Künstliche Intelligenz (KI) hat sich längst in sämtlichen Lebensbereichen etabliert, sei es im persönlichen oder beruflichen Kontext. Eine repräsentative internationale Umfrage unter HR-Verantwortlichen des Hiring-Software Unternehmens Greenhouse besagt sogar, dass 80 Prozent aller im Personalbereich Beschäftigten täglich KI nutzen. Ein Betätigungsfeld, in dem vor allem im Rahmen des Bewerbermanagement Vorurteile - vor allem die unbewussten - eine wichtige Rolle spielen. Vorurteile präventiv zu vermeiden, ist für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Deshalb müssen bei der Verwendung von KI einige Regeln beachtet werden, damit bereits im System vorhandene Voreingenommenheit nicht reproduziert wird. Ein möglicher Lösungsweg ist hier der strukturierte und standardisierte Einstellungsprozess. In diesem werden für sämtliche Bewerber:innen dieselben Informationen erfasst und Entscheidungen anhand von Daten und nicht aufgrund eines Bauchgefühls getroffen.
Voreingenommenheit ist menschlich. Sie beruht auf Erfahrungen und hilft unserem Gehirn, komplexe Umstände leichter zu verarbeiten. Denn durch Ressentiments wird die Bewertung einer Situation oder eines Menschen abgekürzt und Entscheidungen können schneller getroffen werden. In Zeiten, in denen an jeder Ecke ein "Säbelzahntiger" lauern konnte, eine wertvolle Verhaltensweise. Denn auch Wesen, die im übertragenen Sinne dem Säbelzahntiger ähnelten, wurden mit Gefahr verbunden. Dieses Relikt aus der menschlichen Entwicklungsgeschichte hilft uns bis heute, die Komplexität unseres Alltags zu reduzieren, bietet aber auch genügend Stolpersteine. Vor allem dann, wenn Menschen fair und nicht aufgrund von verkürzter Meinungsbildung behandelt werden wollen, wie beispielsweise im Bewerbungsprozess. Besonders knifflig: Auch wenn wir uns selbst für aufgeschlossen und vorurteilsfrei halten, können wir uns doch gewisser Stereotype bedienen, dererwir uns gar nicht bewusst sind - dann ist die Rede von unbewusster Voreingenommenheit.
KI steigert die Effektivität im Bewerbungsprozess
In der heutigen Zeit des Fachkräftemangels müssen Unternehmen nicht nur um ihre Mitarbeitenden werben, sie dürfen sich auch keine Fauxpas im Einstellungsprozess erlauben, vor allem mit Blick auf die weiter steigende Arbeitsbelastung in Personalabteilungen. So ergab die oben erwähnte Umfrage, dass der KI-Einsatz effizientes Arbeiten steigert und Zeiteinsparungen ermöglicht - und zwar insbesondere für deutsche Personalverantwortliche in kleinen und mittelständischen Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden. Generative KI-Anwendungen wie ChatGPT oder Google Gemini zählen zu den beliebtesten Anwendungen, gefolgt von KI-gestützten Programmen zur Lebenslaufanalyse.
Wird die KI zum Entscheider?
KI ist aus der Zukunft der Personalbeschaffung nicht mehr wegzudenken - darin sind sich die Befragten einig. Schon heute haben Bewerber:innen in Deutschland nach Angaben der befragten HR-Manager:innen während des Bewerbungsprozesses genauso viel Kontakt mit Menschen wie mit KI-Anwendungen. In Zukunft - so glauben 61 Prozent der Befragten - wird KI den Zeitaufwand für Rekrutierungen spürbar reduzieren. Außerdem geht die Hälfte davon aus, dass KI zukünftig sogar Einstellungsentscheidungen treffen wird.
Dies weckt jedoch auch einige Bedenken. Der Grund: Trotz der Beliebtheit der KI äußern die Befragten ein gewisses Maß an Skepsis bezüglich ihrer Zuverlässigkeit. Unabhängig von der Größe ihrer Unternehmen gaben rund die Hälfte der deutschen Personaler:innen an, der KI nicht vollständig zu vertrauen. Sie sorgen sich über eine zu starke Abhängigkeit von der Technologie. Trotz der Fortschritte, die KI bei der Personalbeschaffung macht, sollten Entscheidungen immer noch von Menschen getroffen werden. KI kann zwar durch die Automatisierung bestimmter Aufgaben dabei helfen, schneller zu einer Entscheidung zu gelangen, sie sollte aber nicht die alleinige Grundlage für die Entscheidungsfindung sein.
