ChatGPT & Bard

Wie Sie NLP-Tools im Arbeitsalltag einsetzen

16.05.2023
Von 
Catrin Schreiner ist Texterin und Inhaberin der Agentur sprachwuerdig in Köln.
Einige Unternehmen nutzen bereits generative KI. Noch sind die Anwendungsfälle überschaubar, doch einmal implementiert, lassen sich große Produktivitätsgewinne erzielen.
Um bei der Anwendung generativer KI-Tools in der Softwareentwicklung nicht in unkontrolliertes Fahrwasser zu geraten, empfiehlt es sich, NLP-erfahrene Data Scientists mit guten Coding Skills im Team zu haben.
Um bei der Anwendung generativer KI-Tools in der Softwareentwicklung nicht in unkontrolliertes Fahrwasser zu geraten, empfiehlt es sich, NLP-erfahrene Data Scientists mit guten Coding Skills im Team zu haben.
Foto: Wright Studio - shutterstock.com

Wer heutzutage einen Text liest, kann nicht sicher sein, ob dieser von einem Menschen geschrieben wurde. Immer öfter stammen die Worte von einer generativen KI wie ChatGPT oder Bard. Die Tools entwickeln rasant die Kommunikation, den Zugang zu Informationen und die Vernetzung weiter - und versprechen enorme Produktionssprünge. Doch um die Werkzeuge erfolgreich zu nutzen, muss man erst einmal verstehen, wofür sie stehen und wie sie sich voneinander abgrenzen:

Grundlage für diese Leistungen ist komplexe Statistik. Anwender füttern ein tiefes neuronales Netz mit einer großen Menge unstrukturierter, heterogener Daten. Anhand dieser Daten lernen die Tools, Muster zu erkennen, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen und Vorhersagen zu treffen. Das Ergebnis dieses Vorgehens unterscheidet sich nicht merklich von menschlicher Ausdrucksfähigkeit. Weitere Lernverfahren führen dazu, dass Tools wie ChatGPT nicht nur sprach-, sondern auch dialogfähig sind. Neu an dem Thema ist, dass diese Werkzeuge nun einer breiten Öffentlichkeit frei zugänglich sind sowie ihr erstaunlicher Reifegrad.

Warum der Mensch immer noch unersetzlich ist

Bisher geht es beim Einsatz von Machine Learning vor allem darum, Mitarbeitende zu entlasten, indem Unternehmen repetitive manuelle Tätigkeiten automatisieren. Zum Beispiel im Bereich Software-Testing. So verfolgt der IT-Dienstleister Nagarro ein Forschungsprojekt namens AI4T, dass das Leben von Softwaretestern erleichtern soll. Alle Tätigkeiten, die nicht Kernaufgabe sind, nimmt die künstliche Intelligenz den Mitarbeitenden ab. Das bedeutet, die Auswahl von Testfällen, das Identifizieren von UI-Elementen, Wartungen, Analysen und Reportings finden automatisiert statt. "Das schafft Mitarbeitenden erheblich mehr Zeit, um das System zu testen und Testfälle zu schreiben", erklärt Thomas Steirer, Spezialist im Bereich Testautomatisierung bei Nagarro. Mittlerweile ist die Qualität des von KI generierten Outputs so hoch, dass selbst schwer zu interpretierende Sachverhalte in den richtigen Kontext gesetzt und sogar mehrere Variablen erzeugt werden können. Das stellt zugleich eine besondere Stärke von generativen Modellen gegenüber statischen, automatisierten Mechanismen und Rule-based Algorithmen dar. "Der eigene Aufwand reduziert sich damit nachgewiesen um bis zu 70 Prozent und konzentriert sich auf das stichpunktartige Überprüfen", so Steirer.

