Fender, Walmart & Co.

Wie sich IoT, Edge und KI ergänzen

02.03.2021
Von 
Neal Weinberg schreibt als freiberuflicher Autor unter anderem für unsere US-Schwesterpublikation Network World.
Mehr und mehr Unternehmen nutzen maschinell erzeugte Daten, die am Edge erfasst werden, um den Betrieb zu verbessern. Die KI-Verarbeitung erfolgt direkt vor Ort und/oder in der Cloud.
Auch traditionsreiche Unternehmen wie Fender setzen längst auf innovative Technologien.
Auch traditionsreiche Unternehmen wie Fender setzen längst auf innovative Technologien.
Foto: RobinStrower - shutterstock.com

Bill Holmes, Betriebsleiter des Werks in Corona, Kalifornien, wo die längst Kult gewordenen Fender Stratocaster und Telecaster gefertigt werden, erinnert sich sehr gut an die Zeit, als er mit einem einfachen tragbaren Gerät zur Schwingungsanalyse durch die Fabrikhalle ging und anschließend das Device an einen PC anschloss, um Messwerte über den Zustand seines Produktionsequipments zu erhalten.

Als Leo Fender vor 75 Jahren Fender Musical Instruments Corp. gründete, erfolgte die gesamte Holzbearbeitung von Hand. Heute werden die Gitarrenhälse und -körper mit computergesteuerten Holzbearbeitungsmaschinen hergestellt und dann an die Handwerker weitergegeben, die das Endprodukt bauen. Er sei immer auf der Suche nach den neuesten technischen Errungenschaften, um Probleme zu lösen, erklärt Holmes. So würden etwa Roboter eingesetzt, um beim Lackieren der Gitarren zu helfen und es gäbe kein ärgerlicheres Problem als Maschinenausfälle.

Preventive Maintenance, also die Wartung von Maschinen nach einem festgelegten Zeitplan, reiche dabei nicht aus, sagt er: "Neunzig Prozent der Ausfälle sind Sofortausfälle, die Prozesse zum Erliegen bringen. Das ist hart für das Geschäft. Wenn man einen Ausfall erkennen kann, bevor er passiert, muss man die Produktion nicht unterbrechen und das Wartungsteam muss nicht herumrennen und den Schaden in den Griff bekommen."

Datenverarbeitung in der AWS-Cloud

Mit 1500 Maschinen in einer fast 17.000 Quadratmeter großen Anlage ist Fender ein klassischer Kandidat für die Anbringung von Sensoren an den Maschinen und den Einsatz von KI-Analysen zur Vorhersage von Fehlern. Das ist genau das, was Fender tut, allerdings mit einer kleinen Besonderheit: Das Unternehmen nutzt den Cloud-basierten Monitron-Service von Amazon, so dass die gesamte Datenverarbeitung in der AWS Cloud stattfindet.

Für kleinere Unternehmen wie Fender ist der Managed Service attraktiv, weil Amazon auch die drahtlosen Sensoren bereitstellt, die sich über Near Field Communication (NFC) mit dem Wi-Fi-Gateway von Amazon verbinden. Diese sind so vorkonfiguriert, dass sie relevante Daten automatisch zur Analyse an die Amazon-Cloud senden. Amazon entwickelt auch die Algorithmen für das maschinelle Lernen, verarbeitet die Daten und sendet Alerts direkt an Holmes.

Technisch und finanziell betrachtet sei die Einstiegshürde dabei so niedrig, dass selbst kleine Läden solch einen Sensor an einem ihrer Geräte anbringen und den Monitoring-Service ohne Training nutzen können, erklärt der Fender-Manager. "Das ist riesig. Jeder Hersteller hat ein kritisches Gerät, das die Produktion stilllegt, wenn es ausfällt."

Bislang hat Holmes neun geschäftskritische Maschinen mit den Sensoren ausgestattet. Zudem ist geplant, das System auch in einer zweiten Produktionsstätte in Ensenada, Mexiko, einzusetzen. Die Nutzung der Cloud bietet dabei den zusätzlichen Vorteil, dass Holmes eines Tages Daten von beiden Standorten für zusätzliche Analysen zusammenführen kann. Außerdem erwartet er, dass er dann von einem einzigen Dashboard aus den Überblick über beide Standorte behalten kann.