- 10 Trends in der Personalarbeit
Die Digitalisierung sowie der Fachkräftemangel wirken sich auch nachhaltig auf die Denk- und Arbeitsprozesse in Personalabteilungen aus. Der Bundesverband der Personalmanager (BPM) nennt zehn Trends, die zunehmend im Bereich Human Resources Platz greifen und die "digitale HR" prägen werden. - 1. Künstliche Intelligenz ethisch hinterfragen
Künstlicher Intelligenz (KI) sorgt in Personalabteilungen für Effizienzgewinne. Personaler sollten deshalb den Nutzen intelligenter Techniken ethisch auszuloten und verantwortungsvoll damit umgehen. - 2. Bildung in der Arbeitswelt 4.0
Die Arbeitswelt 4.0 erfordert eine Neuausrichtung der Weiterbildungsangebote in den Betrieben sowie eine neue Lern- und Bildungskultur in den Ausbildungseinrichtungen. Personaler sind gefordert, für diesen Bedarf entsprechende Lernangebote zu entwickeln. - 3. Kollaborative Arbeitskonzepte
Aufgaben und Themen werden komplexer und lassen sich nur noch in interdisziplinären Teams erfolgreich bearbeiten, weshalb Co-Working-Konzepte, ortsunabhängiges Arbeiten und neue kollaborative Methoden der Zusammenarbeit im Team zur Standardanforderung für den Arbeitsplatz der Zukunft werden. Das Personalwesen steht vor der Herausforderung, aus den vielen Facetten des Arbeitsplatzes der Zukunft einen individuell passenden Rahmen für jeden Mitarbeiter zu konzipieren. - 4. Recruitingmaßnahmen verändern
Fach- und Führungskräfte sind zunehmend wechselwilliger. Dieser Umstand macht bisherige Rekrutierungsmechanismen und Karriereangebote hinfällig. Die Bewerberansprache braucht neue Vorzeichen, um Fach- und Führungskräfte zu aktivieren. Ferner geht es um die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte. - 5. Mitbestimmung 4.0
Agilität wird auch in der Zusammenarbeit zwischen Personalern und Betriebsräten ein wichtiges Thema. Betriebsräte werden sich verstärkt Fragen nach agilen Arbeitsumfeldern stellen müssen. Im Schulterschluss mit der Personalabteilung geht es darum, die Betriebsverfassung an die Veränderungen anzupassen und neue Regeln für die Mitbestimmung abzuleiten. - 6. Wettbewerbsfaktor Diversity
Die Wahrnehmung des Themas Diversity hat sich in Unternehmen gewandelt. Viele haben erkannt, dass sie im Wettbewerb erst erfolgreich sein können, wenn Mitarbeiter unterschiedlicher Prägung und aus unterschiedlichen Kulturen in Teams zusammenkommen. - 7. Mitarbeiterpotenzial fördern
Auch in Zeiten von Robo-Recruiting bleibt das Herzstück der Personalarbeit, das Potenzial der Belegschaft zu entfalten. Dabei kommt es im Zuge einer wachsenden Technisierung vor allem darauf an, Mitarbeiter in ihrer Entwicklung aktiv zu unterstützen. - 8. Agile Führung
Mit wachsender Komplexität und fortschreitender Digitalisierung muss auch die Führung agiler werden. Aufgabe der HR ist es, ihrer Führungsetage im Dialog mit den Mitarbeitern Hilfestellung zu geben. Ziel sollte sein, Führungskräfte zu Coaches und Vorbildern zu entwickeln, die offen und kritisch Themen reflektieren und ihren Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zugestehen. - 9. Mitarbeitersicht einnehmen
Immer mehr Personaler verfolgen den Employee-Experience-Ansatz. Dieser hilft ihnen, die Sicht des Mitarbeiters einzunehmen, wenn es um die Akzeptanz von HR-Services geht. - 10. Betriebliches Gesundheitsmanagement
Arbeitgeber werden zunehmend mit den Auswirkungen der Entgrenzung von Berufs- und Privatleben konfrontiert. Für die Personalentscheider geht es jetzt verstärkt darum, die schleichende Entgrenzung nicht zum Gesundheitsrisiko werden zu lassen. Das betriebliche Gesundheitsmanagement sollte integraler Bestandteil der Unternehmenskultur sein, um Achtsamkeit und Resilienz systematisch zu stärken.
KI - Fluch oder Segen?