Ein weiterer Anwendungsfall ist, dass die KI-Entwickler beim Refactoring von Code, also bei der Umstrukturierung eines Quellcodes, unterstützt. Dabei dokumentieren die Tools zum Beispiel den Code und erzeugen zusätzliche Informationen, mit denen Mitarbeitende diesen verwenden und weiterentwickeln können. In weiteren Dimensionen wird durch KI auch das Verständnis von Entwicklern für Legacy Code, sprich fremdgeschriebenen "Altcode", gestärkt. Damit können ältere Codes selbst nach längerer Zeit weiterverarbeitet werden. Allerdings braucht es auch hier am Ende das prüfende Auge des erfahrenen Entwicklers. "Damit liegt die größte Herausforderung in der Arbeit mit generativen Modellen wie CLIP, unserer eigenentwickelten Sqeed AI und GPT darin, vernünftige qualitätsgesicherte Prozesse herzustellen", fasst Steirer zusammen. Dann lassen sich Use Cases aus dem Testing aber auch auf Branchen wie Finanzen, Logistik und Automobil übertragen.

Aktuell entwickelt sich die Anwendung dahingehend weiter, dass sie auch dem kreativen Wissensarbeiter helfen kann. Auch hier gehe es bewusst nicht um das Ersetzen von Menschen, sondern um das Assistieren, sagt Mussie Beian, Data Scientist bei Nagarro. "Eigene Ideen weiterentwickeln, aus Bulletpoints ein Konzept oder eine Dokumentation anfertigen, Texte erstellen und strukturieren, Sprache übersetzen, Daten filtern, analysieren und klassifizieren, Antworten und Erklärungen zu bestimmten Fragen erhalten - dabei können solche Tools prima unterstützen."

Wie sich Unternehmen in der Zukunft aufstellen müssen

Die Modelle bringen also echte Mehrwerte im Arbeitsalltag, stoßen aber (noch) an Grenzen. Es liegt also in der Verantwortung von Anwendern,

  • KI sinnvoll in bestehende Prozesse einzubinden, ohne dass sie Nutzer behindert oder Mehraufwand erzeugt,

  • Ergebnisse auf Richtigkeit und Plausibilität zu überprüfen,

  • den Output weiter zu verfeinern,

  • selbst kreativer zu werden, zum Beispiel in der Fragestellung, und

  • Datenschutz und IP-Rechte amerikanischer Anwendungen im Auge zu behalten.

Die Potenziale von KI liegen in erster Linie in der weiteren Automatisierung diverser sprachlicher Aufgaben. So könnten Modelle im Bereich Testing und Testfalldesign in Zukunft beispielsweise aus User Stories Testfälle beziehungsweise Negativ-Testfälle ableiten- selbst wenn der Input vom Anwender noch fehlt. Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Modellen in Richtung individueller Anwendungsfälle ist, dass sie als Open Source zur Verfügung stehen. Das trifft etwa auf neuronale Netzwerke zur Bilderkennung zu, die sich auf neue Datensets trainieren lassen. Chatbots auf Websites greifen dann nicht auf Ergebnisse im Internet zu, sondern auf kundenspezifische und -relevante Antworten aus dem unternehmensinternen Datenpool.

Für solches Finetuning brauchen Unternehmen Mitarbeitende mit Prompt Design- und Entwickler-Skills sowie umfassenden Kenntnissen rund um Sprachverarbeitung, sprich NLP und die dahinterstehenden Konzepte wie Deep Learning, neuronale Netze und ähnliche. Einen NLP-erfahrenen Data Scientist mit guten Coding Skills zu haben ist empfehlenswert, um nicht unwissend in unkontrolliertes Fahrwasser zu geraten.

Außerdem sollten Unternehmen ausreichend Zeit in Forschung und Entwicklung stecken. "Denn noch sind nicht alle Phänomene, die sich im Training von Modellen zeigen, vollständig verstanden", weiß Peter Ahnert, Leiter Big Data und AI Practise bei Nagarro. "Das trifft zum Beispiel auf die Annahme zu, dass es immer große Datenmengen braucht, um ein Modell weiterzuentwickeln. Tatsächlich erweitert es seine Funktionen auch mit wenigen Daten." Falsch sei auch die Vermutung, dass es für eigene Anwendungsfälle immer große Modelle brauche. Fakt sei, so Ahnert, dass es gute Alternativen zu ChatGPT und anderen gebe, dazu gehöre etwa Lumi - diese KI-Assistenz stamme sogar aus Deutschland. (pg)