Wie Edge Computing KI ermöglicht

Aus Sicht von Dave McCarthy, Research Director für Edge-Strategien bei IDC, sind maschinengenerierte Daten in praktisch jeder Branche, die über physische Anlagen verfügt, "der Wind in den Segeln des Edge Computing". Die Aufgabe der KI sei es dabei, aussagekräftige Erkenntnisse in den Daten, die von diesen Maschinen kommen, zu suchen und automatische Reaktionen darauf zu entwickeln.

Als Faustregel gilt, dass sich die KI-Verarbeitung am Edge am besten für Echtzeitanwendungen mit einer kurzen Latenzzeit eignet, die nicht effizient arbeiten würden, wenn diese großen Datensätze in die Cloud verlagert werden müssten, sagt Tilly Gilbert, Senior Consultant bei STL Partners. Abgesehen von der Latency-Problematik reduziere Edge Computing auch die Kosten für den Transport der Daten und helfe Unternehmen bei der Einhaltung von Datenschutz- und Sicherheitsrichtlinien, die verletzt werden könnten, wenn sensible Daten außerhalb des Unternehmens versendet würden. Die geschäftlichen Anforderungen nach einer höheren Uptime-Zeit und besserer Performance führen dazu, dass die KI-gesteuerte Datenverarbeitung am Edge aus der Nische kommt und mehr und mehr Mainstream werde, ergänzt McCarthy.

Eine Reihe von Faktoren kommen zusammen, um den Einsatz von Edge/KI zu erleichtern, darunter die Verbreitung von physischen Anlagen, die bereits ab Werk mit IoT-Sensoren ausgestattet sind und die wachsende Zahl von Anbietern, die Edge-Technologie anbieten. Dazu gehören Systemintegratoren, Startups, Hyperscale-Cloud-Anbieter sowie traditionelle Infrastrukturanbieter, die das Edge als Erweiterung des Rechenzentrums positionieren. Für Unternehmen bedeutet das, dass sie ihre Workloads an dem für sie am besten geeigneten Ort ausführen können, sei es On-Premises, in der Cloud oder am Edge. Oder eine Kombination davon. Wie das Beispiel Fender zeigt, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, Technologien und Ansätze zu kombinieren, um das Beste aus den beiden Welten Edge und Cloud zu erhalten.

Genauso wie die meisten Unternehmen heutzutage in einer Hybrid-Cloud- oder Multi-Cloud-Umgebung arbeiten, laufen auch KI-basierte Edge-Anwendungen nicht isoliert, betont McCarthy. Selbst wenn die KI-Verarbeitung am Edge stattfindet, wurden die Machine-Learning-Algorithmen wahrscheinlich in der Cloud entwickelt und die Modelle dort trainiert. Und diese Echtzeitdaten können in der Cloud aufgerollt und gesammelt werden, um die Analyse historischer Datensätze zu ermöglichen, die eine längerfristige Planung unterstützen können.

KI am Retail-Edge

Der spannendste Aspekt der Kombination von Edge und KI ist, dass sie neue Anwendungen ermöglicht, sagt Gilbert. Da viele Unternehmen nicht über die Fähigkeiten verfügen, KI-Analysefunktionen intern zu entwickeln, oder sich einiger möglicher Anwendungsfälle nicht einmal bewusst sind, übernehmen Drittanbieter eine führende Rolle bei der Entwicklung und Bereitstellung fertiger Systeme. Große Einzelhändler wie Walmart oder Kroger führen beispielsweise KI-basierte Edge-Systeme an den Selbstbedienungskassen ihrer Filialen ein. Sie sollen Verluste reduzieren, die dadurch entstehen, dass Kunden entweder versehentlich oder absichtlich nicht alles in ihrem Einkaufswagen bezahlen.

So berichtet Alex Siskos, Vice President Strategic Growth beim irischen Startup Everseen, dass sein Unternehmen in der Lage war, ein bisher unlösbares Problem für Retailer zu lösen: Schwund oder Verlust. Die Einzelhändler wüssten, dass sie an den Selbstbedienungskassen Geld verlieren, aber sie hätten keine Möglichkeit zu erkennen, ob es sich dabei um Fehler von Kunden, um inoffizielle Rabatte von Mitarbeitern an Freunde oder um das Werk cleverer Diebe handelt. Letzte legen beispielsweise einen Kaugummi unter einen größeren, teureren Artikel, so dass der Scanner dem Kunden nur den Kaugummi berechnet.

