Südwestlich von London bereitet sich die Stadt Wimbledon auf die Neuauflage des ältesten Grand-Slam-Turniers vor. Beim wichtigsten Tennis-Event der Welt (3. bis 16. Juli) sollen sich Tradition und Moderne die Waage halten, eine Herausforderung für die Verantwortlichen Bill Jinks, Technologiedirektor des All England Lawn Tennis Club, und Chris Clements, Leiter digitale Produkte.
Tennis ist für London das, was Mode für Paris ist. Was bedeutet es, in diesem Jahr die 136. Auflage zu feiern?
Bill Jinks: Das Wimbledon-Erbe zu bewahren, ist für uns besonders wichtig, es zählt zu unseren Grundwerten. Wir möchten, dass jeder, der mit dem Turnier zu tun hat, ein unvergessliches Erlebnis genießen kann. Als Technologieteam kümmern wir uns um technische Innovationen, ohne dabei den Charme der Veranstaltung zu riskieren.
Wimbledon ist auch ein technisches Ereignis
Warum ist das so wichtig?
Bill Jinks: Wir müssen sicherstellen, dass Wimbledon das zentrale Highlight im Tenniskalender bleibt. Es ist nicht nur ein sportliches, sondern auch ein kulturelles Ereignis. Wir haben hier ein Publikum, das weit über den eingefleischten Tennisfan hinausgeht.
Inwiefern hat Technologie im Laufe der Jahre Einzug in Wimbledon gehalten?
Chris Clements: Die Art und Weise, wie wir traditionelle Elemente mit Technologie verbinden, ist schon einzigartig. Wir wollen sicherstellen, dass die Tradition in allem, was wir tun, präsent ist. Das gilt auch für die technischen Innovationen, an denen wir gerade arbeiten.
Verfolgt der All England Lawn Tennis Club eine bestimmte Strategie in seiner digitalen Transformation?
Chris Clements: Wir müssen tolle Erlebnisse schaffen - für unsere Gäste vor Ort, genauso wie für diejenigen, die unser Turnier über die Medien verfolgen. Dabei geht es uns darum, unser globales Publikum ständig zu vergrößern. Wir sehen uns auch als Botschafter für das Tennis generell. Diese Sportart soll florieren und einen positiven Einfluss haben. Technologie hilft uns beim Erreichen dieser Ziele, sie steht im Mittelpunkt unserer Strategie.
Virtueller Wimbledon-Spaß auf Roblox
Bill Jinks: Wir wollen die Magie von Wimbledon allen zugänglich machen - über unsere Website und unsere mobilen Apps, über die wir außergewöhnliche Benutzererlebnisse bieten, aber auch mit anderen digitalen Möglichkeiten, die über unsere Medienplattformen hinausgehen. Und obwohl wir hier noch nicht alles verraten können, gibt es doch Beispiele, die wir bereits umgesetzt haben. So haben wir auf der Gaming-Plattform Roblox ein virtuelles Erlebnis namens WimbleWorld hinzugefügt, das ein jüngeres Publikum sehr erfolgreich angesprochen hat.
Chris Clements: Eine neue Funktion, auf die wir uns besonders freuen, ist der KI-Kommentar. Dabei werden den Highlight-Videos auf Wimbledon.com KI-generierte Texte hinzufügt, gesprochen oder wahlweise auch als Untertitel. Ein zweites Highlight, ebenfalls auf Basis von KI-Technik, ist die Analyse der kommenden Spielpaarungen. Dabei wird der potenzielle Weg eines jeden Spielers und jeder Spielerin ins Finale bewertet.
Für welche Technologien geben Sie in diesem Jahr am meisten Geld aus?
Bill Jinks: Wir arbeiten seit 34 Jahren mit IBM in einem kontinuierlichen Innovationsprozess zusammen. Dabei entwickeln wir gemeinsam Ideen und stoßen Projekte an, die uns helfen, unsere Ambitionen umzusetzen und unsere Ziele zu erreichen. Normalerweise beginnen wir mit einer langen Liste von Ideen und filtern diejenigen heraus, die es wert sind, ausprobiert zu werden. Wenn wir richtig liegen, sind das dann die Plattformen und Technologien, die wir im nächsten Jahr implementieren werden.
Hat sich die Technologie im Laufe der Zeit auch auf die Spieler ausgewirkt?
Bill Jinks: Ja. Heute gibt es in der Welt des Sports Unmengen an Daten. Wie ist das Spiel abgelaufen? Wohin wurde der Ball häufig geschlagen? Wie gelang es, zu punkten? IBM analysiert solche Daten, auch um einen Mehrwert für die Spielerinnen und Spieler selbst zu schaffen. Wir stellen den Tennisstars Analysetools zur Verfügung, mit denen sie ihre Spiele nacherleben und im Detail analysieren können. Sie bekommen Datenangebote, die weit über das hinausgehen, was auf digitalen Kanälen oder im Fernsehen zu sehen ist.
Beispielsweise bieten wir ihnen in diesem Jahr eine neue Art von Statistik an, die allein auf dem Flugverlauf des Balls basieren. Benutzt ein Spieler die offizielle App, werden ihm alle für ihn relevanten Dienste angezeigt. Das ist ein Trend, den wir in Zukunft verstärken werden.
Wimbledon beginnt, es gibt keinen Aufschub
Inwieweit profitiert das weltgrößte Tennisturnier konkret von der Digitalisierung?
Chris Clements: In den letzten vier oder fünf Jahren hatten wir mehr als 21 Millionen Fans, die unsere digitalen Plattformen nutzten. Das ist eine fantastische Zahl, die wir weiter ausbauen wollen. Unsere digitalen Produkte sind speziell auf Tennis und Wimbledon ausgerichtet. Wir bieten den Fans viel mehr, als sie anderswo finden. Letztlich geht es darum, dass sie mehr aus ihrem Zuschauererlebnis herausholen, den Sport besser verstehen und begreifen, warum Wimbledon etwas Besonderes ist. Ich denke, dass wir das mit vielen unserer Initiativen erreicht haben.
Was sind die größten Herausforderungen als Technologie-Manager von Wimbledon?
Bill Jinks: Eine der größten Herausforderungen besteht darin sicherzustellen, dass wir pünktlich startbereit sind. Da es schon in wenigen Tagen losgeht, müssen wir auf die Tube drücken. Generell ist die Integration neuer Technologien mit vorhandenen Systemen und Prozessen nie trivial. Das ganze Jahr über sind wir ein kleines Unternehmen, doch einmal im Jahr richten sich international alle Scheinwerfer auf uns. Da muss alles funktionieren. Wir wollen bereit sein, ein unvergessliches Erlebnis zu bieten, wenn sich am nächsten Montag die Pforten öffnen.
Unsere Fans können erwarten, dass sie viel mehr von Wimbledon zu sehen bekommen als bisher. Sie werden dank neuer Daten neue Perspektiven erleben. Ich hoffe, dass sie das Wimbledon, das sie kennen und lieben, in einer durch die Technologie verbesserten Form genießen können. (hv)