der IT in den Mittelpunkt stellen."

Welchen RoI bringen IT-Projekte?

Die studierte Mathematikerin, Volkswirtin und Sino­login hat konkrete Vorstellungen, wie das gehen soll. Sie will den Return on Investment (RoI) jedes einzelnen IT- und Digitalisierungsprojekts prüfen und hat dazu vier Kategorien definiert: Run-Projekte, die den klassischen IT-Betrieb sicherstellen; Enabler-Projekte, die sich um grundlegende Investitionen wie etwa ERP-Upgrades drehen; Perform-Initiativen, die Abläufe verbessern und die Effizienz steigern; und Transformationsprojekte, die darauf zielen, komplett neue Vorgehensweisen oder Methoden zu etablieren.

Der RoI von Run- und Enabling-Projekten sei mit­unter schwer zu messen, konzediert die CIO. Doch spätestens ab den Performance-Projekten will sie genau wissen, welchen Wertbeitrag ein Vorhaben liefert. Als typisches Transform-Projekt nennt sie das Consumer Engagement Management: "Wir wollen damit beispielsweise die Ansprache der Konsumentinnen und Konsumenten optimieren, nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch inhaltlich."

Ein zentrales Ziel des Vorhabens sei, die Kundenbindung zu erhöhen und Marketing-Maßnahmen effektiver zu gestalten. Dazu wolle Beiersdorf, das seine Produkte zum größten Teil über Händler vertreibt, mehr über die Konsumenten erfahren. Alle digitalen Berührungspunkte (Touchpoints) müssten erfasst und über die gesamte Con­sumer Journey verknüpft werden. "Wir sind sehr nah an unseren Konsumentinnen und Konsumenten, beispielsweise über Social Media, Marken-Websites und Blogs", so Hamann. "Die Zeiten, in denen alles über TV-Werbespots lief, sind vorbei."

Ein anderes Transformationsvorhaben dreht sich um das Thema End-to-End-Planning. "Das betrifft den gesamten Planungsprozess", erläutert die IT-Chefin, "inklusive Demand-, Supply- und Produktionsplanung." Beiersdorf müsse in der Lage sein, Signale im Markt sofort zu erkennen und diese direkt in den Planungsprozess einzubringen, beispielsweise wenn die Nachfrage nach einem Produkt plötzlich steigt. Heute gingen solche Signale teilweise verloren oder würden bisher weniger berücksichtigt. Hamann: "Das ist natürlich auch eine Frage der Datenhaltung und der Organisation."

Das 1882 in Hamburg gegründete Unternehmen Beiersdorf beschäftigt heute mehr als 20.000 Menschen. Im Bild ein Nivea-Lieferwagen aus dem Jahr 1929.
Das 1882 in Hamburg gegründete Unternehmen Beiersdorf beschäftigt heute mehr als 20.000 Menschen. Im Bild ein Nivea-Lieferwagen aus dem Jahr 1929.
Foto: Beiersdorf AG

Die IT-Organisation spielt in solchen Projekten eine Schlüsselrolle. "Wir wollen uns zu einer hochleistungsfähigen, agilen und wettbewerbsfähigen IT entwickeln", gibt die CIO die Richtung vor. Ende 2020 startete sie ein breit angelegtes Transformationsprogramm, das fünf Dimension abdeckt:

  • Strategie: Hier geht es um die Frage, wie die IT-Strategie auf die Unternehmensstrategie "C.A.R.E.+" von Beiersdorf einzahlt. Das Kürzel steht für Mut (Courage), Zielstrebigkeit (Aspiration), Verantwortung (Responsibility) und Empathie (Empathy). Das Plus-Zeichen soll den Willen unterstreichen, mit der Strategie langfristig mehr Werte für Menschen und die Gesellschaft zu schaffen. Damit verbunden ist ein mehrjähriges Investitionsprogramm, mit dem der Konzern ein nachhaltiges Wachstum erreichen will.

  • Organisation: Hamann will die IT-Organisation komplett neu ausrichten und flexiblere Strukturen schaffen.

  • Practices: Interne Abläufe und Prozesse sollen modernisiert und automatisiert werden. "Agil, stabil und reaktionsfähig", beschreibt Hamann die prägenden Eigenschaften. In vielen Bereichen setzt sie dabei auch auf agile Methoden.

  • Technology: Die IT-Organisation soll skalierbare Technologie- und Datenarchitekturen definieren, die sich schnell an veränderte Anforderungen anpassen lassen

  • Talent: Im Vordergrund steht das Fachwissen der Mitarbeitenden, das die CIO kontinuierlich weiterentwickeln will. Zusätzliches Know-how soll durch IT-Talente von außen ins Unternehmen kommen.

Neuausrichtung der IT-Organisation

Mit einer neuen Ausrichtung der IT-Organisation will Hamann unter anderem den Kontakt zum Business verbessern. Bisher lief die Zusammenarbeit nur über wenige Schnittstellen und sehr zentralisiert. Künftig ist die IT entlang von drei Domänen strukturiert:

  • dem Produktlebenszyklus, angefangen von Forschung und Entwicklung über die Produktion bis hin zum Vertrieb,

  • der Supply Chain sowie

  • dem Bereich Business Administration mit unter­stützenden Funktionen wie Human Resources und Finanzen.

