Musik-Streaming-Dienste

Wie Spotify und Co. von Corona profitieren

Kommentar  24.04.2020
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Nils Zeizinger ist  freier Autor für PR-, Wirtschafts- und Finanzthemen. Inhaltlich setzt er sich vor allem mit der FinTech-Szene sowie den Tech-Riesen Google, Facebook und Co. auseinander. Der gebürtige Thüringer studierte Publizistik, Politikwissenschaft sowie Komparatistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Mitglied im Deutschen Journalisten Fachverband.
Konzerte und Festivals entfallen, der Einzelhandel liegt brach - die Musikindustrie ächzt. Musik-Streaming-Dienste jedoch profitieren von der Krise - wie die Zahlen zeigen.

Die Musikwelt hat sich im Zuge der Digitalisierung grundlegend gewandelt. Spotify und Co. haben den Kampf gegen die illegale Musikverbreitung gewonnen, während die Umsatzzahlen physischer Tonträger starke Einbußen hinnehmen mussten.

Wer "Wish you were here" von Pink Floyd nicht auf Platte besitzt, dem bleibt derzeit nur, auf Musik-Streaming-Dienste zurückzugreifen.
Wer "Wish you were here" von Pink Floyd nicht auf Platte besitzt, dem bleibt derzeit nur, auf Musik-Streaming-Dienste zurückzugreifen.
Foto: Nils Zeizinger

Wie nahezu jede andere Branche trifft die Corona-Pandemie auch die Musikwirtschaft hart. Durch das Veranstaltungsverbot fallen sämtliche Konzerte auf unbestimmte Zeit aus, Tourneen werden gestrichen und an Festivals wie Rock am Ring ist nicht zu denken. Alleine im Zeitraum März bis Mai rechnet der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft mit 80.000 abgesagten Events. Freischaffende Künstler und Musiker stehen plötzlich ohne Einnahmen da, ebenso wie Veranstalter, Booker, Techniker oder Bühnenarbeiter - auf unbestimmte Zeit.

Im Corona-Stream der Zeit

Viele Musikschaffende versuchen aus der Not eine Tugend zu machen. Weil Konzerte nicht möglich sind, laden sie die Fans nun via Instagram, Facebook oder YouTube zu sich nach Hause ein. Chris Martin von Coldplay, Pink oder Neil Young spielen kleine Gigs, andere wie Die Ärzte oder Grundfunk komponieren Corona-Songs. Ein unerwartetes Revival erlebt derzeit in diesem Rahmen auch das Autokino, das zunehmend als Konzertbühne genutzt wird - bei gleichzeitiger Wahrung des Social-Distancing-Gebots.

Musik kaufen geht hingegen nur noch online, wovon in erster Linie Shopping-Giganten wie Amazon profitieren. Der Bezos-Konzern gehört ohnehin zu den größten Profiteuren der Coronavirus-Krise. Es scheint durchaus möglich, dass das Gros der stationären Konkurrenten im Bereich Musikvertrieb nach COVID-19 vom Markt verschwinden wird. Mit jedem Monat, der ohne Einnahmen verstreicht, rutschen lokale Plattenläden näher an die Insolvenz.

Die aktuelle Situation bedeutet auch für die Konsumenten eine Umstellung. Schließlich ist der Hunger nach Unterhaltung und Zerstreuung groß – getrieben von Kurzarbeit, Homeoffice und abgezählten sozialen Kontakten. Die günstigste legale Alternative zum Kauf ist das Musik-Streaming. Über Plattformen wie Amazon Prime, Apple Music, Deezer oder den Branchenprimus Spotify können die User Abermillionen von Songs abspielen, Playlisten anlegen und neue Künstler entdecken.

Die Vermutung liegt nahe, dass viele Menschen in der Krisenzeit deutlich mehr Muse als sonst haben, sich mit Musik zu beschäftigen. Aber hat der Coronavirus die Hörgewohnheiten der Menschen tatsächlich verändert? Und falls ja: Macht sich das auch zahlenmäßig bei den Musik-Streaming-Diensten bemerkbar?

Musik-Streaming-Trends 2020

Um die Antworten auf die vorangegangen Fragen direkt vorwegzunehmen: ja und ja. Die Nutzungsdaten, die Spotify zwischen dem 19. und 25. März 2020 erhoben hat, zeigen:

  • #WirBleibenZuHause: Es wird weniger mobil und im Auto gestreamt, dafür mehr über Desktop-PCs, Spielkonsolen, Smart TVs und Home Assistants wie Amazon Alexa und Google Home.

