Der Ausbruch von COVID-19 hat vielen Unternehmen schmerzhaft vor Augen geführt, dass Krisen-Management bei ihnen bislang nicht die höchste Priorität hatte. Nun müssen Unternehmen jeder Größe ihre Organisation schnell - und mitunter auf eine radikale Weise - an die Auswirkungen der Pandemie anpassen. Bei diesem Anpassungsprozess kann die Automatisierung mittels Robotic Process Automation (RPA) einen entscheidenden Beitrag leisten, um den veränderten Anforderungen an das gesamte Unternehmen - von der Infrastruktur bis zur Kundenerfahrung - gerecht zu werden. Denn: Je automatisierter ein Betrieb ist, desto größer ist die Chance, dass er schnell wieder zur Normalität und in die Erfolgsspur zurückkehrt.
Prozessautomatisierung gegen mangelnde Flexibilität
Der erste Schritt ist dabei zu erkennen, was geschäftskritisch ist - und was nicht. Vielen Unternehmen fällt diese Identifizierung in normalen Zeiten schwer, da sie nur zu schnell dazu neigen, jeden Prozess als geschäftskritisch anzusehen. Aber in diesen Zeiten ist es (überlebens-)wichtig zu entscheiden, welche Arbeit erledigt werden muss, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.
COVID-19 zwingt Unternehmen jetzt dazu, alle Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und Prioritäten zu setzen - auch im Hinblick auf die Automatisierung von Prozessen. Verschiedene Tools helfen dabei, die richtigen Prozesse zu evaluieren. Wie sich Angebot und Nachfrage in den nächsten Monaten weiterentwickeln werden, ist schwer vorherzusagen. Deshalb sind alle Unternehmen gut beraten, jetzt die für sie wichtigen Prozesse zu automatisieren und nicht länger zu warten. Automatisierungslösungen lassen sich schnell implementieren, um den Druck und die Belastung von den noch aktiven Mitarbeitern zu nehmen. Zudem lassen sich Software-Roboter schnell skalieren, wenn die Nachfrage sprunghaft ansteigt.
Beispielsweise lässt sich ein Bot bei Prozessen, die den Cashflow direkt beeinflussen, dahingehend konfigurieren, dass er Rechnungen nach offenen Posten durchkämmt und den Schuldner in regelmäßigen Abständen per E-Mail anmahnt, bis die Rechnung beglichen wurde. Der Bot prüft dabei eventuelle Antworten des Schuldners, beziehungsweise die Konten auf Zahlungseingänge, aktualisiert die entsprechenden Einträge und Systeme und gibt alle relevanten Informationen an den zuständigen Mitarbeiter zur Weiterverfolgung - wenn notwendig - weiter.
Durch den Einsatz von Machine Learning (ML) und natürlicher Sprachverarbeitung (Natural Language Processing - NLP) wird der Bot zudem in die Lage versetzt, mit Kunden über Rabatte für eine vorzeitige Rechnungsbegleichung zu verhandeln, damit der zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs notwendige Cashflow gewährleistet ist. Das sind geschäftskritische Prozesse, die durch Automatisierung leicht verbessert werden können.