Everseen platziert an den Selbstbedienungskassen strategisch günstig GPU-gesteuerte Kameras und hat eine Software entwickelt, die in die Scansystemen des Einzelhändlers integriert werden kann. Als Resultat können eine Reihe von Aktionen in Echtzeit ausgelöst werden, wenn der Scanner "Kaugummi" anzeigt, die Kamera aber "Windelkarton" sieht. Eine Option ist, dass der Kunde eine Pop-up-Warnung auf dem Kassenbildschirm angezeigt bekommt - etwa, dass der Automat den letzten Artikel falsch gescannt hat". Die Idee dahinter ist, den Kunden im Zweifelsfall die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu korrigieren, bevor ein Mitarbeiter eingreifen muss. Als letzten Ausweg kann das System ein Video des fraglichen Vorgangs direkt auf dem Bildschirm der Selbstbedienungskasse abspielen.

"Wir sind in der Lage, unstrukturierte Daten in Erkenntnisse, Maßnahmen und damit letztendlich in Gewinn zu verwandeln", sagt Siskos. Er schätzt, dass Einzelhändler durch die Senkung der Diebstählen und die verbesserte Bestandsgenauigkeit zwischen 2.500 und 4.500 Dollar pro Geschäft und Woche einsparen.

Das Everseen-System verarbeitet die Daten am Edge, denn "dort findet die Aktion statt, dort ist der Moment der Wahrheit", so Siskos. Das vollständig integrierte Angebot besteht aus Dell PowerEdge-Servern, auf denen die Everseen-Software läuft. Entwickelt wurde die Lösung auf einer Plattform des GPU-Anbieters Nvidia. Aber es gibt auch Cloud-Komponenten; die Modelle werden in der Cloud trainiert und auch das Management sowie das Monitoring erfolgen in der Cloud.

Darüber hinaus überwacht Everseen derzeit mehr als 100.000 Kassenlinien in Europa und den USA und sammelt 4-5 Sekunden lange Clips von den "Momenten der Wahrheit", in denen Artikel falsch gescannt wurden. Diese ausgewählten Daten werden zu Berichtszwecken und zum Trainieren der Algorithmen in die Cloud gesendet. "KI ist ein hungriges Tier", sagt Siskos. "Je mehr man es füttert, desto besser wird es."

KI erobert das Gesundheitswesen

Healthcare ist ein weiterer Bereich, in dem Edge Computing die KI vorantreibt. Dr. Andrew Gostine, Anästhesist und Unternehmer, hat ein Unternehmen gegründet, das KI zur Optimierung von Krankenhausressourcen einsetzt. Der Hintergrund: Krankenhäuser retten Leben, aber sie sind auch ein Geschäft. So wie Restaurants im Laufe eines Tages so viele Gäste wie möglich unterbringen müssen, müssen Krankenhäuser dasselbe mit ihren Operationssälen tun.

Gostines Unternehmen, Artisight, verwendet mehrere drahtlose Kameras, die in den Operationssälen angebracht sind und als eine Art Flugverkehrskontrolle fungieren. In dem Moment, in dem der Patient in den OP gerollt wird, werden beispielsweise der Anästhesist und der Chirurg automatisch benachrichtigt. Außerdem gibt es einen großen Bildschirm im Flur vor dem Operationssaal um sicherzustellen, dass das Krankenhauspersonal zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist - ähnlich wie der Monitor auf einem Flughafen, der den Fluggästen den Status ihres Fluges und den nächsten Flugsteig anzeigt.

Klingt ziemlich einfach, aber Gostine sagt, dass sein System in den Krankenhäusern im Großraum Chicago, in denen es eingesetzt wird, eine Produktivitätssteigerung von 16 Prozent bewirkt. Das Artisight-System basiert auf Nvidias Edge/KI-Plattform Clara Guardian für Krankenhäuser und wird in einem vorgefertigten Paket geliefert, das auf Dell-Servern und -Speicher läuft. Die Verarbeitung erfolgt vor Ort, da die Datenmenge - das Northwestern Memorial Hospital produziert 1,2 Petabyte Video pro Tag - viel zu teuer wäre, um sie in die Cloud zu schicken, und außerdem Latenzprobleme verursachen würde, sagt Gostine.

