Cloud ist im Mainstream angekommen - wie bildet sich diese These im Arbeitsalltag deutscher Unternehmen ab? Darüber diskutierten in einem Roundtable-Gespräch der COMPUTERWOCHE-Redaktion Matthias Frühauf von der Firma Veeam, Constantin Klein von Freudenberg IT, Wolfgang Kelz als Vertreter von Tibco, Carsten Dan Otto von IBM, der Red-Hat-Manager Hubert Schweinesbein sowie Marius Vöhringer für Capgemini und Ralf Weber von der Direkt-Gruppe.
- Matthias Frühauf, Veeam
„Deutschland ist eher ,First Follower’ als ,Early Adopter’. Nur die großen Unternehmen definieren, wo sie heute stehen und wo sie in fünf Jahren sein wollen.” - Wolfgang Kelz, Tibco
„Cloud wird oft von der IT losgetreten, Stichwort Lift-and-Shift. Es gibt aber auch Kunden, bei denen der Fachbereich SaaS-Lösungen einführt und somit zum Treiber für Cloud wird.“ - Constantin Klein, Freudenberg IT
„Anders als bei den großen Konzernen fehlt im gehobenen deutschen Mittelstand noch das Verständnis dafür, was genau Cloud ist und was Cloud kann.“ - Ralf Weber, Direkt-Gruppe
„Erst rund ein Viertel der Kundenunternehmen hat einen Management-Sponsor, der den Change vorantreibt. Aber es werden mehr!“ - Carsten Dan Otto, IBM
„Für die Automobilbranche und für Unternehmen der industriellen Fertigung ist Cloud das Mittel zur Digitalisierung. In anderen Branchen fehlt noch eine unternehmensübergreifende Cloud Strategie.“ - Hubert Schweinesbein, Red Hat
„Gerade bei Software Entwicklungen mit einem ,Cloud First‘-Ansatz braucht es agile Entwicklungsteams, die nicht mehr im klassischen Wasserfallmodell arbeiten." - Marius Vöhringer, Capgemini
“Mit der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bekommt das Thema Haftung neue Relevanz.”
Die Experten sprachen über sechs verschiedene Aspekte:
Strategie: Per Online-Fragebogen mag sich erheben lassen, wie viele Unternehmen eine Cloud-Strategie implementiert haben. Das aber klärt nicht die Frage der Definition. In der Praxis fahren viele Firmen eine Ad-hoc-Strategie. Sie setzen punktuell an oder hangeln sich gemäß einer opportunistischen Strategie von Projekt zu Projekt. Dem stehen einige wenige Vorreiter gegenüber, die nach dem Motto "Cloud first" bereits eine konsequente Strategie verfolgen.
Dabei begreift nicht jeder Experte das Fehlen einer übergeordneten Strategie als Nachteil. Wichtig sei, dass man irgendwo starte.
Kultur: Der Begriff Change fällt im Zusammenhang mit der Cloud ebenso oft wie der Begriff Kultur. Beide Buzzwords beschreiben Veränderungen innerhalb und außerhalb der IT-Abteilung. Zunächst der Blick nach außen: Die Cloud geht über Strategiefragen hinaus und schwebt zwischen IT und Fachbereich. Mancher in der Runde unkt, der Fachbereich sei mit der internen IT vermutlich nie zufrieden. So dauere es oft drei Monate, einen neuen Rechner zu bestellen - via Cloud bekomme man Services auf Knopfdruck. Das Problem Schatten-IT lässt grüßen.
Mit Blick über die Unternehmensgrenzen hinaus bedeutet Cloud eine neue Zusammenarbeit zwischen CIO und externen Partnern. Externe Partner müssen gemeinsam mit dem Kundenunternehmen formulieren, wo die Reise hingehen soll. Zunächst gilt: sagt der Kunde, er "will in die Cloud", muss der Consultant die Gründe und Motive identifizieren. Sprich: bevor ein bestimmtes Lösungs-Szenario skizziert wird, muss klar sein, wo das Kundenunternehmen hin will. Was wiederum Gespräche mit dem Fachbereich einschließt.