Die Frage liegt also nahe, ob der KI-Einsatz dem Einstellungsprozess mehr schadet als nützt. Denn immerhin gaben einige der Befragten an, dass die Technolgie nachweislich die falsche Einstellungsentscheidung getroffen hat. Da Personalverantwortliche zunehmend darauf bedacht sind, nachweislich sicherzustellen, dass Bewerber:innen in denselben Bereichen gleichwertig beurteilt werden, äußern sie in der Umfrage auch Bedenken, ob KI möglicherweise bestehende Voreingenommenheit nicht noch weiter verstärken könnte. Diese Sorge wird durch ein Papier der Stiftung Datenschutz unterstützt. Es zeigt auf, dass sich KI-Algorithmen reproduzieren, wenn systematische und wiederholbare Fehler in einem Computersystem vorkommen, die zu unfairen Ergebnissen führen. Ein Beispiel hierfür ist die Bevorzugung einer zufälligen Benutzergruppe gegenüber anderen. Die Konsequenz daraus ist relativ einfach: KI-gestützte Anwendungen sollten durch menschliche Entscheidungsträger:innen überprüft werden.
Sich der eigenen Vorurteile bewusst sein
Voreingenommenheit ist nach wie vor Teil des Bewerbungsprozesses. Und das schon lange bevor KI sich durchgesetzt hat. So gibt über die Hälfte der Befragten an, dass Ähnlichkeiten zwischen Bewerber:innen und dem eigenen persönlichen oder beruflichen Hintergrund ihre Einstellungsentscheidung beeinflussen könnten. Zudem priorisiert national wie international nur ein Fünftel der befragten Personalverantwortlichen Fähigkeiten und Erfahrung gegenüber der Ausbildung. Damit zeigen die Ergebnisse der Umfrage, dass der Sensibilisierung für individuelle Voreingenommenheit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Denn die KI ist nur so voreingenommen, wie die Menschen, die sie entwickeln. Sie kann zwar Erkenntnisse aus Daten gewinnen und selbständig lernen, aber die Daten, die sie verwendet, um sich weiterzuentwickeln, werden von Menschen ausgewählt und erstellt - und weil Menschen mit ihrer eigenen inhärenten Voreingenommenheit und Vorurteilen zu kämpfen haben, gelangt über sie der "Fehler ins System".
Strukturierte Einstellungsprozesse schaffen
Die Lösung liegt in der Zusammenarbeit: Wenn Personalverantwortliche KI-Anwendungen im Bewerbungsmanagement nutzen, können sie die KI so nutzen, dass Ressentiments im Einstellungsprozess verringert werden. Als Beispiel kann das Verfassen von Stellenanzeigen genannt werden: Wenn es darum geht, vielfältige Talente zu gewinnen, kommt es auf die korrekte Formulierung an. KI-gestützte Editor Tools können beim Verfassen von Stellenanzeigen hilfreich sein, um die gewählte Sprache hinsichtlich ihrer inklusiven Rhetorik zu überprüfen.
Entlang des kompletten Einstellungsprozesse hat sich darüber hinaus ein standardisierter Prozess bewährt, das sogenannte Structured Hiring. Dieses Konzept definiert das Bewerbungsmanagement von der Ausschreibung der Stelle bis zur Einstellungsentscheidung. Ziel des Prozesses ist, allen Bewerber:innen eine einheitliche Erfahrung und eine faire Chance zu bieten, um unbewusste Vorurteile so weit wie möglich abzubauen. Denn Einstellungsentscheidungen werden auf Grundlage im Prozess gesammelter Daten getroffen, wie beispielsweise Bewertungsbögen, deren Bearbeitung durch verschiedene Personalverantwortliche auf die gleiche Art und Weise erfolgt, so dass bei der Entscheidung über eine Stellenbesetzung niemand auf das eigene Bauchgefühl zu einer Kandidatin oder einem Kandidaten vertrauen muss. Damit wird das Procedere einerseits für alle Beteiligten transparent gemacht und andererseits die mögliche Voreingenommenheit von Personalentscheider:innen reduziert. Dank des kontrollierten Einsatzes zweckdienlicher KI-Tools steht einem effizienten und modernen Bewerbungsmanagement nichts im Wege.
Über die Umfrage: Greenhouse, ein US-amerikanisches Hiring-Softwareunternehmen für People-First-Unternehmen, hat mehr als 1700 Personalmanager:innen in Großbritannien, Deutschland und Irland befragt. An der Umfrage nahmen 500 Personalmanager:innen teil, die derzeit in Deutschland beschäftigt und ansässig sind. Die vollständigen EMEA-Ergebnisse des HR-Manager:innen AI & Bias Pulse Report gibt es hier.