Den Unterbau bilden die Bereiche Infrastruktur und Support. Über den drei Domänen liegt ein Data- und Analytics-Layer, in dem die IT-Managerin bereichsübergreifend Wissen bündeln will. Noch eine Ebene höher angesiedelt ist der Bereich IT Strategy & Transformation, der sich beispielsweise um Governance-Aspekte und Key Performance Indicators (KPIs) kümmert. Last, but not least gibt es den übergreifenden Bereich Cyber Security, den ein CISO mit einem dedizierten Team steuert.

IT als Basis für die Digitalstrategie

Die so aufgestellte IT soll die Voraussetzungen für eine Digitalstrategie schaffen, die der Beiersdorf-Konzern mit seinem "Digital-Fast-Forward"-Programm vorantreibt. "Wir verfolgen dabei zwei Stoßrichtungen", erläutert Hamann: "Die Digitalisierung der Consumer Journey und die der internen Prozesse im Sinne einer Company Journey." Zu Ersterem gehört auch das Transformationsprojekt Consumer Engagement Management. "Jede einzelne Phase, die unsere Verbraucherinnen und Verbraucher durchlaufen, bietet uns großes Potenzial für eine Interaktion", so die CIO, "von der Bedürfniserweckung und dem Kauf des Produkts über die Verwendung und den erneuten Kauf bis hin zur Markentreue".

Digitale Projekte auf dem Prüfstand

Als zentrales Entscheidungsgremium für alle Digitalisierungsvorhaben hat Beiersdorf 2020 die "Quarterly Digital Reviews" eingeführt. In den Meetings geht es um den Status quo laufender Projekte, aber auch um neue Initiativen und deren Priorisierung. "Dazu müssen Stakeholder aus allen Bereichen involviert sein", sagt Hamann. Geleitet werde das Gremium deshalb von einem Dreigespann: Die IT vertritt sie selbst; da­neben gibt es eine Führungskraft aus dem Bereich Business und Prozesse und eine weitere aus dem Personalbereich für die Transformation. Die Sitzungen seien durchaus anstrengend, aber sehr effektiv, berichtet die Managerin, weil alle sich die Zeit nähmen und gemeinsam Entscheidungen träfen.

Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt das "Value Acceleration Office". Es bereitet Entscheidungen vor und ist im Grunde eine Weiterentwicklung des klassischen Portfolio-Managements. Hamann: "Dabei geht es nicht nur um die Frage, welche finanziellen und personellen Ressourcen ein Projekt braucht, sondern auch darum, welchen Wert es erzeugt." Im Office arbeiteten ITler mit internen Consultants zusammen, die die Anforderungen der Fachbereiche gut kennen. Das Team helfe, Projekte zu strukturieren, KPIs zu messen und den Wertbeitrag zu bestimmen. Zudem gebe es nach Projektabschluss Rückmeldungen, ob die erwarteten Ergebnisse erreicht wurden.

Talent Management

Ohne zusätzliches Know-how und neue Impulse von außen sei der digitale Wandel nicht zu stemmen, ist Hamann überzeugt. Das Thema Talent Management steht deshalb auf ihrer Prioritätenliste weit oben: "Es geht darum, das Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter relevant zu halten", sagt sie. "Dazu müssen wir kontinuierlich investieren."

Im Beiersdorf-Konzern gebe es viel "traditionelles IT-Wissen". Geht es um neue Technologien, greife man verstärkt auf externes Know-how zurück. Doch das sei eher ein taktischer Schritt. Langfristig will sie mehr eigenes Wissen aufbauen und dafür auch formale Prozesse etablieren. Um IT-Talente anzulocken, setzt sie auch auf Maßnahmen zum Employer Branding: "Wir gehen früh an junge IT-Talente ran, bieten Praktika und Ausbildungsplätze an und kooperieren mit Universi­täten." Um alle Mitarbeitenden "mit auf die Reise" zu nehmen, setzt die CIO vor allem auf eine transparente Kommunikation. So gibt es inzwischen mehrere Online-Formate für den Austausch zwischen dem Managementteam und der Belegschaft. Informationen rund um die Vision, Strategie und Transformation stellt der Konzern über das Intranet zur Verfügung.

Als Hamann im Frühjahr 2020 bei Beiersdorf einstieg, steckte Deutschland mitten in der ersten Corona-Welle. "Die erste große Hürde war, die richtigen Personen und alle Stakeholder ohne physische Präsenz kennenzulernen", erinnert sie sich. Ihre größte Herausforderung sieht die CIO heute darin, den "Value-Gedanken" in die Organisation zu tragen. Dafür sei nach wie vor viel Überzeugungsarbeit zu leisten: "Ich möchte im ganzen Unternehmen ein Bewusstsein schaffen, dass die IT nicht nur Kosten produziert, sondern Mehrwerte schafft. Das ist immer noch eine sehr anspruchsvolle Aufgabe."