Wer nach innen blickt, erkennt weitere kulturelle Herausforderungen für den CIO. Nach langen Jahren Plan-Build-Run treibt es manchem CIO jetzt den Schweiß auf die Stirn, wenn eigenwillige junge Entwickler auf das Tempo von AWS verweisen. Oder, wie es ein Branchen-Insider formulierte, "wenn Infrastruktur-Typen auf DevOps prallen" - zwei komplett verschiedene Personas. Proprietäre Mentalität gegen flexible. Ob die von Gartner definierte bimodale IT (auch "IT der zwei Geschwindigkeiten" genannt) empfehlenswert ist, stellen Praktiker infrage - besser sei es, das ganze Unternehmen agil zu machen. Dann brauchen die im Tanker nicht neidisch auf die im Schnellboot zu schielen.
Technische Machbarkeit: Das Kürzel "Lift-and-Shift" klingt einleuchtend. Aber nicht jeder Workload eignet sich für eine Cloud-Migration. Teile der Infrastruktur, Teile der Legacys werden on premise bleiben. Grundsätzlich gilt: "Je näher an der Core-IT, desto weniger DevOps. Je näher an der Endkunden-Schnittstelle, desto mehr DevOps!"
Treiber: Viele Unternehmen erhoffen sich Kostenvorteile. Die Expertenrunde beobachtet "viel gefährliches Halbwissen in Bezug auf sofort eintretende Vorteile von Lift-and-Shift". Ein mindestens ebenso starker Treiber ist der Wunsch nach einer kürzeren Time-to-Market.
Das gilt insbesondere für Mittelständler. Anders große Konzerne: hier hat insbesondere die Automotive-Branche verstanden, dass Cloud ein Synonym für Transformation ist. Konkret für die Frage: Wie kann ich neue digitale Angebote kreieren? Wie kann ich die Innovationskraft aus der Cloud nutzen, etwa auf dem Feld Künstlicher Intelligenz?
Was immer die Treiber für eine Cloud-Migration sein mögen: wichtig für die Durchsetzung ist ein starker Sponsor aus dem Business. Der muss eine klare Vision verfolgen und innerhalb des gesamten Unternehmens kommunizieren können.
Vier Aufgaben für den CIO: Ketzerische Frage eines Diskussionsteilnehmers: "Was macht der CIO, wenn er in der Cloud ist? Er hat ja dann keinen Leistungsschein mehr." Wer die IT verantwortet, erhält vier Cloud-bezogene Aufgaben. Erstens muss er den Ist-Zustand der Daten und der Applikations-Landschaft bewerten lassen, um entscheiden zu können, welche Clouds er wofür braucht. Zweitens muss er die Veränderungen innerhalb seiner eigenen Abteilung organisieren. Drittens muss er versuchen, die richtigen Mitarbeiter zu gewinnen. Kein leichtes Unterfangen. "Leute mit einer Hands-on-Mentalität und praktischen Cloud-Projekterfahrungen gibt es nicht", so die Erfahrung eines Diskussionsteilnehmers. Und viertens ist es CIO-Aufgabe, Regeln aufzustellen und auf die Governance zu achten. So muss der IT-Chef beispielsweise wissen, welche Anwendungen und Tools wann installiert wurden oder was sich wiederverwenden lässt, welche Legacys bestehen und Weiteres.
Aus der lebhaften Diskussion leiteten die sieben Experten fünf Eckpunkte für die Migration ab. Punkt Eins: Trotz der umgangssprachlichen Formulierung, wonach "ein Unternehmen in die Cloud geht", ist die Cloud kein Ort. Sondern eine radikal neue Weise, Software zu denken. Punkt zwei: Jeder Entscheider muss klären, welche Tools seine Firma braucht. Punkt drei: Neue Lösungen müssen "Cloud first" gedacht werden. Punkt vier: Jedes Modell muss nicht nur entwickelt, sondern auch in den Betrieb überführt werden. Entwickler interessieren sich aber oft nicht dafür, wie ihre Lösung im Betrieb performt. Punkt fünf: Wie sichert das Unternehmen das Ganze ab? Welche Haftungsrisiken bestehen auf dem Heimatmarkt, welche in anderen Regionen der Welt?
Das Thema Cloud ist komplex und wird es auch in den nächsten Jahren noch bleiben. Gleichzeitig stellt die Runde fest: "Dass etwas Neues kommt, bedeutet nicht automatisch, dass das Alte weg ist!" Zwar kann kein Entscheider an der Cloud mehr vorbei - es ist aber nicht nötig, das Thema zu überhöhen. Was die Runde wieder zum Ausgangspunkt führt: eine perfekt ausgefeilte Strategie ist nicht zwingend Voraussetzung für den Weg in die Cloud.