- Edwin Klimkeit, Automation Anywhere
„Eigentlich ist RPA schon relativ alt, aber das Thema Mitarbeiterabbau durch RPA taucht nach wie vor beim Kunden auf. Man muss es von der positiven Seite betrachten, denn ein Bot befreit von den repetitiven Aufgaben, und man kann sich endlich mit den Themen beschäftigen, die für einen selbst oder das Unternehmen wichtig sind. Die Angst und das Buzzword ,Jobkiller‘ sollte man eliminieren. Besser ist es zu sagen: Der digitale Assistent hilft mir dabei, meine Aufgaben fürs Unternehmen nach meinen Talenten entsprechend gewinnbringend einzubringen. Aber das ist ein kulturelles Thema.“ - Dr. Michael Hagen, blueprism
„Skalierung kann nicht erreicht werden, wenn ich zwei Bots implementiere und sage: Ja, das läuft. Man muss sagen: Ja, das läuft richtig gut, und jetzt lasst uns mal richtig groß denken! Wie kann ich mich im Rahmen der Digitalisierungsstrategie neu aufstellen? Damit sich aber nicht jeder einzelne Bots herunterlädt und sich der Wildwuchs nicht mehr kontrollieren lässt, braucht es eine Plattform, die Themen wie Governance, Security und Compliance berücksichtigt. Zudem muss sie so dynamisch sein, dass der Fachbereich noch agieren kann.“ - Stefan Burghardt, Capgemini Invent
„Man muss einen Prozess für RPA nicht unbedingt optimieren. Wenn man jahrelang nicht optimiert hat, dann wird es auch in einer laufenden RPA-Initiative nicht passieren. Natürlich sollte man sich immer überlegen, ob eine Optimierung sinnvoll ist. Die Antwort sollte aber nicht heißen: Ja, wir brauchen allerdings ein halbes Jahr dafür. Denn: Ein Bot ist innerhalb weniger Wochen implementiert und bringt sofort einen Mehrwert für den Fachbereich, auch wenn der Prozess nicht optimal ist. Während der Bot läuft, kann man immer noch überlegen, wie man den Prozess verbessern kann.“ - Abel Tesfaledet, Celonis
„Jedes Unternehmen hat das Ziel, Produkte, Leistungen und den Umsatz zu optimieren. RPA kann den Mitarbeitern Routineaufgaben abnehmen oder erleichtern, sodass sie sich auf die kreativen und Mehrwert generierenden Aspekte ihrer Arbeit konzentrieren und ihr Potenzial stärker entfalten können. Das führt dann auch zu Effizienzsteigerung und schlankeren Prozessen. Voraussetzung für einen derartigen, erfolgreichen Einsatz von RPA ist aber, dass Unternehmen die Mitarbeiter rechtzeitig ‚mitnehmen‘ und ihnen vermitteln, dass Software und Bots sie bei der Zielerreichung unterstützen können.“ - Constantin Wehmschulte, Mehrwerk
„Durch den Hybridweg, Low Code und den Einfluss des Anwenders ist die Angst vor RPA geringer geworden. Der Schlüssel liegt aber in der Organisation: Wie stelle ich sicher, dass das Ganze langfristig Erfolg hat? Wie gelange ich von einem Inselbot hin zu einer End-to-End-Plattform inklusive Process Mining und hole dabei noch die Fachabteilungen entsprechend ab? Doch kann die verfügbare Technologie auch sicherstellen, dass die IT im Rahmen eines Center of Excellence die Rolle hat, die Plattform zu betreiben, der Fachbereich aber die Möglichkeit hat, selbst zu agieren? Denn dorthin muss es in Zukunft gehen.“ - Dr. Gregor Scheithauer, metafinanz
„Der Erfolg von RPA-Projekten ist sicherlich keine Frage der Technologie. Wir beobachten, dass sich vor allem die weiter um sich greifenden agilen Arbeitsweisen auch im Konzernumfeld bewähren. Mit kleinen, flexiblen und gemischten Teams lassen sich die Anforderungen aus den Fachbereichen schnell umsetzen, Anpassungen können zeitnah berücksichtigt werden. Gerade diese enge Zusammenarbeit zwischen Business und IT sowie das Aufbrechen alter Silos sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für RPA.“ - Oliver Ehrmann, MicroFocus
„Auf der einen Seite ist RPA ein großer Hype, auf der anderen Seite ist bei vielen schon ein Stück weit die Ernüchterung eingetreten. Viele Unternehmen scheitern daran, weil sie die klassischen Fehler gemacht haben wie auch schon bei Automationsvorhaben in der IT: Es wird einfach ein Tool installiert, und schon macht man RPA. Doch ohne gute Use-Cases oder ein Center of Excellence zu haben, das die Ideen zu Use-Cases bündelt, bewertet, priorisiert und dann Schritt für Schritt automatisiert, stellen sich die gewünschten Erfolge nicht ein. Und schon wird RPA wieder infrage gestellt.“ - Cosima von Kries, Nintex Deutschland