Das Artisight-System löscht die Identitäten der Personen, um ihre Privatsphäre zu schützen. Es zeichnet auch die wichtigsten Teile der Operation auf, so dass die Chirurgen ihre Leistung im Nachhinein studieren und die Videos mit ihren Kollegen teilen können, um Feedback zu erhalten.

Laut Gostine kann die Technologie in einer ständig wachsenden Anzahl von Anwendungsfällen eingesetzt werden. Zum Beispiel können Kameras ein Patientenzimmer überwachen, um zu erkennen, wenn der Patient aus dem Bett steigt und stürzt. Das System kann auch Patientenzimmer als Teil eines Kapazitätsverwaltungsprogramms überwachen - mit anderen Worten, es benachrichtigt das Housekeeping sofort, wenn ein Zimmer frei wird, führt ein Inventar der verfügbaren Zimmer, stellt sicher, dass die Bettwäsche gewechselt wurde und dass die richtigen medizinischen Geräte im Zimmer sind.

Jeder, der das Thema KI verfolgt, kennt die kühne Vorhersage von IBM, dass Watson eines Tages Krebs heilen würde - nur um dann festzustellen, dass dieses Projekt keine Ergebnisse liefert. Gostine argumentiert, dass die KI zu große Versprechungen über "Wunderheilungen" zurückgeworfen haben. Wichtiger sei es, KI für Anwendungen zu nutzen, die zwar alltäglicher, aber praktischer sind und die Effizienz verbessern und Kosten senken können. Dies wiederum setze Krankenhausressourcen frei, die für den Ausbau der Patientenversorgung genutzt werden können.

Während IBM nach den Sternen griff, handelt es sich bei Prosper Digital Therapeutics (ProsperDTX) um ein Healthcare Startup, das Machine Learning für einen spezifischen Zweck einsetzt: Es sammelt Patientendaten in der Cloud und wendet maschinelles Lernen darauf an, um "einen Pflegeplan für Sie zu entwickeln, der darauf ausgelegt ist, die Lebensqualität zu verbessern und die Möglichkeit von Komplikationen zu reduzieren, für die Sie unserer Meinung nach aufgrund unserer Modelle das größte Risiko haben", sagt Robert Goldberg, CEO und Mitgründer des Unternehmens. Die gesamte Datenmodellierung erfolgt dabei in einem Cloud-basierten Data Warehouse von Oracle. Dieses ermöglicht es dem Unternehmen, die gesamte Modellierung und Visualisierung an einem Ort durchzuführen.

Wenn bei einem Patienten beispielsweise Krebs diagnostiziert wird und er sich einer Chemotherapie unterzieht, könnte er eine E-Mail erhalten, in der ihm mitgeteilt wird, dass ProsperDTX von der Krankenkasse seines Arbeitgebers ausgewählt wurde, um ihm bei seiner Behandlung zu helfen. ProsperDTX praktiziert keine Medizin und stellt auch keine Rezepte aus, sondern ist eher eine Art "Begleiter" für das Gesundheitsteam. So kann es etwa Chemotherapie-Patienten helfen, mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Gewichtsverlust oder Depressionen umzugehen. Deuten die Modelle darauf hin, dass ein Patient zu Anämie oder Dehydrierung neigt, kann das System "Menschen dazu ermutigen, gute Gewohnheiten zu entwickeln, wenn wir sie dazu auffordern", erklärt Goldberg.

Damit nicht genug. Mit der zunehmenden Verbreitung von Wearables und häuslichen Patientenüberwachungssystemen kann ProsperDTX Veränderungen beim Patienten verfolgen und den Arzt des Patienten alarmieren, wenn etwas nicht in Ordnung zu sein scheint. "Wir können in Ihren Kühlschrank schauen, wenn Sie uns lassen", fügt Goldberg hinzu. (mb)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der US-Schwesterpublikation Network World.