  • Mehr Kollaboration: Playlists, die gemeinsam bestückt und verwaltet werden, erfreuen sich größerer Beliebtheit.

  • Informationsdurst: Podcasts boomen – besonders in den Bereichen News, Gesundheit, Fitness und Selbstentwicklung.

  • Kinderprogramm: Es gibt einen signifikanten Anstieg bei Streaming-Inhalten die für Kinder konzipiert sind – sowohl im Bereich Musik als auch im Bereich Podcast. Bei Netflix und Co. sieht das ganz ähnlich aus.

  • Musik zur Entspannung: In den Playlisten der Spotify-Hörer findet sich weniger tanzbare Musik, dafür mehr „Chill out“. Akustische und instrumentale Songs sind zurzeit besonders beliebt.

  • Familie im Fokus: Musik wird weniger für ein launiges Stelldichein gespielt, sondern mehr für den „Hausgebrauch“. Playlisten mit einem thematischen Bezug zum Kochen und zur Hausarbeit sind in der Dauerrotation.

  • Fun Fact: „Don’t Stand So Close To Me“ von The Police verzeichnet einen Anstieg in den Plays von 135 Prozent.

Einträglicher Streaming-Boom

Bezüglich Abonnenten und Neukunden liegen für die vergangenen Wochen noch keine Zahlen vor, doch es kann davon ausgegangen werden, dass die Streaming-Dienste erheblich von der Krise profitieren. Bestehende Kunden intensivieren ihre Nutzung und viele Nicht-Kunden denken zum ersten Mal ernsthaft über ein kostenpflichtiges Abo nach. Dies würde den ohnehin vorhandenen Positivtrend weiter verstärken: Seit 2017 hat sich die Zahl der Audio-Streams in Deutschland fast verdoppelt - über 100 Milliarden mal wurde 2019 "gestreamt".

Die Musik-Streaming-Dienste sind dabei weltweit auf dem Vormarsch: Spotify wies Ende 2019 rund 271 Millionen aktive Nutzer aus - davon sind 124 Millionen zahlende Premium-Kunden. Apple Music bringt es auf 60 Millionen Abonennten, Amazon Music Unlimited auf 55 Millionen – Tendenz steigend. In Deutschland setzen bereits mehr als 19 Millionen Menschen auf Musik-Streaming. Schätzungen von Experten zufolge werden 2020 so 620 Millionen Euro umgesetzt - allein auf dem deutschen Markt. Bis 2024 sollen es bereits mehr als 800 Millionen Euro sein. Zum Vergleich: Der Umsatz mit Schallplatten (Viny-LPs), die in den vergangenen Jahren ebenfalls ein Revival erleben durften, belief sich 2019 in Deutschland auf 79 Millionen Euro.

Wie COVID-19 den Trend verstärkt

Für Musikschaffende sind das nur bedingt gute Nachrichten, denn ihre Einnahmen sind durch den digitalen Musikvertrieb deutlich gesunken. Viele Musik-Streaming-Dienste schütten nur Bruchteile von Cent-Beträgen pro Play aus. Mut machen dürften da immerhin die steigenden Nutzerzahlen. Vergessen sollte man dabei aber auch nicht, dass Musik-Streaming-Plattformen - gerade in Kombination mit sozialen Netzwerken wie Instagram oder Youtube - insbesondere unbekannten Künstlern die Chance bieten, sich Gehör zu verschaffen - auch ohne Plattenvertrag.

Lesetipp: Die 22 besten Tipps & Tricks zu Spotify

Auch wenn Spotify weiterhin rote Zahlen schreibt: Kaum ein Branchenkenner zweifelt daran, dass sich die positive Entwicklung ebenso wie bei den Musik-Streaming-Pendants von Apple und Amazon weiter fortsetzen wird. Die Coronavirus-Pandemie könnte diese Entwicklung noch deutlich beschleunigen.

Das Streaming von Musik oder Podcasts stellt dieser Tage sicher eine der besten Möglichkeiten dar, sich zu beschäftigen und abzulenken. Nichtsdestotrotz sehnen sich Hörer wie Künstler gleichermaßen nach einer Rückkehr zur Normalität – auch und vor allem, um Musik endlich wieder so zu erleben, wie sie immer noch den höchsten Genuss bietet: live on stage. (bw/fm)