„Der Bot kommt aus der digitalen Welt und greift demnach auch in seine eigene und nicht in die Welt von uns Menschen ein. Er hilft uns nur dabei, das verständlich zu machen, was auf einem Arbeitsplatz vorgeht: Da gibt es Prozesse, die sehr lange brauchen, Daten, die nicht verstanden werden, und Fehlerquellen. Auch der Mensch macht Fehler, weil er total damit überfordert ist, diese Datentapeten in eine Struktur zu bringen. RPA unterstützt an der Stelle, aber es müssen alle Mitarbeiter mitgenommen werden, weil es eine Lücke zwischen den Generationen gibt.“ - Stefano Monti, Signavio
„Neue Technologien, wie zum Beispiel RPA, können maßgeblich zum Geschäftserfolg beitragen. Doch die damit verbundene Komplexität sollten Unternehmen nicht unterschätzen. Um Automatisierungsprojekte erfolgreich zu skalieren, ist es daher grundlegend, zuerst die eigenen Prozesse genau zu verstehen und zu optimieren. Erst dann ist eine weitere Automatisierung nachhaltig und sinnvoll.“ - Walter Obermeier, UiPath
„Wie hoch die Einsparungen von RPA sind und ob es wirklich ein Jobkiller ist, ist eine Frage der Betrachtung: Automatisiere ich einen hochtransaktionalen Prozess, dann ist die Einsparung für diesen einen Prozess 90 Prozent, und von zehn Mitarbeitern wird sich ein Mitarbeiter verändern müssen. Erweitere ich das RPA-Bild dagegen und betrachte es als Automatisierungsstrategie über das gesamte Unternehmen hinweg, dann ist da ein ganz anderer Hebel dran. Wir sprechen dann gleich einmal von zwölf Prozent – und zwar zwölf Prozent des gesamten Unternehmenseinsparungspotenzials, nicht nur eines einzelnen Prozesses. Ja, auch dann werden sich Mitarbeiter verändern müssen, aber es ist nicht zu vereinheitlichen, es werden auf der anderen Seite auch Jobs entstehen.“
Kompensation mit Robotic Process Automation
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Kundenkommunikation versetzt Unternehmen außerdem in die Lage, die Anzahl der persönlichen Kundengespräche zu reduzieren und trotzdem das generelle Volumen der Kundenanfragen zufriedenstellend zu bearbeiten. Dies ist besonders in Krisenzeiten wichtig, in denen nicht ausreichend viele Mitarbeiter zur Verfügung stehen, um die vielen Anfragen zu beantworten. Intelligente Prozessautomatisierung eröffnet Unternehmen so die Möglichkeit, krisenbedingten Mitarbeiterausfall zu kompensieren.
Eine weitere Maßnahme ist die Möglichkeit, den bislang manuellen Produkt-Fulfillment-Prozess mit RPA zu automatisieren. Auf diese Weise können in Krisenzeiten Kundenaufträge auch ohne die Anwesenheit von Mitarbeitern abgearbeitet und ausgeliefert werden. Die inkrementell vorhandene Fähigkeit ermöglicht es Unternehmen generell, Prozesse über dynamische Formulare anzustoßen. Dafür besonders geeignete Abläufe während der Corona-Krise sind etwa die Beantragung und Prüfung eines Kredits oder der Antrag auf Kurzarbeitergeld als Folge der COVID-19-Pandemie.
RPA nimmt den Druck aus den Unternehmen
Der Schlüssel der Automatisierung liegt hierbei nicht ausschließlich in der Reduzierung von Kosten, sondern auch in der Verringerung der Arbeit für eine mitunter reduzierte Belegschaft, ohne dass die Kapazitäten des Unternehmens darunter leiden. Dabei sollte man nie vergessen, dass die Automatisierung eines Prozesses mitunter auch weiterreichende Auswirkungen auf andere Unternehmensprozesse haben kann.
Unabhängig davon, ob ein Unternehmen gerade erst mit der Automatisierung beginnt oder bereits in großem Maßstab damit arbeitet: Die wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 werden von langer Dauer sein. Unternehmen, die jetzt eine intelligente Automatisierung einführen, werden kurzfristig den Druck auf ihr Unternehmen verringern, die Risiken, an der Krise zu scheitern, reduzieren und gleichzeitig zusätzliche Kapazitäten schaffen. Letztendlich sorgen sie so dafür, dass sie besser mit der derzeitigen Krise umgehen können, aber gleichzeitig auch auf die Zeit nach COVID-19 und für die Zukunft vorbereitet sind. (mb)